Auf dem an die Leinwand geworfenen Mannschaftsbild grinst ein jugendlicher Fußballer ganz besonders keck und selbstbewusst in die Kamera. Es ist Harry Obermayer. Das Foto ist im Sommer 1930 aufgenommen worden, kurz nachdem die Schüler der jüdischen Präparandenschule in Höchberg auf dem örtlichen Sportplatz das deutlich ältere Pendant der israelischen Lehrerbildungsanstalt aus Würzburg mit 1:0 besiegt hatten.
"Über viele Jahrhunderte waren Menschen jüdischen Glaubens ein Teil Höchbergs, brachten sich in das soziale Leben ein und hinterließen Spuren in unserem Ort", sagte Bürgermeister Alexander Knahn zu Beginn der Buchvorstellung in der neuen Kulturscheune.
Das vorgelegte Werk in eigener Herausgeberschaft mit seinen 174 Seiten wirft ein fundiertes Schlaglicht auf das jüdische Leben in Höchberg und das Schicksal einzelner Familien. Ein Mitglied der Familie Obermayer ist Maimon Maor. Der heutige Mitsiebziger ist eigens aus Tel Aviv angereist, um die Höchberger an seinem bewegten Leben teilhaben zu lassen. Es begann 1946 in Israel.
Rückkehr nach Deutschland
Maimon war das zweite Kind von Harry und Gila, die sich nach der Auswanderung wie viele andere einen hebräischen Namen zulegten. Maor bedeutet so viel wie Licht. Als Maimon sieben Jahre alt war, kehrte die Familie zurück nach Deutschland – ins Land der Täter? "Das war mir als kleiner Junge natürlich nicht bewusst. Ich lebte mich vielmehr gut ein, auch weil mich meine Mutter in Tel Aviv in der deutschen Sprache großgezogen hat. Das war dort damals ziemlich problematisch", erklärte Maor vor mehr als 50 Gästen. "Wir sind nur aus Israel fortgezogen, weil mein Vater studieren wollte. Es war von Anfang an klar, dass wir irgendwann wieder nach Tel Aviv zurückgehen."
Radtour nach Höchberg
Die Familie lebte in München. Über seine einstige Zeit als Schüler der Höchberger Präparandenschule erzählte Harry Maor seinen Kindern generell nur wenig. "Er tat sich sehr schwer, darüber zu reden. Einmal habe ich mit ihm eine Radtour von Aschaffenburg nach Höchberg gemacht. Währenddessen habe ich gespürt, wie viel ihm dieser Ort bedeutet hat."
Umbettung des Lehrers
Stolz sei sein Vater auch darauf gewesen, so Maor junior weiter, dass es ihm gegen große Widerstände 1960 gelungen sei, seinen früheren Höchberger Lehrer Baron Ernst von Manstein vom Würzburger Hauptfriedhof auf den jüdischen Friedhof in Lengfeld umbetten zu lassen. Anfang dieser Woche suchte Maimon Maor gemeinsam mit Josef Schuster, dem hiesigen Präsidenten des Zentralrats der Juden, diese Grabstätte auf.
Detailliertes Kriegstagebuch
Doch zurück zum erschienenen Buch, das den Titel "Jüdisches Leben in Höchberg – Menschen und Orte" trägt. Verfasst worden ist es vom Historiker Roland Flade und der Kulturwissenschaftlerin Annette Taigel. Ersterer stellte in der Kulturscheune das tragische Schicksal der Höchberger Familie Bravmann vor. Vater Abraham zog 1914 mit 36 Jahren für das Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 4 an die französische Front. "Dieses Regiment kennt praktisch niemand, weil es nur kurz existiert hat", berichtete Flade: "Allerdings gibt es in der Staatsbibliothek in München ein sehr detailliertes Kriegstagebuch ausgerechnet über dieses Regiment." Daraus geht hervor, dass Bravmann gemeinsam mit drei anderen deutschen Soldaten am 10. Dezember 1914 in der Nähe von Verdun gefallen ist.
Die Bravmanns hatten eine Viehhandlung in der Höchberger Hauptstraße und waren gläubige Menschen. Abraham wurde auf einem provisorischen Friedhof in Frankreich beigesetzt, weshalb Mutter Jette und der vierjährige Sohn Julius ihm damals auch nicht die letzte Ehre erweisen konnten.

Jette Bravmann starb 1923 ebenfalls relativ früh. "Woran, wissen wir nicht", erklärte Flade. Ihre Grabstätte ist auf dem Höchberger Judenfriedhof. Der einzige Sohn wanderte 1936 noch rechtzeitig in die USA aus. "Dort verliert sich seine Spur", sagte Flade. Bekannt ist allerdings, dass Bravmanns Bruder Salomon und seine Frau Selma am 25. April 1942 von Höchberg aus nach Polen deponiert worden sind.
Bei Verdun gefallen
In dem Buch ist der brutal lange Weg gen Osten ohne ausreichend Essen und Getränke eindrücklich beschrieben – mit dem noch schlimmeren Ende. "Besonders tragisch ist bei den Bravmanns, dass ein Bruder für Deutschland im Krieg gefallen ist und der andere später im Auftrag der Nationalsozialisten ermordet wurde", so Autor Flade.
Dieses besondere Buch thematisiert natürlich die Shoa. "Der Völkermord an den Juden Europas muss uns ständig Mahnung sein", hatte Knahn zu Beginn dieses Sonntagnachmittags gesagt. Man dürfe aber auch die guten Zeiten des Zusammenlebens nicht vergessen. "Viele Jahrhunderte lang lebten wir nachbarschaftlich mit unseren jüdischen Mitmenschen in diesem Land und auch hier in Höchberg." Auch daran soll dieses Buch erinnern.
Bekannter Soziologieprofessor
Es ist für 14,90 Euro in der Höchberger Zweigstelle der Buchhandlung Schöningh erhältlich und präsentiert neben den Menschen den jüdischen Spaziergang durch Höchberg, den Taigel über viele Jahre in Natura angeboten hat. Auf dem Cover befindet sich übrigens genau das Mannschaftsfoto, auf dem Harry Obermayer im Sommer 1930 so breit grinste. Er starb 1982 als bekannter Soziologieprofessor mit knapp 70 Jahren.