Eisentreppe. Lagerraum. Ordner. Verpackungen. Fitnessgeräte. Und – ein Formel-Auto? Marc Dappert grinst, als er das Licht auf dem Dachboden über der Kfz-Werkstatt seines Vaters in Fuchsstadt (Lkr. Würzburg) anknipst. Ein Relikt aus alten Zeiten? Okay, die Reifen fehlen. Stattdessen ein Bildschirm, zwei Boxen und eine Konsole. Trockenübungen? „E-Sports.“ Aha, ein Spielzeug für große Jungs. Marc Dappert ist leidenschaftlicher E-Sportler.
Mit Sport hat das nicht viel zu tun. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Da sitzen Menschen vor der Konsole, daddeln ein bisschen vor sich hin und nennen es Sport – so das Vorurteil. Andere Menschen gucken wie gebannt dabei zu – per Livestream oder auf eigens dafür eingerichteten Fernsehkanälen. Abwegig? „Nein“, meint der 31-Jährige, als er seine PlayStation hochfährt. Ohrenbetäubender Lärm. Doch dem früheren Fußballer, der da gerade in das Chassis geklettert ist, das extra für solche Rennsimulatoren gebaut wurde, macht das nichts.
Seelenruhig, als würde hier Mozart zur Beruhigung laufen, dreht er seine Runden. Das Lenkrad vibriert, alles blinkt, das Bremspedal bewegt sich trotz energischer Tritte kaum – und der gestandene Familienvater wird zum Kind. Glücklich. So glücklich, als hätte man ihm bei 30 Grad im Schatten gerade eine übergroße Eiswaffel in die Hand gedrückt. Ähnlich schwer zu handhaben ist auch das, was sich da auf dem Bildschirm abspielt. Mit irgendwelchen alten, pixeligen Rennspielen hat das nichts mehr zu tun. Dappert hat sie aber alle geliebt – und gespielt. „1996 fing's an. Da durfte ich mir zur Kommunion was raussuchen. Und das war die erste PlayStation. Mit dem Formel-1-Spiel.“ Die Augen des Kfz-Meisters leuchten.
Und doch ging er als Kind immer wieder raus. Raus auf den Fußballplatz, wo er sich über viele Jahre im Dreck wälzte, weil er dafür zu sorgen hatte, dass der Ball nicht hinter ihm einschlägt. Der frühere Landesliga-Ersatztorwart des TSV Kleinrinderfeld weiß also nicht nur vom Hörensagen, was Sport ist. Doch das war einmal. In der Winterpause der vergangenen Saison hängte er die Handschuhe endgültig an den Nagel. „Der Sonntag, an dem fast immer gespielt wurde, sollte der Familientag werden“, erinnert sich der Mann zurück, dessen Haut viele, große Tattoos zieren.
Was nun? Lange brauchte der leidenschaftliche Mechaniker nicht, um ein neues Hobby zu finden – und damit der Haussegen gleich mal gehörig schief hängt, baute er seine Konsole in der heimischen Küche auf. Freundin Selina und die drei Kinder mussten fortan Umwege laufen. „Irgendeinen Ausgleich brauche ich halt.“ Wieder grinst er, als er das Hintergrund-Gegrummel der virtuellen Formel-1-Flitzer auf Null dreht.
3500 Euro für den Rennwagen
Doch dabei blieb es nicht. Marc Dappert ist einer, der aufs Ganze geht. So wanderte er aus, tauschte den Rennsitz in der Küche gegen den Simulator im Lagerraum der väterlichen Werkstatt. Nach und nach wurde das Einsteiger-Set ersetzt – seit gut zwei Monaten steht er nun da, der Rennwagen, der vom Monitor und zwei großen Boxen umrahmt wird. Satte 3500 Euro hat er gekostet. Geld, dass Dappert gern in die Hand genommen hat. Das Ersparte wandert in Lenkrad, Chassis und Pedale. „Es ist einfach so, dass die Hardware darüber entscheidet, wie schnell man ist.“ Ein Punkt, in dem sich Realität und Virtualität die Klinke in die Hand geben. Wie Sebastian Vettel sitzt auch Dappert oft stundenlang hinterm abschraubbaren Lenkrad und feilt an den Einstellungen. „Beim letzten Mal war die Reifentemperatur zu hoch, da sind sie mir um die Ohren geflogen.“
Doch das bleibt meist die Ausnahme. Denn der Kleinrinderfelder gehört in den zwei Rennserien „Online Racing Club“ und „FormelAustria“, in denen er an den Start geht, zu den Schnellsten. Während jeder beim „Online Racing Club“ mitmachen kann, musste sich Dappert für die „Formel Austria“ qualifizieren: Weil die Zeit beim Quali-Fahren überzeugte, wurde er zum Tryout eingeladen und ergatterte wie auch seine Kumpels Sebastian Pfeifer, Daniel Edelmann und Kevin Masewicz letztendlich einen Platz in der Serie, an der 20 Fahrer teilnehmen und insgesamt sieben Rennen austragen – das letzte als Live-Event im Wiener Rathaus.
Ihre Schnelligkeit hat die Vier sogar ins Euronics-Gaming-Team gehievt. „Wir sind dort die einzigen Fahrer, die ein solches Team hinter sich haben.“ Dabei ist die Gaming-Sparte des Elektronik-Konzerns eher für die League-of-Legends-Mannschaft bekannt, die in Lauda-Königshofen während der Saison in einem Haus wohnt und schon sechs Mal deutscher Meister wurde. Ein Gehalt gibt's da natürlich auch. Bei acht Stunden Zocken am Tag bleibt einfach zu wenig Zeit für einen anderen Job. Dappert ist davon noch ein bisschen entfernt. Er trainiert an drei Tagen die Woche – jeweils gut eine Stunde nach der Arbeit – und würde das auch gerne mal ändern. Obwohl es das Risiko „eckiger Augen“ erhöht.
Oder auch nicht. Da steht immer noch ein gesunder Mensch. Und das nicht nur, weil dem Formel-Renner ein Butterfly-Fitnessgerät Gesellschaft leistet. Der Stereotyp des verwahrlosten, in sich gekehrten Zocker-Nerds, der seit etlichen Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hat, sieht anders aus. Dieser Kerl, samt seiner gewinnenden Art, steckt mit seiner Gaming-Begeisterung an.
„Da tut man wirklich was für die Gesundheit. Das Force-Feedback fordert die Muskeln.“ Force-Feedback? Das sind beim Rennen entstehenden Fliehkräfte und Vibrationen, die sich auf den Piloten übertragen. Ganz besonders im Fall des Familienvaters, der in der „FormelAustria“ und der Sim-Serie im „Online Racing Club“ auf jegliche Fahrhilfen verzichtet, so dass jeder kleine Wackler bestraft wird. „Wie im echten Leben. Gut ist allerdings, dass man sich dieses Hobby mit einem Einsteiger-Set einfach leisten kann – und ein Unfall nicht ganz so teuer ist.“ Ein Lächeln huscht über die Lippen von Marc Dappert, als er am Schreibtisch im Büro der Werkstatt sitzt, auf dem auch ein Foto seines Bruders Maxi steht, der amtierender deutscher Kart-Meister ist – und während der Saison viele Kilometer fahren muss, bis er an den Rennstrecken ist.
Regen auf dem Bildschirm
Das knallrote, verkabelte Rennwagen-Imitat bleibt, wo es ist: im Lager. Dort hockt der E-Sportler dann, wenn an Renntagen um kurz nach 20 Uhr die Ampeln auf grün springen. Komfortabel. Allerdings nur auf den ersten Blick. „Wenn wir in Monaco fahren und es zu dieser Zeit dort regnen soll, gibt es auch bei uns Regen.“ Eine Dusche für den Fahrer? Natürlich nicht. Nässe gibt's nur auf dem Bildschirm.
Bald steht der Grand-Prix in Monaco an – Settings, Reifen, Bremspunkte, die Aerodynamik, Vollgas-Zonen und die voraussichtliche Wetterlage müssen nun bestimmt werden, damit der Kampf um die vorderen Plätze nicht ohne die Euronics-Gamer ausgetragen wird. Für den zweistündigen Wettbewerb im Fürstentum hat Dappert ohnehin nur ein Wort übrig: „Reifenkrieg!“
Das Euronics-Gaming-Team Mehr oder minder durch Zufall wurde das Euronics-Gaming-Team 2014 gegründet. Stefan Rothaug und Kevin Westphal waren als Besucher auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin. Dort schlugen sie am Messestand der Händler-Einkaufsgemeinschaft alle anderen, als es um die Rundenzeit auf einem Simulator ging, weil man Karten für ein Rennen der Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM) gewinnen konnte. So wurde der Elektronik-Konzern auf die beiden rennbegeisterten E-Sportler aufmerksam und baute um sie herum zunächst ein Renn-E-Sport-Team auf. Das wurde immer wieder erweitert – und ist heute vor allem durch die sechs deutschen Meistertitel im Spielen des Fantasy-Games League of Legends bekannt. (dog)