Es waren wirklich nur Sekunden, in denen sich für die 52-jährige Würzburgerin und ihre 18-jährige Tochter das wohl größte Glück ihres bisherigen Lebens ereignet hat. Ihren Namen möchte sie nicht öffentlich nennen, um, wie sie sagt, „bis Weihnachten wieder zur Ruhe zu kommen“. Es war ein Erlebnis, das man erst verarbeiten muss. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass beide am Donnerstag schon wieder an ihren Arbeitsplätzen erschienen.
Auf dem Weg zur Arbeit waren beide auch am Dienstag um 13.45 Uhr. Die Tochter am Steuer, die Mutter am Beifahrersitz. Nach der Alten Mainbrücke Richtung Sanderau war stockender Verkehr am Mainkai. Links auf der Abbiegespur zum Wöhrl-Parkhaus ebenfalls stehende Fahrzeuge. Da geschieht es. „Ich glaub, der sieht uns nicht, Mama“, sagt die Tochter noch.
Schon hat es gekracht. Ein 79-Jähriger, der aus dem Parkhaus fährt und nach links abbiegen will, übersieht den Wagen der zwei Frauen, rammt ihn seitlich und katapultiert ihn in den Main. Die Fahrbahn ist dort nur durch einen 40 Zentimeter hohen Sockel vom Fluss getrennt. Als die beiden ihre Lage begreifen, treiben sie schon im Main. Das Auto schwimmt zunächst schräg. „Ich sah als erstes das Wasser am Fenster“, beschreibt die Mutter die erste Schrecksekunde. „Komischerweise waren wir ganz gefasst und ohne Angst.“ Die Tochter fragt cool: „Was machen wir jetzt?“
Die 18-Jährige reagiert schnell. „Abschnallen, Fenster runter, raus und schwimmen“, habe sie gesagt, erinnert sich die Mutter. Das Auto schwimmt zu diesem Zeitpunkt wieder „gerade“ auf dem Wasser. Zum Glück für die Frauen. Die Tochter befreit sich und gelangt rasch ans Ufer. Derweil muss die Mutter gegen die starke Strömung kämpfen. Sie droht abzutreiben. „Ich habe sofort zu Kraulen angefangen und plötzlich unglaubliche Kräfte entwickelt“, sagt die 52-Jährige, die sich selbst als „Nicht-mehr-Sportlerin“ bezeichnet.
Unter den Bildern, die der Mutter im Nachhinein kommen, ist eines besonders haften geblieben. Sie kann sich an viele Menschen erinnern, die herum gestanden, geguckt und fotografiert haben, während sie und ihre Tochter um ihr Leben kämpften. Einer hat sein Foto gar an eine Boulevard-Zeitung verkauft.
„Abschnallen, Fenster runter, raus – und schwimmen“
Unfallopfer
Aber nur ein einziger Mann hat beherzt zugegriffen, hat sich bereit gemacht notfalls ins Wasser zu springen, sein eigenes Leben zu riskieren: Pfarrer Christian Schmidt aus Albertshofen (Lkr. Kitzingen). Er hat den Frauen am Ufer dann die Hand gereicht und beide an Land gezogen. Neben Schmidt, der von einem „persönlich erlebten Weihnachtswunder“ spricht, hat noch eine ältere Dame geholfen und eine Decke gereicht, erinnert sich die 52-Jährige. Zufall auch, dass ein Polizeiauto vorbeikam. Die Polizisten haben sich weiter gekümmert, bis der Notarzt vor Ort war.
„Vieles geht einem im Nachhinein durch den Kopf“, sagt die Mutter, die das Glück doch nicht ganz fassen kann. Wie hätte da Weihnachten für die Familie aussehen können, fragt sie. Dabei fällt ihr ein weiterer Glücks-Umstand ein. Im Polizeibericht hatte es geheißen, dass beide mit einem größeren Volvo unterwegs waren. Das Auto war dann schnell in den schmutzigen Fluten versunken und ist noch nicht geborgen. Tatsächlich saßen die beiden in einem Kleinwagen älteren Baujahrs. Auch das hält die Mutter für besonderes Glück, denn die Seitenscheiben konnten gekurbelt werden. Sie möchte sich nicht ausdenken, was bei einem Wagen mit elektronischen Fensterheber passiert wäre, „wenn im Wasser ein Kurzschluss die gesamte Elektronik außer Betrieb gesetzt hätte“. Womit die Scheiben einschlagen? Hätte die Zeit noch gereicht? Fragen über Fragen.
Wie ein Film laufen die Bilder im Kopf noch ab, sagt die Mutter. Sie werden nicht so schnell verschwinden. „Wir müssen das alles erst verarbeiten, da hilft uns der Alltag“, so die Mutter. Die Tochter hat am Mittwoch gleich damit begonnen, sich um Ersatz für die verlorenen Ausweise und Schlüssel zu kümmern.