D„1802“ verrät als Jahreszahl in großen, metallenen Ziffern auf der Eingangstür schon beim Eintreten das Alter des Gemäuers. Was könnte das Haus wohl alles erzählen aus seiner 207-jährigen Geschichte, von Kriegen und Unwettern, legendären Bierfesten im Klosterkeller gegenüber oder von Wirtsfamilien, die kamen und gingen? Von 1803 bis 1979 braute hier, im Ochsenfurter Stadtteil Tückelhausen neben dem alten Karthäuserkloster, die Brauerei Heil ihr Bier. In wenigen Tagen soll das Haus, das seit einigen Jahren in eine Art Dornröschschlaf versunken ist, zwangsversteigert werden.
„Da könnte einmal wieder ein Schmuckstück draus werden“ sagt Thorsten Koslowski von der Raiffeisenbank Ochsenfurt, die für die Versteigerung verantwortlich zeichnet. Mit „könnte“ hat er recht, doch zuerst müsste sich ein Prinz finden, der Willens ist, „Dornröschen“ wachzuküssen. Dazu bräuchte der Prinz zwar nicht gleich ein ganzes Königreich in der Hinterhand, aber ein gut gefülltes Schätzkästlein wäre schon vonnöten.
Denn im Haus besteht „Reparaturstau“, wie es auf immobiliendeutsch heißt. Die Heizung stammt zwar erst aus dem Jahr 1996, die Leitungen sind aber in diesem Winter aufgefroren, die Installationen entsprechen nicht mehr überall den Erfordernissen der Zeit und der marode Dachstuhl muss komplett erneuert werden. Eine lange Liste für den künftigen Märchenprinzen. Derzeit sieht die Anlage auch wirklich nicht gerade anziehend aus, ein vom Sturm gefällter großer Baum liegt halb zerlegt auf der Terrasse, der Putz bröckelt und die Fenster hätten auch wieder einen Anstrich nötig.
Aber warum nur? Die Lage gegenüber der ehemaligen Klosteranlage ist günstig, sagt Koslowski. Der Gaubahn-Radweg und der Main-Tauber-Fränkische Radachter führen daran vorbei, auch der Jakobsweg und die Kreisstraße nach Giebelstadt; der Bus von Ochsenfurt nach Giebelstadt hat seine Haltestelle direkt vor dem Aufgang zum Biergarten, und wer von Ochsenfurt aus zu Fuß laufen will, braucht gerade mal eine halbe Stunde bis zur ersten Maß oder dem ersten Schoppen.
Wer genau hinsieht erkennt in unserem „Dornröschen“ nämlich einen massiven und schönen, und mit etwas Arbeit auch präsentablen alten Bau, mit fast halbmeterdicken Außenmauern, die Fenster mit Sandstein gefasst. Drinnen allerdings... ...graust es einen derzeit noch, die Räume sind so geblieben, wie sie der letzte Pächter hinterlassen hat: Grellgelb gestrichene Wände, Resopaltische, nicht jedermanns Geschmack.
Ein bisschen verwinkelt ist es auch, hier führt eine Treppe nach oben, dort eine nach unten und manchmal will man besser gar nicht wissen, wohin der Weg um die nächste Ecke führt. Wie im Gewölbekeller, wo dicke Fäden aus Staub und Spinnweben von der Decke hängen. „Wollen sie noch sehen, wohin es da hinten herum geht?“, fragt Koslowski. „Nä“, sagt der Mann von der Zeitung, dem schon beim bloßen Anblick die Kopfhaut juckt.
„Am besten wäre es, man würde das Gebäude komplett entkernen und neu aufbauen“, sagt der Mann von der Raiffeisenbank. Da allerdings will bestimmt der Denkmalschutz ein Wörtchen mitreden. Und es gibt drinnen ja auch zumindest einige Dinge, die erhaltenswert scheinen. Einer der drei wie an einer Schnur aneinander gereihten Gasträume zum Beispiel lässt erahnen, welch ehrwürdiges und schönes Gasthaus das Gebäude einst gewesen sein muss. Dort findet man rundherum an der Wand eine dunkle Holzbank, die halbhohe Vertäfelung ist mit Ornamenten handbemalt, ebenso die Türen. Nur die nachträglich verkleideten Deckenbalken wollen nicht ins Bild passen - und auch hier das allgegenwärtige grässliche Gelb an der Wand.
Der von der Straße aus gesehen links liegende Anbau oberhalb der großen Terrasse stammt aus den frühen 1970er Jahren. Mit einer Disco-Spiegelkugel an der Decke und einem Spotlight mit bunten Wechselscheiben sieht man sofort: hier wurde mal getanzt. Die bunten großflächigen Palmentapeten an der Wand verraten auch was. „Lateinamerikanisch“, sagt Koslowski. „Das lief gut. Leider war da bei den Betreibern aber aus Gesundheitsgründen bald wieder Schluss.“
Vor dem inneren Auge des Betrachters tun sich hier nach der Sanierung große, bis zum Boden reichende Fenster auf, die sich im Sommer wie Balkontüren ganz öffnen lassen, Licht und Luft hereinlassen und den Blick über die Terrasse auf die Mauern der ehemaligen Klosteranlage frei machen. „Im Sommer wäre auf der Terrasse bestimmt viel los“, glaubt Koslowski, „das ist doch ein wunderschönes Ausflugsziel hier.“
In schönen und warmen Sommern bestimmt, das ist keine Frage, doch wie soll ein Pächter den ruhigeren und kalten Winter ohne Außengastronomie in dem kleinen Tückelhausen mit rund 300 Einwohnern finanziell überleben?
„Gute Küche, ein ordentlicher Mittagstisch an den Wochenenden und von den vier Wohnungen im Obergeschoss wird eine selbst bewohnt, drei werden vermietet“, sagt Koslowski. Das hört sich so einfach an . . .
Na dann ihr Prinzen, habt ihr es gehört? „Dornröschen“ wartet auf euch und euren Kuss. Aber vergesst Euer volles Schatzkästlein nicht!
Am kommenden Mittwoch, 17. März, wird das Anwesen versteigert. Beginn ist um 14 Uhr in Saal 15 des Würzburger Amtsgerichtes, Tiepolostraße 6.