Zu Hause, da hatte er eigentlich ein recht klares, positives Bild von der deutschen Kanzlerin. In Brasilien gilt Angela Merkel als politische Kämpferin für das Weltklima. Jetzt sitzt Luiz Eduardo Garcia da Silva Tausende Kilometer von seiner Heimat-Universität in Porto Alegre entfernt in einem Seminarraum am Wittelsbacherplatz in Würzburg – und ist durchaus irritiert.
Soeben hat er von dem Grünen Bundestagskandidaten Martin Heilig gehört, dass seine Partei mit Merkels Klimabemühungen so gar nicht zufrieden ist. Dass vielen Worten viel zu wenige Taten folgten.
Natürlich – es ist Wahlkampfzeit in Deutschland, dessen ist sich der 29-Jährige aus Brasilien bewusst und weiß die grüne Kanzlerschelte einzuordnen. Aber sein persönliches Merkel-Bild wurde doch um einige Facetten bereichert – und nicht nur das, sondern überhaupt seine Vorstellung vom Politikbetrieb in Deutschland so wenige Wochen vor der Bundestagswahl.
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Garcia da Silva ist einer von 25 jungen internationalen Studenten der Summer School „German Politics“, die eine Woche lang vom Institut für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Würzburg ausgerichtet wird. Aus 13 Ländern stammen die Teilnehmer – und bringen entsprechend vielfältige Blicke auf die deutsche Politik mit nach Würzburg. Oder doch auch Vorurteile und Klischees?
Angenehm überrascht ist der Holländer Vincent Bloem darüber, wie offen in Deutschland die Flüchtlingsdebatte geführt wird, „mit allen Pros und Kontras, ohne Tabus.“ Das hatte der 22-jährige Politikstudent nicht in dieser Weise erwartet.
Umgekehrt staunt seine Landsfrau Vicky Seveke darüber, wie stark in Deutschland die Rolle der Kirchen in der Frage der Homo-Ehe ist. Da sei in den Niederlanden ein deutlich stärkerer Liberalismus vorzufinden.
Deutsche Innensicht
Die 22-Jährige ist dankbar für diese Erfahrungen. Sie studiert an der Universität von Twente öffentliche Verwaltung und geht davon aus, später einmal grenzüberschreitend tätig zu sein. Da ist es nur hilfreich, ein gutes Gespür und Hintergrundwissen über das Nachbarland zu haben.
Oder wie es Amit Upadhyay aus Indien formuliert: „Wir hatten vorher nur theoretisches Wissen über Deutschland. Jetzt erleben wir die Innensicht und lernen deutlich mehr als nur aus Büchern.“
Die „Summer School“, die zum dritten Mal an der Uni Würzburg durchgeführt wird, trägt zu einem kompletteren und realeren Deutschland-Bild bei – und darüber hinaus erfahren die Studenten im gegenseitigen Austausch jede Menge über die Verhältnisse in anderen Ländern. Eine globalisierte Bildungswoche, von der auch das Würzburger Institut für Politikwissenschaft profitiert.
Internationale Politikwissenschaft
„Die Internationalisierung ist für unsere Universität ein zentrales Thema“, sagt Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet. Die Politikwissenschaftlerin ist für ihre Fakultät in der eigens eingesetzten Internationalisierungskommission der Uni Würzburg tätig.
Die „Summer School“ wird gut nachgefragt und stärke die Profilbildung ihres Instituts. Außerdem entstehen internationale Vernetzungen. So wurden durch Kontakte aus der Sommerwoche bereits Mitarbeiter der Würzburger Uni für Vorträge im Ausland angefragt. Auch andere Fakultäten warten in diesen Wochen mit Summer Schools auf.
Das Programm für die Teilnehmer in der Politikwissenschaft ist gespickt mit Fachvorträgen zum politischen System und zu politischen Entwicklungen in Deutschland – und die Studenten beteiligten sich überaus aktiv mit kritischen Nachfragen und Diskussionsbeiträgen.
Anja Zürn und Manuel Pietzko, beide Mitarbeiter am Politik-Institut, sind zufrieden mit der Gruppe: „Sie sind ungemein interessiert und aufgeschlossen.“ Das merkte auch Grünen-Kandidat Martin Heilig, der von den Studenten mit Fragen gelöchert wurde. Und so manche Herausforderung ist in Deutschland die gleiche wie in Bulgarien, Spanien oder in Georgien.
Gespräch mit Bundestagskandidat
Irali Turkadze (20) studiert dort an der staatlichen Universität Tiflis. Auch in Georgien spielen die Sozialen Medien für Wahlkämpfe eine immer größere Rolle. Wie also will Heilig mit seinen Grünen die Wähler erreichen? Und, setzt die Slowakin Jana Sidlikova (24) hinzu: Ist es für junge Leute überhaupt noch attraktiv, sich in der Politik zu engagieren, wenn nur noch von einem „schmutzigen Geschäft“ die Rede ist?
Der Würzburger Grünen-Politiker kommt gut ins (englisch geführte) Gespräch mit den jungen Leuten aus vier Kontinenten, berichtet über Erfahrungen aus Parteipolitik und über Bürgerentscheide.
Natürlich: Die sozialen Medien hätten für die politisch Aktiven enorm an Bedeutung gewonnen. So sei jüngst ein auf Emotion ausgelegtes Werbevideo vor dem Würzburger Bürgerentscheid über 30 000-mal aufgerufen worden. Die Parteien müssten diese Online-Plattformen aktiv und kreativ bespielen.
„Wir haben viele junge Freiwillige, die uns helfen“, sagt Heilig zum eigenen Wahlkampf. Und überhaupt: Er habe deutlich den Eindruck, dass junge Leute wieder politischer werden. Der Kandidat führt dies nicht zuletzt auf globale Umwälzungen wie in der Flüchtlingsthematik, in der Türkei oder in den USA zurück.
Auch die Nachfrage nach der Würzburger Sommerwoche könnte ein Indiz dafür sein. Mittlerweile verzeichnet die Summer School „German Politics“ mehr Bewerber als vorhandene Plätze. Ein Dutzend Anfragen mussten in diesem Jahr aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden.