Johann Sebastian Bach ist das große Vorbild der künstlerischen Leiterin der Bachtage Hae-Kyung Jung. "Er ist sehr genial, gleichzeitig bescheiden und gläubig". Diese Hochachtung vor dem Leipziger Thomaskantor spürten die Zuhörer in der fast bis auf den letzten Platz besetzten Johanniskirche.
Das Thema der Johannespassion ist aktuell und universell: Es geht um Verrat und Folter, Mitleid und Liebe. Mit Kraft dramatisierte der bestens eingestimmte Bachchor das aufgebrachte Volk, das von außen gesteuert seinen Hass auf einen Unschuldigen projiziert: "Kreuzige, kreuzige!". Innig, zärtlich und voller Mitgefühl erklangen die Choräle sowie der Schlusschor "Ruht wohl".
Das Orchester, klar geführt von der renommierten Konzertmeisterin Petra Müllejans, setzte sich aus Lehrenden und Studierenden der Musikhochschulen Würzburg und Frankfurt zusammen. Mit ihrer feinen Spielweise auf Barockinstrumenten verzichteten die Musiker auf orchestrale Wucht, unterstrichen stattdessen immer natürlich und authentisch die dramatische Handlung. Allein die Theorbe war eine Augenweide. Wohl dem, der sie nicht stimmen muss. Aber das meisterte Silas Bischoff mit Ruhe und Bravour. Es war zu spüren, dass die Musiker ihre Instrumente lieben und große Anhänger dieser Aufführungspraxis sind.
Die Solisten waren in Bestform: Mit klarer Stimmführung und subtiler Textausdeutung führte der viel gefragte Tenor Tilman Lichdi als Evangelist durch die Passion. Die innere Zerrissenheit des Pilatus, der seine Zweifel schließlich dem Druck der Masse zurückstellt, verkörperte stimmgewaltig Leonhard Geiger. Direkt aus dem Herzen, mit Seele und Charme gestaltete Magdalene Harer die Sopranarien. Als Altus agierte Countertenor Benno Schachtner mit scheinbar müheloser Eleganz und doch voller Energie. Mit ruhigem Ernst gestaltete der Bass-Bariton Manfred Bittner überzeugend die Jesus-Partie.
Ein Besucher erzählt nach der Aufführung, er sei eigens aus der Schweiz für das Konzert angereist. "Mein ganzes Leben habe ich die Johannespassion gehört, im Radio oder auf Platte, aber nie live. Jetzt hatte ich einmal die Gelegenheit. Es war super", schwärmt er.
Von: Siegfried Hutzel (Vorsitzender, Kulturforum Alte Kirche)