Er ist der Donau entlang bis zum Schwarzen Meer geradelt, dann weiter durch die Türkei, Iran, Pakistan, China und Japan. Nach einem Flug über den Pazifik ist der 23-jährige Michel Leisner nun in Los Angeles angekommen und gen Süden weitergeradelt, nach Mexiko. Seine lesenswerten Reiseberichte findet man auf Facebook nach der Eingabe dess Stichworts „Liegerad Weltumrundung“. Wir haben das Interview mit dem Würzburger via Facebook-Chat und E-Mail geführt.
Frage: Sie berichten über Ihre Fahrt durch die chinesische Taklamkan-Wüste, sie hätten im Zelt, bei minus 18 Grad, Brot, Wurst und Wasser im Schlafsack vor dem Einfrieren geschützt, damit Sie morgens ein Frühstück haben. Ihre Radtour um die Welt muss ein Riesenspaß sein.
Michel Leisner: China ist neben Iran mein Lieblingsland bisher. Aber im Westen hatte ich schon eine sehr harte Zeit. Ich habe oft gefroren. Die Städte sind dort um die 400 Kilometer voneinander entfernt, mit fast nichts als Wüste zwischendrin.
Wie haben Sie das überstanden?
Leisner: Ich ging ich in jeder Stadt in ein Hotel, um mich zu erholen, Essen für die nächsten vier Tage zu kaufen und meine zwei Schlafsäcke zum Trocknen zu bringen. Denn durch die Kälte kondensierte jede Nacht die Feuchtigkeit von meinem Körper an meinem Schlafsack, wodurch dieser jede Nacht feuchter und damit weniger isolierend wurde.
Das klingt nicht kuschelig. Auf Ihrer Facebook-Seite erzählen sich auch von Stürzen auf schneeglatten Pisten und von der endlosen, kalte Wüste.
lEISNER. Auch wenn ich all das, als ich dort war, manchmal verflucht habe, machte es diesen Teil der Reise dennoch zu einem besonderen Abenteuer, das einen formt und eine einzigartige Erfahrung darstellt. Ich bin im Nachhinein froh, das erlebt zu haben.
Was ist toll an China?
lEISNER. Nachdem ich Xinjiang verließ, wurde vieles einfacher. Es wurde wärmer, bald konnte ich wieder mit T-Shirt radeln und ich kam im Zentrum Chinas in ein wundervolles Gebiet mit kaum Touristen und freundlichen Menschen, von denen ich so viel Hilfe erhielt. Dazu atemberaubende Landschaften, einfach unbeschreiblich. Endlose, hoch gelegene, teilweise verschneite Terrassenberge in abgelegenen Gebieten mit jahrhundertealten Klöstern.
Sie haben in der Türkei, im Iran und in Pakistan eine in Deutschland völlig unbekannte Gastfreundlichkeit erlebt. Wie war das in China?
Leisner: Ich ging jeden Abend in ein günstiges Restaurant, um etwas zu essen. In ungefähr 20 Prozent der Fälle ging das Essen aufs Haus und ich wurde sogar zum Übernachten von den Leuten dort eingeladen.
Sie haben sich in China mit Hilfe des Google-Übersetzers auf dem Handy verständigt. Und sonst?
Leisner: Besonders geholfen hat mir Vivian Liu aus Lanzhou, in der ich einen sehr guten Freund gefunden habe. Während meines gesamten Chinaaufenthaltes hatte ich täglich Kontakt zu ihr. Sie war für mich durchgehend als Übersetzerin übers Telefon abrufbar, was ich sehr oft in Anspruch nehmen musste. Sie gab mir Tipps für die beste Reiseroute, lud für mich, während ich unterwegs war, mehrmals das Prepaid-Guthaben meines Handys auf, leistete mir bedeutende Hilfe bei der Beschaffung der Verlängerungen für mein Visum und war immer für mich da, wenn ich irgendeine Art von Hilfe brauchte.
Sie haben Sachen gegessen, die bei Europäern nur in Albträumen vorkommen.
Leisner: Das Essen in China ist nicht nur günstig, sondern auch unglaublich interessant, lecker und gesund. Ich hatte kein Gericht, das mir nicht vorzüglich schmeckte. Dazu kommt, dass ich ungewöhnliches Essen probieren konnte.
Zum Beispiel?
Leisner: Schafpenis, Schafhoden, Seidenraupen, Hundefleisch, Skorpione, Grillen, Entenfüße, Schafgehirn und Augäpfel direkt aus dem Schädel . . .
Mahlzeit.
Leisner: Viele Leute würden das ekelhaft finden, aber ich fand diese Gerichte äußerst schmackhaft. Ich möchte in meinem Leben immer viel Neues erleben und probieren und ich bin für fast alles offen.
Und was gefiel Ihnen nicht in China?
Leisner: Mir kommt jetzt spontan nichts Besonderes in den Sinn.
Wie war Japan?
Leisner: Ein riesiger Unterschied zu China. Ein hoch entwickeltes, reiches, unglaublich ruhiges, sauberes, ordentliches und sicheres Land. Die Leute sind mit sich selbst beschäftigt und haben perfekte Manieren. Deswegen war es leicht, dort durchzufahren, meist aber auch relativ einsam. Es war mehr eine Fahrradtour als ein Abenteuer.
Dann radelten Sie durch die USA nach Süden und begegneten wieder ganz anderen Menschen.
LEISNER: Hier sind sie ziemlich offen und ich werde oft auf meine Reise angesprochen. Ich habe schon auch viel Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit erfahren.
Sie berichten von Leuten, die Sie unterwegs mit Getränken versorgten, dass Sie in manchen in Restaurants nicht zahlen mussten und eine Hautärztin sie kostenlos behandelte. Wie funktioniert das Übernachten, wenn Sie nicht zelten?
Leisner: Über Couchsurfing (das ist ein übers Internet organisiertes Netzwerk von Privatleuten, die Reisende kostenlos aufnehmen, d. Red.). Ich habe leicht Gastgeber gefunden, die wiederum Freunde in anderen Städten hatten, bei denen ich ebenfalls übernachten konnte.
Sie sind in Asien über die verschneiten Pässe des Karakorum-Gebirges geradelt, in den USA durchs Death Valley. Sie zelteten im Yosemite-Nationalpark, wo Ranger vor den Angriffen der Schwarzbären warnen. Graut Ihnen vor gar nichts?
Leisner: Ich habe keine Angst und mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Ich bin auf dieser Weltreise schnell abgehärtet. Ich habe keine Angst mehr auf Leute zuzugehen, selbst wenn ich nicht ihre Sprache spreche und denke mir nichts mehr dabei, wenn ich irgendwo wild in der Dunkelheit mein Zelt aufzubauen. Wüsten und verschneite Pässe, generell die Natur, sehe ich nicht wirklich als Gefahren sondern eher als Herausforderung an.
Aber da kann allerhand passieren.
Leisner: Ich mache mir keinen Kopf darüber und nehme die Dinge so, wie sie kommen.
Sie gehen Risiken ein. Wie war das in Pakistan?
Leisner: Kurz vor meiner Ankunft in Pakistan wurde dort ein Paar aus der Schweiz entführt. Ein pakistanischer Polizist zeigte mir ein Foto auf seinem Handy, auf dem dieses Paar bei ihm zu Gast ist und Tee trinkt. Kurz nachdem ich Pakistan verließ, wurde ein anderer Weltumradler dort ausgeraubt, den ich unterwegs in Rumänien getroffen hatte.
Jetzt sind sie in Mexiko. Das Auswärtige Amt warnt vor den Gefahren durch die Kriminalität.
Leisner: Da gibt es einen Krieg zwischen Drogenbanden und der Regierung, mit 42 000 Toten. Ich mache mir darüber schon ab und zu Gedanken und versuche, in solch gefährlichen Gegenden vorsichtig zu sein. In Pakistan habe ich beispielsweise nur ein einziges Mal gecampt. Angst habe ich jedoch nicht.
Sie vertrauen darauf, dass alles gut geht?
Leisner: Ja.
Wie können Sie das?
Leisner: Schließlich leben überall dort, wo ich durchfahre, auch Menschen, was für mich heißt, dass auch ich dort überleben kann. Und es haben vor mir auch schon Andere geschafft. Ich hab einfach die Ruhe weg.
Und Sie haben wirklich nie Angst?
Leisner: Nur in Situationen, in denen ich mich unmittelbar von einer Gefahr bedroht fühle, was bis jetzt so gut wie nicht vorkam.
Sie sind nun schon seit über 13 Monaten unterwegs. Wissen Sie noch, wie Sie da drauf waren?
Leisner: Vor meiner Reise hatte ich keine besondere Einstellung gegenüber anderen Völkern oder Gruppen. Ich bin ohne große Vorurteile losgefahren und wollte mir direkt vor Ort ein eigenes Bild machen.
Und jetzt? Sind Sie ein anderer geworden?
Leisner: Ich habe mich verändert, ja. Ich hielt die Welt für unendlich groß, Deutschland für das Zentrum und hatte kaum eine Vorstellung davon, wie die Welt außerhalb von Mitteleuropa aussieht, wie die Menschen in anderen Ländern leben. Nun kommt mir die Welt winzig vor, immerhin kann man auf einem simplen Fahrrad einmal um sie herum fahren und sie erkunden. Ich habe viele verschiedene fremde Kulturen und Mentalitäten kennen gelernt, die vorher für mich ein Mysterium waren, jetzt ist ihre Existenz für mich selbstverständlich und sie kommen mir nicht mehr fremd vor. Deutschland ist nicht mehr das Zentrum der Welt, sondern ein Land mit einer Kultur und Mentalität von vielen anderen.
Sie haben eine Kultur der Gastfreundschaft kennen gelernt, die den meisten Mitteleuropäern völlig fremd ist.
Leisner: Diese unglaubliche Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die ich erfahren habe, hat mich zu einem freundlicheren Menschen gemacht. Ich freue mich über jede Hilfe, die ich geben kann. Ich bin ein viel offener Mensch geworden. Ich hätte mir vorher nie vorstellen können, bei fremden Leuten zu übernachten oder sie bei mir übernachten zu lassen. Jetzt betrachte ich das als eine wunderbare Form von Menschlichkeit. Die Armut und das Elend, das ich in einigen Teilen der Welt sah, hat mir bewusst gemacht, wie unglaublich gut es mir in Deutschland ging. All die Abenteuer haben mich reifer gemacht und mir geholfen zu verstehen, wie die Welt aussieht und funktioniert. Ich weiß, warum ich das tue: Weil es die größte Lebenserfahrung ist, die ich bis jetzt hatte.