Gerbrunn Die Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den ehemaligen Ostgebieten ist seit einiger Zeit wieder zum Thema avanciert. Zumindest seit Günter Grass 2002 mit seiner Novelle "Im Krebsgang" für eine Aufarbeitung der Vertreibung sorgte. Vor allem die dritten Programme, Tages- und Wochenzeitungen wie Süddeutsche und "Die Zeit" widmen in den letzten Jahren dem Thema viel Platz.
Auch der Büchermarkt boomt: "Das letzte Dorf", "Kindheit in Ostpreußen", "Namen die keiner mehr kennt", "Letzte Tage in Schlesien". Jetzt hat sich die heute in Gerbrunn lebende Gerda Ritter in einer umfangreichen Dokumentation mit ihrem Heimatort Schwanenbeck in Hinterpommern befasst und ein 259-seitiges aufwendiges Werk mit dem Titel "Schwanenbeck ein Dorf im Kreis Saatzig/Hinterpommern" samt Ortsplan auf den Büchermarkt gebracht.
In ihrem Vorwort widmet sie dieses Buch den noch lebenden Einwohnern des Dorfes und deren Nachkommen. Sicherlich eine wichtige Sache gegen das Vergessen. Doch muss man sich fragen, wie viele dieser Einwohner noch unter uns weilen. Und wie viele Nachkommen sich für ein Dorf interessieren, das es so nicht mehr gibt, das Geschichte ist.
Hinzu kommt, dass die meisten Nachkommen von ihren Großeltern und Eltern kaum für die Geschichte der einstigen Heimat sensibilisiert wurden. Wer dennoch Interesse fand, las schon vor 40 Jahren die geschichtlichen und dokumentarischen Werke von Christine Brückner, Leonie Ossowski, Marion Gräfin Dönhoff oder Arno Surminski.
Gerda Ritters Buch ist eine Dokumentation ohne Wehmut, Schwärmereien und nostalgischen Erinnerungen ewig Gestriger. Neben einer umfangreichen geschichtlichen Aufarbeitung findet der Leser in kurzen Abhandlungen die Sitten und Gebräuche eines Ortes in Hinterpommern von der Geburt bis zur Beerdigung. Die reiche Bebilderung, umfangreiche Namenslisten der Dorfbewohner und der aufgezeichnete Fluchtweg gen Westen tun ihr Übriges, um Interessierten ein kurzweiliges Lesevergnügen zu bereiten.
Dennoch kommt das hervorragend recherchierte Buch, erschienen in der Verlagsgruppe Obotritendruck GmbH Schwerin, 50 Jahre zu spät auf den Markt. Will man es jedoch mit den Augen der Autorin sehen, die schreibt: "Wenn wir nicht darauf aufpassen, dass von unserer sich verabschiedenden Generation etwas Schriftliches übrig bleibt für die nachfolgende, wird das, was Generationen geschaffen, vorgelebt und weitergegeben haben, für immer verloren gehen", dann ist dieses Buch zumindest für historische Archive ein unermesslicher Schatz.