Heidingsfeld kennt jeder. Weil er schon mal beim Faschingszug war, sich Hannes Wader im Radlersaal angehört hat oder bei Möbel Neubert einkaufen war. Wer Heidingsfeld etwas besser kennt, weiß, dass es das „Städtle“ ist. Weil die Heidingsfelder noch heute stolz sind, dass sie bereits 1367 die Stadtrechte bekamen. Und sie fühlen sich noch immer als selbstständige Kleinstadt mit ihren vielen alteingesessenen Geschäften, Klein- und Großbetrieben, obwohl sie 1930 nach Würzburg eingemeindet wurden.
Wer Heidingsfeld noch besser kennen lernen will, trifft sich mit Otto Baumann. Der 62-jährige war bis vor kurzem Fahrer des Würzburger Bischofs. Seit seinem Ruhestand kann sich der gebürtige Heidingsfelder noch mehr dem Sammeln alter Ortsfotos und dem Bilderarchiv von Walter Obst widmen, dem 2005 verstorbenen Ortschronisten. Baumann steht am Rathausplatz, was ein irreführender Name ist. Denn im 1960 erbauten Rathaus, an dessen Giebelseite das bärtige Giemaul (ein Verräter, der die Stadt 1631 den Schweden auslieferte) bei jedem Stundenschlag seinen Mund aufreißt, hat nie ein Rat getagt. Es ist ein Bürgertreff, in dem seit 40 Jahren die Stadtteilbücherei beheimatet ist, das städtische Forstamt seinen Dienstsitz und die Bürgervereinigung, Dachorganisation der über 45 Vereine, ihre Geschäftsstelle hat.
Und der Platz am Rathaus mit viel Autoverkehr ist auch kein Platz. Soll es aber werden. Seit Jahrzehnten. Mit einem einheitlichen Pflaster und möglichst autofrei. Warum aus den vielen Plänen bislang nichts geworden ist? „Es liegt nicht daran, dass die Heidingsfelder sich über die Gestaltung nicht einig sind, wie man im Rathaus oft behauptet“, sagt Baumann. Er vermutet, es hat am politischen Willen gelegen. Und am Geld. Mit dem im Frühjahr vorgestellten Integrierten Stadtteilentwicklungskonzeptes (ISEK) soll alles anders werden und das Städtle eine Verschönerungskur bekommen – inklusive eines neuen Rathausplatzes.
Schon jetzt steht am Rathaus eine besondere Litfaßsäule, an der nur die Ortsvereine ihre Plakate und Bekanntmachungen anbringen dürfen. Sie ist gut beklebt. „Fast jeder ist Mitglied in mindestens einem Verein“, sagt Baumann und erklärt gleich mal die Ortssoziologie: „Hätzfelder darf sich nur nennen, wer hier geboren ist und innerhalb der alten Stadtmauer lebt. Die Zugezogenen sind die Heidingsfelder“.
Und beide Gruppen müssen zum Einkaufen nicht zwangsläufig in die „Vorstadt“, also nach Würzburg. Otto Baumann zeigt auf die Einkaufsachse Wenzel- und Klosterstraße. Metzger, Bäcker, Lebensmittelmarkt, Bank, Schuhladen, Buchgeschäft, Arzt, Apotheke, Tankstelle – alles da. Und natürlich Gastwirtschaften – wie die Altdeutsche Weinstube gleich ums Eck.
„Beim Seppi“ ist eine Hochburg der Hätzfelder Stammtische. Zu den Stammgästen zählt Victor Heck, schon von „Berufswegen“. Der 61-Jährige ist Vorsitzender der Bürgervereinigung. Die 1953 gegründete Dachorganisation der Vereine koordiniert den Veranstaltungskalender und mischt auch kommunalpolitisch mit – sei es bei Problemen wie Geruchsbelästigung durch die Fettschmelze Unimelt, früher Unkel, oder beim Bahnlärm. „Wir vermitteln vor allem und versuchen anzuschieben“, sagt Heck.
Das gilt auch für die „Bauhütte-Alt Heidingsfeld“ der Bürgervereinigung. Diese versucht, historische Bauten zu erhalten. Wie den Stegenturm, den Baumann auf dem Rundgang zeigt. Oder die alte Stadtmauer. Den ehemaligen Kerker Salmannsturm am Ostbahnhof hat vor allem der Hätzfelder Kreis – für die Ortsgemeinschaft engagierte Hätz- und Heidingsfelder – als Vereinsdomizil auf Vordermann gebracht. Ein paar Meter weiter steht am Dürrenberg Nummer 14 das älteste Würzburger Bürgerhaus. 1431 errichtet, hat es der Heidingsfelder Architekt Jürgen Schrader vor 15 Jahren von Grund auf saniert.
An jeder Ecke ein Stück Geschichte: Zur Waltherschule ging einst ein ABC-Schütze namens Dirk Nowitzki. Ein paar Meter weiter in der Berggasse wurde mit der ehemaligen Schreinerei Neubert der Grundstein zum großen Einrichtungshaus gelegt. Am Dürenberg steht eine Gedenksäule als Mahnmal für die dort in der Pogromnacht zerstörte Synagoge. „Hier lebten immer viele Juden, zeitweise ein Fünftel der Bevölkerung“, erzählt Baumann.
Das spezielle Flair im Städtle machen die vielen alten Häuser aus, die so alt gar nicht sind – beim Bombenangriff am 16. März 1945 wurde Heidingsfeld zu 90 Prozent zerstört. „Viele jüngere Familien begeistern sich immer mehr fürs Wohnen innerhalb der Stadtmauer“, berichtet Baumann. Stephanie Böhm in der Dollgasse kann es bestätigen. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern hat sie vor sieben Jahren ein leer stehendes Haus gekauft. Mittlerweile sind weitere Familien in der Nachbarschaft dazu gekommen. „Hier liegt alles zentral“, sagt die 44-jährige Dozentin an der Akademie Frankenwarte. Sie schätzt das „Leben im Quartier“, bei dem auch mal Straßenfeste gefeiert werden und liebt den „pittoresken Charme“ des Städtle.
Trotz lauschiger Plätzchen und Gärten im Schatten der Stadtmauer herrscht keine Postkartenidylle mit perfekt herausgeputzten Anwesen wie in Rothenburg oder Sommerhausen. Früher gab's mal das „Punker-Haus“, das die Hätzfelder mit lauten Partys verwirrte. Den Exotenstatus genießt derzeit die bunte „Wagenburg“ am Main.
Manch Fremden mag die selbstbewusste Heimatliebe der Bürger etwas exotisch vorkommen. „Doch unsere Eigenständigkeit ist auch geografisch geprägt“, sagt Victor Heck, „eingekesselt von Main, Bahn und Autobahn.“ Trotzdem soll der Hätzfelder kontaktfreudiger sein als bisweilen vermutet. „Wir versuchen schon, mit anderen zu sprechen“, scherzt Otto Baumann.