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"Der Mensch hat mich am meisten interessiert"

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"Der Mensch hat mich am meisten interessiert"

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    Ob in der Füchsleinstraße oder in der alten Augenklinik am Röntgenring, in die die Psychiatrische Klinik der Universität Anfang der 70er Jahre vorübergehend gezogen war: Donnerstagnachmittag um 17 Uhr war der Hörsaal mit den knarzenden Bänken immer voll. Grund für das Interesse der angehenden Mediziner und Juristen war das Kolloquium über Forensische Psychiatrie mit Krankenvorstellung, das regelmäßig donnerstags stattfand. Hans Sattes, damals noch Leitender Oberarzt an der Nervenklinik, hatte immer einige seiner Patienten - mit deren Einverständnis - zu der zweistündigen Veranstaltung mitgebracht.

    Menschen zum Beispiel, die unter Wahnvorstellungen litten, Stimmen hörten, die aus der Gasleitung oder dem Fußboden kamen. Sattes befragte die Patienten, berichtete darüber hinaus von markanten Fällen aus seiner Gutachtertätigkeit, von Geschichten aus dem Drogenmilieu bis zum schrecklichen Mord an einer alten Frau an einem heißen Sommertag. Und die Studenten erhielten so einen Einblick in die Denkwelt und die Phantasien psychisch kranker Straftäter, Einblick in das Dunkel der menschlichen Seele. Auf einer der hinteren Bänke im Hörsaal saß nicht selten Professor Heinrich Scheller, ehemaliger Direktor der Nervenklinik, und beteiligte sich lebhaft an der Diskussion. Von ihm berichtete Sattes einmal, dass er mitunter Patienten ein halbes Jahr lang mehrmals in der Woche untersucht habe, um "bis in die letzte Tiefe" ihres Wesens vorzudringen.

    Sattes war davon wohl selbst nicht weit entfernt. Manche "Karriere" vor den Schranken des Gerichts begleitete er über Jahre. Der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, hatte 1940 als Medizinstudent an der Würzburger Klinik begonnen. "Ich habe die Medizin in Kauf genommen, um Psychiater zu werden", sagte er. Zu jener Zeit war der berüchtigte Professor Werner Heyde Klinikchef, der Zehntausende von Kranken während des Dritten Reiches in den Tod schickte. Bevor ihm der Prozess gemacht werden konnte, hatte er sich 1964 in der Haftanstalt Butzbach in seiner Zelle erhängt. Jahre später hatte Sattes, wie er einmal erzählte, einen Häftling aus Butzbach zu begutachten, der ihm versicherte, er habe damals den Massenmörder "in der Zelle abgeschnitten".

    Zur Euthanasie, wie man die Tötungen jener Zeit beschönigend nannte, hatte sich Sattes später in der Diskussion um Sterbehilfe immer wieder geäußert und eindringlich gewarnt, wenn dabei vom "Erlösen" gesprochen werde: "Nicht die Kranken wollen erlöst werden, sondern wir", sagte er.

    Nach dem Krieg war Sattes als Arzt an die Würzburger Nervenklinik gekommen, die vom Bombenangriff des 16. März 1945 nahezu verschont geblieben ist. 1960 wurde ihm die Amtsbezeichnung außerplanmäßiger Professor verliehen, 1978 wurde er ordentlicher Professor. In seinem "Unruhestand" nach 1982 war der Psychiater noch lange Zeit und über Würzburg und Unterfranken hinaus ein viel beschäftigter und sehr gefragter Gutachter. Er wurde als Kapazität in seinem Fach von den Strafrichtern geschätzt. "Er verbringt seine Wochenenden in den Gefängnissen", witzelte ein Kollege über ihn, da war Sattes bereits über 77 Jahre alt. In der Sanderau, wo er wohnte, konnte man ihm gelegentlich begegnen, immer mit der unvermeidlichen Aktentasche in der Hand.

    Psychische Krankheiten waren für den umtriebigen kleinen Mann mit den freundlichen, wachen Augen "die eigentlichen menschlichen Krankheiten". Auf die Frage, was ihn bei seiner Arbeit am meisten interessiert habe, antwortete er einmal: "Der Mensch hat mich am meisten interessiert".

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