Plötzlich steht Dracula unter der Bühne. Unverhohlen taucht er in der Unterwelt auf. Böse blickt er drein. Fletscht seine Zähne vor Wut. Am liebsten würde jeder sofort das Weite suchen, derart gruselig ist er. Doch es ist Dracula, der geht. „Sch. . .“, schimpft der Vampir und macht auf dem Absatz kehrt. Falsches Bild, falsche Szene. Auch ein Dracula kann sich mal irren. Minuten später steht er hinter einem der wuchtigen Zahnräder auf der Bühne und singt völlig entspannt seinen Part. So als ob nichts gewesen wäre.
Uwe Heller und Holger Winkler schmunzeln. Dass ein Künstler sich verläuft, kann schon mal vorkommen, sagen sie. Die beiden arbeiten beim Musical „Dracula“, das an diesem Donnerstag bei den Frankenfestspielen in Röttingen Premiere feiert, unter der Bühne. Sozusagen in der Unterwelt.
Montagabend im Röttinger Burghof. Kurz nach neun beginnt der zweite Durchlauf. Seit Sonntag steht das Bühnenbild. Viel Zeit bleibt Schauspielern und Technikern nicht bis zur Premiere. Dann muss alles sitzen. Nichts darf schief gehen. Auch bei Uwe Heller und Holger Winkler nicht. Beide kommen aus Bieberehren. Uwe Heller hilft seit drei Jahren bei den Festspielen mit. Für Holger Winkler ist es das erste Mal. Aufgeregt ist er. Die linke Hand stets am Steuerpult für die Hupbühne. Die rechte blättert im Textbuch. Hier haben sie eingetragen, wann sie die Hebebühne hoch und runter fahren müssen.
„Kurz vor dem Aufschlagen müssen wir den Schnellgang rausnehmen.“
Uwe Heller, Bühnenhelfer
Wenige Minuten später hallt ein lauter Knall durch den Burghof. Rumps. Erschrocken blickt Rob Fowler, er spielt den Dracula, zu den beiden am Steuerpult. „Zu früh und zu schnell“, ruft der Regieassistent. Uwe Heller und Holger Winkler werden nervös. Plötzlich stehen die beiden aus der Unterwelt im Mittelpunkt. Ungewollt. Der Fehler ist schnell gefunden. Die Jungs aus Bieberehren hatten sich das falsche Stichwort markiert. Bei „Gemächer“ müssen sie Dracula in die Unterwelt ablassen, nicht nach „Schlafen Sie nicht ein, hier“. Und noch etwas lernen die beiden. „Kurz vor dem Aufschlagen müssen wir den Schnellgang rausnehmen. Dann schlägt die Hebebühne auch sanft auf“, sagt Uwe Heller die goldene Regel auf.
Die Szene wird wiederholt. Dieses Mal stimmt das Timing. Bei „Gemächer“ legt Holger Winkler den Schnellgang ein. Es rattert. Aber das ist normal. Rasant verschwindet Dracula unter der Bühne und läuft schnell zur nächsten Position. Dabei stößt er fast noch mit Renfield zusammen, der gerade aus dem schmalen Bühnensteg krabbelt. Udo Beil, der technische Leiter, schüttelt mit dem Kopf. „Manchmal geht's hier unten wahnsinnig hektisch zu. Und dann wird's wieder ruhig.“ Friedliches Meeresrauschen kommt aus den Lautsprechern.
Uwe Heller und Holger Winkler lehnen sich zurück. In der nächsten Viertelstunde werden sie nicht gebraucht. Gespannt verfolgen sie auf ihrem Notebook das Geschehen über ihnen. Eine Webcam überträgt die Bühnenszenen auf den Schirm in der Unterwelt. Das laute Stampfen der Schauspieler ist über ihren Köpfen zu hören. Uwe Heller holt Kaffee. Holger Winkler hält die Stellung. Augenblicke später ist es vorbei mit der Entspannung. Der Bühnenhelfer hat die Orientierung verloren. Suchend blättert er durch das Textbuch. „Ich weiß nicht mehr, wo wir sind.“ Kollege Uwe kommt zurück, stellt die Tassen ab, versucht zu helfen. Die Ohren am Lautsprecher, die Augen auf das Manuskript gerichtet suchen die beiden verzweifelt. Irgendwann in den nächsten Minuten kommt ihr Einsatz. Doch wann? Uwe Heller geht nach draußen. Dort steht Ina Rheda. Sie bedient die Zahnräder. Doch Ina ist nicht am Platz. Sie wird nur bei schnellen Umzügen gebraucht, nicht jetzt. Achselzuckend kommt Uwe zurück, ahnt schon das nächste Unheil. Doch Holger sieht inzwischen wieder klar. Aufatmen unter der Bühne und leises Gelächter im Steg. Dracula sitzt hier gebückt, umringt von seinen „Vampirgirls.“ Gleich stirbt Lucy auf der Bühne. Holger und Uwe müssen wieder ran. Alles geht gut. Diesmal sitzen ihre Handgriffe. Auch nach der Pause. Kurz vor Mitternacht gibt's Lob vom künstlerischen Leiter. „Ein klasse Durchlauf“, sagt er. In fünf Stunden muss Holger wieder auf den Beinen stehen. Und zwar in der realen Welt – zur Schicht in der Gießerei.