Im zweiten Stock des Rathauses, im Zimmer 204b, zwischen den Büros des zweiten und der dritten Bürgermeisterin, residiert die Europäische Union. Hierhin, an die Informationsstelle Europe Direct, kann sich wenden, wer Fragen hat zur EU. „Wir sind Brüssel vor Ort“, sagt die Sachbearbeiterin Rabia Ünlü. „Wir können weitergeben, was in Brüssel passiert und was man wissen sollte, bevor man sich eine Meinung bildet“.
Die Europäische Union hat es nötig. Das Eurobarometer, eine halbjährliche Umfrage der EU, brachte im vergangenen Jahr einen eklatanten Mangel an Wissen über ihre Institutionen zutage. Den größten Bekanntheitsgrad erreichte in Deutschland das Europäische Parlament – 64 Prozent der Befragten war es bekannt, 53 Prozent in allen, damals noch 27, EU-Staaten.
Immerhin 70 Prozent der Deutschen hielten die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache (nur 50 Prozent EU-weit), aber nur bei 46 Prozent rief die EU ein insgesamt positives Bild hervor (40 Prozent EU-weit). Und nur sechs Prozent der befragten Deutschen meinten, dass ihre Nationalität in Zukunft keine Rolle mehr spielt, dass sie dann nur noch Europäer sind (vier Prozent EU-weit).
Wie notwendig eine Informationsstelle wie Europe Direct ist, führte die SPD mit einer europapolitischen Wahlkampfveranstaltung vor. Titel: „Was hat Würzburg von Europa?“. Homaira Mansury, die Bundestagskandidatin der Würzburger Sozialdemokraten, eröffnete mit dem Gefühl vieler, die EU sei „weit weg von den 28 Staaten, den Regionen und Bürgerinnen und Bürgern“ und widersprach: Die SPD sehe das „gar nicht so“. Denn auch Bayern profitiere von der Regionalförderung aus Brüssel, über 900 Millionen Euro flössen in der aktuellen Wahlperiode (von 2009 bis 2014) in den Freistaat. In der kommenden Periode wird die Fördersumme deutlich schrumpfen, auf rund 700 Millionen Euro.
Großer Einfluss auf den Alltag
OB Georg Rosenthal stellte Projekte vor, von denen er sagte, ohne EU-Förderung gebe es sie nicht: die Aktion Jugend und Arbeit (AJA), die in den vergangenen vier Jahren rund 170 000 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) bekommen habe, den Jugendhilfebetrieb Gasthaus Tilman am Ulmer Hof (rund 190 000 Euro von September 2012 bis August 2013), das Projekt Zukunft Ausbildung im Quartier (ZAQ) (30 000 bis 40 000 Euro jährlich) oder das Schulverweigerungsprojekt Roven bei Don Bosco, das binnen zwei Jahren mit 100 000 Euro aus ESF-Mitteln finanziert wurde.
Eine komplette Übersicht über den Einsatz von EU-Mitteln in Würzburg gibt es ebenso wenig wie genaue Zahlen über die Gelder, die aus Würzburg an die EU fließen. Die Informationsstelle Europe Direct gibt zur Auskunft, im Jahr 2011 habe jeder Einwohner Deutschlands 110 Euro bezahlt. Mehr hätten die Bewohner von sechs anderen EU-Ländern überwiesen, am meisten die Bevölkerung Dänemarks mit 150 Euro pro Person.
Die EU nimmt maßgeblich Einfluss auf den Alltag ihrer Bürger. Kerstin Westphal, die SPD-EU-Abgeordnete aus Schweinfurt, berichtete, 60 Prozent aller Entscheidungen, die für Kommunen wichtig sind, kämen von der EU. Für sie ist die Europäische Union unter anderem ein Instrument, globale Probleme zu bewältigen; Kommune, Land, Bund und EU müssten dafür „noch stärker verzahnt werden“. Westphal war Sprecherin ihrer Fraktion, der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, als der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) für die Jahre 2014 bis 2019 ausgehandelt wurde. Eineinhalb Jahre, sagt sie, habe das gedauert. Das Publikum, keine 20 Leute, bekam eine Ahnung, wie komplex die Abstimmung der Interessen der zahlreichen Regionen aus 28 Mitgliedsstaaten ist.
Im zweiten Stock des Rathauses versuchen der EU-Koordinator Holger Morell und die Sachbearbeiterin Rabia Ünlü, die komplexe EU übersichtlich zu machen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Versorgung der Schulen mit Informationsmaterial und pädagogischen Handreichungen. Ünlü sagt, die Materialien würden Spaß machen, auch Erwachsene könnten sich damit spielerisch informieren: „Die Lehrer können kommen. Europe Direct weiß, wo man was findet.“ Morell sagt: „Für Unternehmen, Institutionen, Vereine, Schulen, für alle sind wir da, wenn Fragen auftauchen. Alle Bürger können sich an uns wenden.“
Europe Direct, Rathaus, Zimmer 204b, Tel. (0931) 37-22 76, E-Mail europe.direct@stadt.wuerzburg.de. Mehr unter www.wuerzburg.de/de/buerger/europe-direct-wuerzburg/index.html