Es schäumt, es strömt, es dampft – bald stehen Dunst und Nebel meterhoch über der riesigen flachen Wanne. Die Luft ist malzgeschwängert. Eben hat Siegfried Brückler den Hebel umgelegt – und oben, auf dem Dachboden des alten Hauses, sprudelt und fließt aus einem langen Rohr platschend der heiße, braune Gerstensaft mitten hinein ins Kühlschiff. Minutenlang.
Viele Stunden lang haben unten, im großen Kessel, Wasser und Malz gekocht und gebrodelt. Und jetzt, kurz vor Feierabend, steht das Wichtigste an: Aromahopfengabe! Letzte Würze! „Damit das Bier über Nacht nicht sauer wird und nach dem Gärprozess besser mundet.“ Frühmorgens um sieben hat der Arbeitstag von Siegfried Brückler angefangen. Er hat im Kommunbrauhaus von anno 1730 den Ofen geschürt und begonnen, 2000 Liter Wasser auf 50 Grad zu erhitzen. Hat neun Säcke Malz, 450 Kilo insgesamt, hoch in die Schrotmühle gebracht, mahlen lassen und dann eine Stunde lang unter ständigem Rühren Maische draus gemacht.
Eine Stunde später ging's mit dem duftenden Gemisch in die Sudpfanne. „Erst bei 62 Grad, dann bei 72 Grad“ – um die langen Zucker des Korns zu spalten und Gerstensaft draus zu kochen. „Sehr gesund!“, sagt Brückler im Brustton der Überzeugung. „Etwas Besseres gibt es gegen Erkältung und Halsschmerzen nicht.“

Brückler muss es wissen. Zum 1256. Mal hat er in dieser Woche im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim einen Sud angesetzt. Um zum 1256. Mal hat er im alten Kommunbrauhaus so gebraut, wie dort über Jahrzehnte und Jahrhunderte Bier gebraut wurde für alle Schlüsselfelder Bürger, auf deren Grundbesitz ein Braurecht lag. Über die alte Brauanlage der Bamberger Maschinenfabrik und Apparatebauanstalt von Kaspar Schulz, die urkundlich aufs Jahr 1844 zurückgeht, lässt Braumeister Brückler nichts kommen. Bis 1970 war sie in Schlüsselfeld im Landkreis Bamberg im Kommunbrauhaus in Betrieb. Und nachdem das historische Gebäude dort vor gut 30 Jahren abgebaut und ein paar Jahre später im Bad Windsheimer Museum im Mittelfränkischen wieder aufgebaut wurde – da sollte es in der funktionstüchtigen Anlage wieder blubbern, kochen, brodeln.

„Gelebte Geschichte!“, sagt Siegfried Brückler. Als er 1996 den ersten Sud im Freilandmuseum ansetzte, hätte er nie gedacht, dass er 23 Jahre später dort an 85 Tagen im Jahr Bier herstellen würde. Je 2500 Liter, die von der Bad Windsheimer Bürgerbräu dann im Ort ausgeschenkt und bis nach Berlin verkauft werden. Der 66-Jährige kommt aus Thüngersheim im Landkreis Würzburg. Weingegend eigentlich – und beim Schwiegervater war Brückler, der gelernte Brauer, auch einige Jahre lang Kellermeister. Nach 30 Jahren Tätigkeit in verschiedenen Betrieben und an hochmodernen Anlagen habe er sich gesagt, „mich sieht keine Brauerei von innen mehr“.
Aber dann war da die alte Anlage im noch viel älteren Brauhaus im Freilandmuseum mit Sudpfanne, Maische- und Läuterbottich. Und vor allem mit Rührwerk, Becherwerk und Schrotmühle, die vor über 100 Jahren schon mechanisiert und mit Strom über die Transmission angetrieben wurden und vom Stand der Technik im 19. Jahrhundert zeugen. Ein Mann alleine kann hier Bier brauen.

Und dieser Mann war vor 23 Jahren eben der Unterfranke Siegfried Brückler. Mit einem Brautag in der Woche fing er an, bei Sud Nummer 250 wollte er aufhören. Inzwischen ist Brückler in Rente – und bei Sud Nummer 1256 angelangt. Seit einigen Jahren braut er von März bis Ende Oktober drei oder vier Mal in der Woche. Weil er Geschichte vermitteln will, die Tradition lebendig halten. Und weil er nach wie vor so gerne das zelebriert, was für ihn das Schönste ist am Brautag: die letzte Hopfengabe oben am Kühlschiff, in dem dampfend, duftend der heiße Gerstensaft strömt. An den großen Brautagen im Museum und wann immer es geht, legt er die letzte Würze für das besondere Aroma „in die Hände einer schönen Frau“.

Das Brauen selber „geht so nebenher“, sagt der 66-Jährige. Es sei ja „in erster Linie Öffentlichkeitsarbeit“, die er da von Sonntag bis Dienstag oder Mittwoch mache. Das Fränkischen Freilandmuseum will mit 100 Höfen, Gebäuden und Häuschen eine Zeitreise durch 700 Jahre Alltagsgeschichte bieten. Und Siegfried Brückler erklärt halt kleinen und großen Besuchern gerne – mit Geschick, Geduld und Kreide an einer kleinen Tafel – was der Unterschied zwischen obergärigem und untergärigem Bier ist, was die Hefe macht und wieso es unbedingt den Hopfen braucht. Der Thüngersheimer selbst trinkt ja am liebsten Helles, bei Zimmertemperatur. Und lieber zwei Bier als eines, aber keine drei. „Das hat mit Genuss nichts mehr zu tun.“ Bier ist für ihn Lebensmittel – und Kulturgut.
Wenn nach dem stundenlangen Kochen oben unter dem Dach der Sud zum Abkühlen in den riesigen Alutrog geflossen ist und alle Hopfenpellets von zarter Hand eingestreut wurden – „ist mein Tag rum“, sagt der Museumsbraumeister. Gären wird das Bier bei der Bad Windsheimer Bürgerbräu – sechs Wochen lang, dann kommt es in Bügelflaschen und im Wirtshaus am Brauhaus im Museum auf den Tisch. Der Bezirk Mittelfranken hat Brückler dieses Jahr mit dem Ehrenbrief ausgezeichnet – weil er quasi eine Institution ist und die Brauerei am Laufen hält.
Wie lange er noch den Sudkessel schüren wird? Noch bis Mitte nächster Woche – dann ist Winterpause.

Das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim hat noch bis 26. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet, bis dritten Advent dann Di.-Fr. von 10.30 bis 16 Uhr, sonntags von 10 bis 16.30 Uhr. Infos unter Tel. (09841) 6680-0 und www.freilandmuseum.de