Der im Sommer beendete Prozess gegen den Rauschgifthändler und Ex-Spitzel Mario W. in Würzburg führte jetzt zu einer kuriosen Situation: Das Landeskriminalamt (LKA) in München, das sonst gegen Schwerverbrecher ermittelt, wurde selbst von Kriminalbeamten durchsucht – unklar ist noch, mit welchem Erfolg.
Interne Ermittler der Nürnberger Kripo forschen im Auftrag der dortigen Staatsanwaltschaft seit 2014 in dem Fall gegen Kollegen einer Außenstelle des LKA in Nürnberg sowie deren Vorgesetzte in München. Die Grundlage dazu lieferten zwei spektakuläre Prozesse 2013 und 2016 gegen den LKA-Spitzel Mario W. wegen Drogenhandel – unter anderem mit seiner eigenen Tochter.
Seine Aussagen sowie eine stattliche Anzahl von Indizien (auch aus zwei früheren Durchsuchungen) nähren den Verdacht gegen sechs LKA-Beamte auf Strafvereitelung im Amt, Urkundenunterdrückung, Betrug, Datenveränderung und Falschaussagen vor Gericht. Der Ex-Spitzel hatte vor Gericht behauptet, er habe Straftaten nur begangen, um im Dienst des LKA im kriminellen Rockermilieu erfolgreich operieren zu können – was illegal wäre.
Ermittlungen gegen Tochter des Spitzels
Beispielsweise habe ihn sein Betreuer beim LKA Ende 2011 vor Nachforschungen Würzburger Rauschgiftfahnder gewarnt. Die Würzburger ermittelten damals gegen die Tochter des Spitzels, die in Kitzingen mit Crystal Meth aus Tschechien dealte – und suchten ihren Lieferanten. Sie wussten von der Tätigkeit des V-Mannes, was zu heftigen Verwerfungen zwischen Würzburger Kripo und LKA führte. Ob Mario W. wirklich von seinem Betreuer beim LKA gewarnt wurde, ist umstritten. Jedenfalls hatte er beim nächsten Treff mit seiner Tochter prompt keinen „Stoff“ dabei, als ihn die Drogenfahnder überraschend durchsuchten. Im Gegenzug verschwiegen die Würzburger Fahnder, gegen alle üblichen Vorgehensweisen, ihren Münchner Kollegen die geplante Festnahme des Verdächtigen. Am Ende blieb dem LKA nur, die – tatsächlich erfolgreiche – Zusammenarbeit mit Mario W. hastig zu beenden. Im Prozess 2013 gestand W. später, seiner Tochter wiederholt Drogen aus Tschechien zum Wiederverkauf in Unterfranken besorgt zu haben – was mit seiner Spitzeltätigkeit nichts zu tun hatte.
Überdies erzählte er von einer Fülle von Straftaten während seines getarnten Einsatzes bei den Rockern. Es verfestigte sich der Eindruck, die Ermittlungsbehörde habe dabei ihre Hand schützend über den eigenen Spitzel gehalten und nur eigene Erfolge im Blick gehabt.
Als dies im Würzburger Prozess bekannt wurde, versuchte das LKA den Flurschaden zu begrenzen – auf nicht immer geschickte Art. Ein Prozessbeobachter soll aus dem Prozess gegen Mario W. in Würzburg Einschätzungen in die Münchner Behörde geliefert haben, die den eigenen Kollegen bei der Vorbereitung für deren Zeugenaussage vor Gericht helfen konnte. Die V-Mann-Führer und deren Vorgesetzte mauerten im Zeugenstand und verschanzten sich hinter Aussage-Verweigerungen (angeblich, um andere Ermittlungen nicht zu gefährden). Es gibt auch Belege dafür, dass Akten verändert wurden. Der Eindruck entstand, das Gericht werde bei der Wahrheitsfindung massiv behindert. Ein unvollständiger Bericht über den V-Mann Einsatz an den Landtag brachte selbst Innen-Staatssekretär Gerhard Eck (CSU) zeitweise in Bedrängnis.
Kleiner Teilbereich erneut aufgerollt worden
Dennoch glaubte zunächst kaum einer 2013 die abenteuerlich klingenden Behauptungen des Ex-Spitzels. Im Landgericht Würzburg wurde er nach 35 Verhandlungstagen zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Nur ein winziger Teilbereich der Anklage sollte 2016 in einem zweiten Prozess erneut aufgerollt werden: Ein Fall, bei dem W. Ende 2011 zehn Gramm Crystal aus Tschechien eingeführt hatte, wobei ein Messer in seinem Wagen lag.
Doch kurz zuvor wurde bekannt, dass seit 2014 gegen die LKA-Beamten interne Ermittlungen liefen. Journalisten wurde ein Zwischenbericht der Ermittler aus Nürnberg vorgelegt, der zahlreiche Aussagen von Mario W. untermauerte. Dies befeuerte den Prozess in Würzburg gewaltig, Mario W. forderte Freispruch und Zeugenschutz statt Knast. Zeitweise schien es in den 20 Verhandlungstagen, als ginge es nicht um die Rauschgiftgeschäfte von Mario W., sondern das LKA säße auf der Anklagebank.
Am Ende blieben selbst beim Gericht Zweifel an der Rolle des LKA. Aber es machte in seiner erneuten Verurteilung auch klar: Das Problem des Angeklagte war, dass er die jeweils erzählte Wahrheit den Erfordernissen der jeweiligen Situation anpasste – ganz gleich, was er zuvor erzählt hatte.
Das tat er bei Ermittlern, denen er bald diesen und bald jenen angeblichen Komplizen präsentierte. Das machte er auch mit Journalisten, denen er Geschichten von einer verschwundenen Prostituierten, geschmuggelten Münzen oder einem im Rockerauftrag gemeuchelten Anwalt präsentierte – der während der Beweisaufnahme aber putzmunter wieder auftauchte, ebenso wie die Prostituierte. Was Wahn und was Wirklichkeit war, wusste Mario W. am Ende vermutlich selbst nicht mehr so genau.
Aber als Prozessbeobachter wusste man am Ende ebenso wenig, was man den LKA-Beamten glauben sollte. Massiv hatte sich der Eindruck von Mauscheleien zur Rettung der eigenen Haut aufgedrängt. Hatte man der Führung bis hinauf ins Innenministerium die Brisanz des eigenen Engagements verschwiegen und dann versucht, dies mit frisierten Akten zu vertuschen?
Kriminalrat wollte sich aus der Schusslinie bringen
Dies hatte im Würzburger Prozess jener Kriminalrat Hans S. als Zeuge erläutert, der im Dezernat 614 Vorgesetzter der LKA-Betreuer für den Spitzeleinsatz war – und im Zeugenstand eilfertig versuchte, sich auf Kosten von Kollegen und Untergebenen aus der Schusslinie zu bringen. Er belastete Untergebene und Kollegen, hatte sich von Akten sicherheitshalber Kopien gemacht und betonte, er sei während der heiklen Vorgänge zeitweise im Urlaub gewesen.
Der Beamte hatte den Auftrag bekommen, die V-Mann-Akten im Fall Mario W. auf Unregelmäßigkeiten durchzusehen. Ihm fiel auf, dass der Bericht über den Baggerdiebstahl nachträglich verharmlosend geändert worden war, so dass die Rolle des LKA und das Mitwissen der Behörde vertuscht wurde. Der geänderte Bericht war auf der letzen Seite mit seiner Unterschrift „geschmückt“ worden.
Hans S. berichtete auch, dass Kollegen aus dem Münchner LKA-Referat für Organisierte Kriminalität die V-Mann-Akte angefordert hatten und er die Akte im Original am 11. Juni 2013 übergeben hatte. Damals seien die Passagen, in denen es um den „geplanten“ Diebstahl von Baggern ging, noch in der Akte gewesen. Nur drei Tage später, so stellte Hans S. später fest, sei die belastende Passage gestrichen worden. Interessant ist der zeitliche Zusammenhang, denn im ersten V-Mann-Prozess hatte die Verteidigung kurz zuvor, am 3. Juni, beantragt, die geheimen V-Mann-Akten zu beschlagnahmen. Für Verteidiger Alexander Schmidtgall ist klar: Das LKA, das damals einen Prozessbeobachter im Verfahren sitzen hatte, hatte „Angst vor der möglichen Beschlagnahme“.
Unter den verdächtigen LKA-Fachkräften zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind zwei Spitzenbeamte. Einer wurde gerade erst mit der heiklen neuen Untersuchung des Oktoberfest-Attentates betraut – einem Fall, der ebenfalls nach Ermittlungspannen riecht. Ein V-Mann Führer ist suspendiert. Alle beharren darauf, nichts illegales getan zu haben.
Vor kurzem hatte die Staatsanwaltschaft Nürnberg dieser Redaktion noch auf Anfrage versichert, die internen Ermittlungen gegen die sechs LKA-Beamten würden zum Jahresende abgeschlossen. Dann wollte man bewerten, wie glaubhaft die Aussagen des Kriminellen und die gefundenen Indizien sind. Anklage ist bisher nicht erhoben.
Um so überraschender kam jetzt die Durchsuchung – drei Jahre nach den fraglichen Vorgängen. Ein Insider sagte dieser Redaktion am Abend: Ein Staatsanwalt, der in Nürnberg mit den Ermittlungen befasst ist, saß bereits beim Auftritt der LKA-Beamten im zweiten Würzburger Prozess gegen Mario W. unter den Zuschauern – um zuzuhören und sich selbst ein Bild von den nunmehr Verdächtigen zu machen. Was sich seine Behörde jetzt nach der langen Zeit noch von einer Durchsuchung im LKA verspracht, blieb zunächst rätselhaft.
Durchsuchung schnell beendet
Ein mit den Ermittlungen vertrauter Beamter sagte dieser Redaktion am Donnerstagabend nach Bekanntwerden der Razzia: Eine seit längerem erkrankte hochrangige LKA-Beamtin habe dabei offenbar schnell den Verdacht ihrer Beteiligung an einer Absprache zur Vertuschung illegaler Beteiligungen des LKA widerlegen können und dafür einen Zeugen benannt. Die Durchsuchung auch im LKA sei deshalb schnell beendet worden. Bei der Staatsanwaltschaft war dazu am Abend keine Stellungnahme zu erhalten.
Manche Vorwürfe des Spitzels klingen plausibel, andere völlig bizarr: Seinen Angaben zufolge sollen LKA-Beamte sogar aus Kostengründen den Tacho des Leihwagens zurückgedreht haben, mit dem der V-Mann im Spitzel-Einsatz unterwegs war. „Das ist völlig aberwitzig,“ sagt einer der Betroffenen dazu.
Die Kriminalbeamten sagen: Viele Aussagen des Spitzels seien eine raffinierte Mischung aus Wahrheit und Dichtung, das Gros der Vorwürfe ließe sich bei nüchterner Betrachtung aufklären. Bisher hat die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben, sodass für sie die Unschuldsvermutung gilt. Auch der Spitzel hat Revision gegen seine Verurteilung zu einer langen Haftstrafe eingelegt. Im LKA ist der Frust dennoch groß. „Wir können überhaupt keine sinnvollen Operationen mit V-Leuten mehr machen, weil jeder Angst hat, etwas falsch zu machen,“ sagt ein langjähriger Ermittler.
Staatsanwaltschaft relativiert Durchsuchung
Am Freitagmorgen versuchte eine Sprecherin der Nürnberger Staatsanwaltschaft, die Medienberichte von einer regelrechten Durchsuchung im LKA in München zu relativieren: Von einer regelrechten Razzia - von der in manchen Medien die Rede sei - könne man nicht sprechen. Man habe auf der Suche nach Beweisen eine LKA-Beamtin aufgesucht, sagte sie auf unsere Anfrage. Die Frau sei nicht unter den sechs Beschuldigten, sondern Zeugin.
Offenbar handelt es sich um eine seit längerem unter Burnout leidende und krank geschriebene Beamtin, die – wie die sechs Verdächtigen – ursprünglich bei der Bekämpfung der Rockerkriminalität eingesetzt war. Sie hatte nach mehreren vergeblichen Versuchen auch im Prozess in Würzburg als Zeugin ausgesagt: Mario W. sei ein guter V-Mann gewesen und habe wertvolle Informationen aus der Rockerszene beschafft.
Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte indirekt einen Bericht unserer Redaktion von einer schnell beendeten Maßnahme. „Wenn man gleich kriegt, was man sucht, kann man eine Durchsuchung schnell beenden,“ formulierte sie allgemein. Details darüber, was bei wem gesucht wurde, nannte sie nicht. „Es bleibt aber unser Ziel, die Ermittlungen noch in diesem Jahr abzuschließen.“