Da liegt sie nun. Zerlegt in zweiundzwanzig große Steinplatten und Hunderte von kleinen Einzelteilen. Der einstige Fingerzeig der Macht, die sogenannte Mautpyramide, ist ganz und gar nicht mehr erhaben. Ein 40 Tonnen schwerer Sattelzug stieß das historische Denkmal bei dichtem Nebel auf der Bundesstraße 13 zwischen Ochsenfurt und Oberickelsheim am 3. Dezember 2010 um. Der Obelisk hatte keine Chance. Schnell verteilten sich die steinernen Relikte über die ganze Fahrbahn. Noch am gleichen Tag stellte ein Restaurator an der Unfallstelle alle Einzelteile des Steinpfeilers sicher. Fast zwei Jahre lagerten sie in Ochsenfurt in der Straßenmeisterei. Jetzt werden die Teile in einer Halle in Winterhausen wieder zusammengesetzt.
Hans Stahl, Inhaber des Steinmetzgeschäftes E. Geisendörfer in Würzburg, und seine beiden Kollegen stehen vor fünf großen Plastikwannen. Die Behältnisse sind voll mit Steinen. Große und kleine. Gut erhaltene und abgebröckelte. Manche sind eindeutig zuzuordnen. Bei anderen beginnt die Puzzlearbeit. Für jeden Steinbrocken gibt es einen Platz. „Den gab es vorher und den gibt es auch jetzt. Wir müssen ihn nur finden“, sagt Hans Stahl und probiert weiter. Irgendwann passt das Teil in den großen Steinquader. Geschafft. Mit Epoxidharz wird der Steinbrösel an die richtige Stelle geklebt. Fertig. Der nächste Puzzlestein ist dran bis am Ende keiner mehr übrig ist. Zwei Wochen arbeiten Hans Stahl und die Restauratoren Alfred Deen und Veselin Pusic an dem historischen Denkmal bereits. Und noch immer liegen jede Menge Steine herum, für die sie bisher noch keine passende Lücke gefunden haben.
Die Arbeit ist anspruchsvoll. Denn die Restauratoren achten darauf, dass sie möglichst viel von der alten Substanz der Mautpyramide erhalten können. Einen Tag braucht es bis die kleinen Steinbrocken fest an den großen Quaderblöcken kleben. Dann können die Männer weiterarbeiten. Mit Dübeln aus Edelstahl werden die Teile kraftschlüssig miteinander verbunden. Apropos Dübel. Der Baumeister der Mautpyramide hat sich eine geniale Konstruktion einfallen lassen, um die einzelnen Platten zusammenzuhalten. Passgenaue Steindübel als Verbindungszapfen im Inneren des Obelisken. „So etwas habe ich noch nicht gesehen“, sagt Hans Stahl. Normalerweise werden nämlich Eisendübel verwendet. Die Restauratoren versuchen diese ausgefeilte Verbindungskonstruktion möglichst originalgetreu zu erhalten. Und wenn dann doch ein bisschen Zement nötig wird, weil die Passform wohl doch durch den Einsturz gelitten hat, sprechen sie es mit dem Landesamt für Denkmalschutz ab.
Überhaupt soll an der Pyramide nichts verändert werden. Nur, wenn der Originalstein fehlt, wird mit Ersatzmaterial gearbeitet. So bleiben die in die Jahre gekommen Inschriften weiter ausgeblichen. Und die Hinterlassenschaften des modernen Bürgertums weiterhin in Stein gemeißelt. Liebeserklärungen, Namen und Herzchen – sogar ein Hakenkreuz ist in den grün-gelben Schilfsandstein eingeritzt. Hans Stahl nimmt an, dass die Platten in einem Steinbruch bei Kitzingen gebrochen wurden. Vielleicht in der Gegend um Abtswind. Dabei lagen die Gnodstädter Steinbrüche doch näher. Aber für Gnodstadt, so Stahl, sei der Stein zu gelb. Und die markanten grünlich-braunen Züge würden fehlen.
Drei Wochen werden die Restauratoren wohl noch zu tun haben. Dann werden die gut 25 Tonnen Stein an ihren künftigen Bestimmungsort gebracht. Der steinerne Obelisk wird nicht mehr inmitten der Bundesstraße aufgebaut, sondern auf Gnodstädter Seite, etwa 15 Meter von ihrem ursprünglichen Standort entfernt. Vor Ort werden die Steine dann zusammen gebaut. Wenn alles steht, wird der Obelisk noch mit einer Lasur überzogen. Aber auch diese wird zurückhaltend sein. Denn der Betrachter soll auf eine Mautpyramide blicken, wie er sie schon immer gesehen hat. Nur ihr Standort wird dann ein anderer sein.