Es war ein (film-)historischer Abend am Freitag im Central Programmkino in der Mozartschule: Zum allerersten Mal war dort in Würzburg der Film „Die Affäre Heyde-Sawade“ zu sehen. Die 1963 in der DDR entstandene und dort auch ausgestrahlte Fernsehproduktion beschreibt, welche Rolle der Würzburger Universitätsprofessor Werner Heyde bei einem der größten Verbrechen während des Terrorregimes der Nationalsozialisten gespielt hat. Was es seit 62 Jahren als Film gibt, harrt allerdings in Würzburg noch immer einer kritisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung.
Dem Anlass angemessen war der Central Kinosaal bestens gefüllt, als der Film im Begleitprogramm der Ausstellung „Ich.Mein.Selbst“ mit Bildern aus der Sammlung Prinzhorn gezeigt wurde. In dieser bekannten Kunstsammlung sind Bilder von psychisch kranken Menschen zu sehen, darunter auch Selbstbildnisse von Euthanasieopfern des Nationalsozialismus.
Der Würzburger Psychiatrieprofessor Heyde war einer der führenden Köpfe des grauenhaften Euthanasieprogramms, wie Main-Post-Redakteur und Historiker Roland Flade einleitend ausführte. 1902 geboren, studierte Heyde unter anderem auch in Würzburg Medizin, wo er 1925 promovierte und sich später auch habilitierte. Ab 1930 war er an der Universitäts-Nervenklinik tätig, wo er rasch aufstieg und 1939 zum Klinikdirektor ernannt wurde. Den Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie hatte er von 1939 bis Kriegsende inne.
Grund dafür waren wohl weniger seine medizinischen und wissenschaftlichen Leistungen, erläuterte Flade. Denn Heyde war bereits 1933 in die NSDAP eingetreten und fungierte von 1934 bis 1936 als führender Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP in Würzburg, zeitweise sogar als Kreisamtsleiter. 1936 trat Heyde als Hauptsturmführer der SS bei. Als SS-Arzt führte Heyde ab 1936 erbbiologische Untersuchungen in Konzentrationslagern durch.
Vom Sommer 1940 bis Dezember 1941 war Heyde als medizinischer Leiter und Obergutachter der Tarnorganisation „T4“ für die Massentötung von rund 100 000 Heilanstaltsinsassen und KZ-Häftlingen verantwortlich, berichtete Flade. Viele waren nur wegen eines Nervenzusammenbruchs in Behandlung oder standen kurz vor der Entlassung. Heyde galten sie als „lebensunwert“ und er ließ sie in berüchtigte Tötungsanstalten wie Hadamar schicken.
Diesbezüglich zeigte er sich uneinsichtig bis zum Schluss seines Lebens. In seinem Abschiedsbrief schrieb er 1964: Niemals handelte es sich für uns beteiligte Ärzte um die Beseitigung unnützer Esser …, niemals auch nur um lebensunwertes Leben…, sondern um sinnloses Dasein von Wesen, die … nie Mensch werden konnten oder denen … das spezifisch Menschlich unwiederbringlich verloren gegangen war und die … oft genug unter unwürdigen Bedingungen ihr Dasein fristeten. Ich kann weder mich noch die anderen beteiligten Ärzte als schuldig im juristischen Sinn ansehen.“
Nach seiner Ablösung als Leiter der „Aktion T 4“ war er wieder in Würzburg tätig. Seine guten Beziehungen zur SS blieben bestehen. Das Kriegsende erlebte er als Leiter der Lazarettabteilung in Würzburg, die nach der Zerstörung der Stadt nach Norddeutschland ausgelagert und dann unter Heydes Leitung in Dänemark neu errichtet wurde. Dort wurde Heyde von den Briten gefangen genommen. 1946 erließ das Landgericht Frankfurt einen Haftbefehl gegen ihn, er wurde an die deutsche Justiz ausgeliefert und saß in Frankfurt ein. Als er 1947 zum als Zeuge im Nürnberger Ärzteprozess aussagen sollte, ahnte er, dass er von der deutschen Justiz nichts Gutes zu erwarten habe. Auf dem Transport ergriff Heyde die Flucht - ausgerechnet in Würzburg sprang er vom Transport-Lkw. Von hier aus, wo er sich natürlich gut auskannte, machte er sich auf den Weg nach Norddeutschland.
Dort tauchte er unter und begann unter dem falschen Namen Dr. Fritz Sawade zu praktizieren. Schnell fand er Helfer und Unterstützer und fertigte als gerichtlicher Sachverständiger mehrere tausend Gutachten an. Er brachte es zu Wohlstand und obwohl viele seine wahre Identität kannten, blieb er zunächst unbehelligt.
„Ich kann weder mich noch die anderen beteiligten Ärzte als schuldig im juristischen Sinn ansehen.“
Prof. Werner Heyde in seinem Abschiedsbrief
Hier setzt der Film von Walter Jupé und Friedrich Karl Kaul ein. Heyde besucht mit seiner Frau einen Arzt, bei dem er sich outet und um Hilfe bittet. Er erhält sie, indem der Kolege ihm einen Jb als Gutachter vermittelt. Das blieb kein Einzelfall. Bis in die Landespolitik weiß man, wer er ist, lässt ihn aber gewähren. Politiker, Beamte, Ärztekollegen, Juristen, Professoren, wussten dass der Arzt Sawade in Wahrheit der berüchtigte Werner Heyde ist. Sie alle griffen nicht ein. Im Gegenteil. Sie schützten Heyde, teils weil sie persönliche Nachteile befürchteten, weil „das“ doch alles schon so lange her ist, oder weil man einfach nichts von der Angelegenheit wissen möchte. Belastende Briefe verschwinden und auch der Versuch eines Rentners, gegen ein Heyde-Gutachtenvorzugehen, das ihm seine Ansprüche versagt, scheitert .Man könnte nun meinen, dass die DDR-Filmemacher dies Netz aus Heuchelei und Mauschelei zu plumper Anti-West-Propaganda genutzt hätten. Dich das tun sie gerade nicht. Es gibt natürlich subtile Seitenhiebe gegen das System im Westen, doch sind die weit entfernt von späterer Hetz-Propaganda.
Doch nach und nach zieht sich das Netz um Heyde zu. Er soll seine Approbationsurkunde als Dr. Sawade vorlegen, die es natürlich nicht gibt. Heyde fährt nach Würzburg, um sich mit früheren Kollegen zu beraten. Denn in Schleswig-Holstein, wo er lebte, gab es einen Fall, der zunächst mit ihm gar nichts zu tun hatte. Der Kieler Internist Reinwein beschwerte sich über Lärmbelästigungen von benachbarten Studentenverbindungen, blieb aber erfolglos. In höchsten Kreisen beklagte er sich über die Untätigkeit der Justiz – und auch über den falschen Gutachter Sawade. Jetzt wurde es eng für Heyde/Sawade und seine Doppelidentität flog auf. Heyde stellte sich, wurde inhaftiert. Der Prozess gegen ihn sollte am 18. Februar 1964 beginnen. Fünf Tage vor Prozessbeginn erhängte sich Heyde in der Zelle und entzog sich einer Bestrafung.
Im Stile eines Dokumentarfilms zeigt „Die Affäre Heyde-Sawade“ sachlich-distanziert wie sich höchste Kreise weigerten, Licht ins Dunkel um den Dr. Sawade zu bringen. Und wahrscheinlich war es wirklich so, wie Roland Flade in seiner Einführung vermutete: Drehbuchautor Wolfgang Luderer musste zu den tatsächlichen Ereignissen kaum etwas dazu erfinden.
Und für Würzburg wäre zu wünschen, dass diese bislang einzige Aufführung dieses Films nicht die letzte gewesen ist.