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WÜRZBURG: Die schweren Entscheidungen der Familienrichter

WÜRZBURG

Die schweren Entscheidungen der Familienrichter

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    Plakativ: Dieser Artikel aus dem Grundgesetz ist Leitlinie der Würzburger Familienrichter.
    Plakativ: Dieser Artikel aus dem Grundgesetz ist Leitlinie der Würzburger Familienrichter. Foto: Foto: Pat Christ

    Völlig ruhig war das 15 Monate alte Kind. Die gesamte zweistündige Gerichtsverhandlung hindurch gab es keinen Mucks von sich. Wie brav, hätte man denken können. Doch die Apathie des Kleinen war verdächtig. Sie resultierte denn auch aus völliger Vernachlässigung. „Weil sich die Eltern so wenig um das Kind kümmerten, war es auf dem Entwicklungsstand eines fünfmonatigen Babys“, sagt Familienrichterin Antje Treu. Um das Kind zu schützen, wurde es zu Pflegeeltern gegeben.

    Dass Kinder auf Anweisung des Gerichts aus einer Familien genommen werden, geschieht in Stadt und Kreis Würzburg pro Jahr etwa 30 Mal. Die wenigsten dieser Eltern haben sich grausam dem Kind gegenüber verhalten. Missbrauch und Misshandlung kommen zwar vor. Wesentlich häufiger sind Fälle von Vernachlässigung und Verwahrlosung. „Wir haben den Eindruck, dass die Zahl der Eltern, die nicht erziehungsfähig sind, zugenommen hat“, sagt Antje Treu.

    In manchem Kinderzimmer schaut es einfach chaotisch aus. Nichts befindet sich an seinem Platz. Doch nicht nur dort scheint die sprichwörtliche Bombe eingeschlagen zu haben. Auch das Wohnzimmer ist in völliger Unordnung, die Küche versifft und vermüllt. „Die Bilder der Gutachter sind mitunter schockierend“, meint Familienrichterin Brigitte Sommer. Auch sie sieht, dass immer mehr Eltern keine Ahnung haben, wie sie eine Bindung zu ihrem Kind aufbauen sollen, wie sie kindliche Bedürfnisse erkennen und sie angemessen erfüllen: „Was daran liegt, dass es diesen Eltern in ihren eigenen Familien oft nicht gut ging.“

    Bevor die elterliche Sorge vollständig oder teilweise entzogen wird, passiert seitens des Jugendamtes eine Menge, schildert ihre Kollegin, Familienrichterin Stefanie Neusius. Die Eltern waren meist schon mehrmals in einer Erziehungsberatungsstelle, eine Familienhelferin kam in die Familie, vielleicht gab es auch Unterstützung durch eine Familienhebamme: „Doch einige Eltern nehmen einfach nichts an.“ Jugendamt, Sozialarbeiterinnen und auch das Gericht würden als „Feinde“ angesehen.

    Bei allen Bemühungen von außen ändert sich innerhalb der Familie so gut wie nichts. Die Kindeswohlgefährdung wächst teilweise, statt dass sie sinken würde. Besorgte Nachbarn, Erzieherinnen der Kita oder Lehrer alarmieren deshalb das Jugendamt.

    Es gibt allerdings auch gut nachvollziehbare Fälle akuter Überforderung, zeigt Familienrichter Max Gillich auf. Er hatte unlängst mit einer Mutter aus Osteuropa zu tun, die, wahrscheinlich durch schlimme Erlebnisse im Herkunftsland oder auf der Flucht, psychisch krank wurde. Sie kam in eine Unterkunft für Asylbewerber, wo sie aus ethnischen Gründen neuerlich Gewalt erfuhr. Weil sie sich in dieser extremen Situation nicht um ihr Kind kümmern konnte, wurde es in eine Pflegefamilie gegeben. Allerdings nur vorübergehend. Nach einem Klinikaufenthalt stabilisierte sich die Frau. Und erhielt das Kind zurück: „Weil sie prinzipiell erziehungsfähig war.“

    Mitunter geht der Entscheidung des Gerichts eine sogenannte Inobhutnahme voraus: Kinder, die nach Einschätzung des Jugendamts akut gefährdet sind, können vorsorglich aus ihrer Familie genommen werden. Dies nimmt deutschlandweit zu. 2013 waren über 42 000 Kinder in der gesamten Bundesrepublik betroffen. Das war fast ein Drittel mehr als fünf Jahre davor.

    Bayerische Familiengerichte trafen 2013 knapp 3750 Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls. In über 2000 Fällen wurde den Eltern die Sorge vollständig oder teilweise entzogen. Die Entscheidung über die Herausnahme des Kindes sei in fast jedem Fall schwierig, bestätigen Würzburgs Familienrichter. Niemand will die Bindung des Kindes an die leiblichen Eltern zerstören – auch wenn die schwach ist. Niemand will aber auch riskieren, dass die Kinder körperlich oder vor allem psychisch schwer krank werden.

    Das familienrichterliche „Tagesgeschäft“ jedoch sei mindestens genauso bedrückend wie Entscheidungen über die Herausnahme eines Kindes aus seiner Familie, sagt Maximilian Gillich: „Nicht wenige Kinder werden im Prozess der Trennung oder Scheidung zwischen ihren Eltern zerrieben.“ Eltern sähen in diesem Moment nur den eigenen Schmerz wegen des Verlassenwerdens, nur die eigene Wut auf den Partner. Das Kind verlieren sie aus dem Blick.

    Nicht selten leiden Kinder so stark unter dem „Krieg“ sich trennender Eltern, dass sie traumatisiert werden. Hier ist dann auch eine Grenze erreicht, wo eine Gefährdung des Kindeswohls in Erwägung gezogen werden müsse, betont Antje Treu. Obwohl es keine Vernachlässigung oder Verwahrlosung, keinen Missbrauch und keine körperliche oder seelische Misshandlung gibt. Und obwohl die Eltern gut betucht und sozial angesehen sind. Doch Kinder in aggressiv ausgetragenen Trennungssituationen leiden oft immens.

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