Am Anfang der Karriere stand ein kleines Büchlein von 1920 mit dem Titel „Dada“ von Richard Huelsenbeck: Klaus Schöneborn hatte es für eine Mark aus der Wühlkiste eines Berliner Secondhand-Ladens gefischt und gleich um die Ecke im Fachantiquariat für 300 Mark wieder verkauft. Dass eine solche „Traumrendite“ keinesfalls die Regel ist, war dem Würzburger Studenten klar; aber sein Interesse und sein Jagdtrieb waren geweckt!
Kein Wunder also, dass er neugierig nachforschte, als ihm ein Kommilitone Martin Bubers „Ekstatische Konfessionen“ mit einem Besitzvermerk Arthur Holitschers zeigte: Und tatsächlich, auf dem Speicher fand sich ein ganzer Karton voll Korrespondenz des bedeutenden jüdischen Schriftstellers und Intellektuellen mit Größen seiner Zeit von Mahatma Gandhi bis Lou Andreas-Salomé. Das Literaturarchiv Marbach zahlte für das Konvolut stolze 7000 Mark, auch wenn der kulturhistorisch bedeutsame Briefwechsel erst einmal einer Spezialbehandlung wegen Schimmelbefalls unterzogen werden musste.
Da war es nur folgerichtig, dass der studierte Germanist und Historiker Schöneborn 1984 in der Arndtstraße ein Antiquariat eröffnete und die Kindererziehungszeit zum systematischen Aufbau seines Warenbestandes nutzte. Einen wichtigen Grundstock hierfür bildete die hochkarätige Bibliothek eines kinderlos verstorbenen Frankfurter Kunsthändlers, die dieser einer Bekannten vermacht hatte. Die ältere Dame hatte die Bestände in einem zum Bücherlager umfunktionierten Kellerschwimmbad untergebracht.
Und so stieg der Jungantiquar von Zeit zu Zeit erwartungsfroh die Leiter ins geflieste Bassin hinab, von wo er der in einem Badestuhl vor der Umkleide thronenden Besitzerin die ausgewählten Titel diktierte! Ihr wertvollstes Stück – ein opulent illustriertes Ägyptenwerk mit dem eigenhändigen Namenszug Kaiserin Josephines, der zweiten Gattin Napoleons, bewahrte diese allerdings unter ihrer Matratze auf!
Ein weiteres, bis heute wichtiges Standbein ist die Würzburg-Literatur: Auch hier stand am Anfang eine große Spezialsammlung, von der sich der Besitzer blutenden Herzens trennen musste. „Er kam noch Jahre später immer wieder vorbei, um seine „alte Liebe“ zu besuchen,“ schmunzelt Schöneborn nicht ohne Mitgefühl.
Diese Kollektion umfasste alle Standardwerke zur Würzburger Stadt-, Kunst- und Kulturgeschichte. „Vergessen Sie nicht, dass damals alles Wissen nur gedruckt verfügbar war,“ erinnert der Antiquar. „Wer heute einfach ins „Netz“ geht, musste damals noch mühsam die Spezialliteratur durchforsten.“ Und das galt besonders für jene, die mit dem Wiederaufbau der Stadt befasst waren.
Aber manche alten Chroniken sind noch immer eine wahre Fundgrube: Von „Heuschrecken-plagen, Blutregen, Pestilentz und Kriegsgefahr“ ist dort plastisch-drastisch zu lesen und von wilden Gerüchten, etwa, dass während der Hungersnot gar kleine Kinder gegessen worden seien! Aber auch auf ganz „fassbare“ Spuren der Vorbesitzer stößt man in alten Büchern: Das Spektrum reicht von gepressten Gingko-Blättern und Rosenblüten über Haarlocken, Eintrittsbillets, Konzertkarten, gedruckte und gestickte Heiligenbilder wie auch nicht immer ganz jugendfreie Photographien bis hin zu alten Geld- oder Schuldscheinen.
Überhaupt bekommt der Antiquar neben Büchern allerhand bedrucktes oder beschriebenes „altes Papier“ in die Hände, darunter Stammbücher, Poesiealben, Graphik, Notgeld, Revolutions-Plakate, Theateranschläge, Postkarten oder Einblattdrucke wie der scherzhafte Steckbrief einer Kegelrunde für einen mysteriösen „Blasius Abmurks“! Ein bemerkenswertes Konvolut teils hochkarätiger Kupferstiche des 18. Jahrhunderts, an denen offenbar das Leben der Heiligen gelehrt wurde, kam aus dem Nachlass einer aufgelösten österreichischen Klosterschule.
Aus einer französischen Quelle stammte ein ganzer Karton tibetischer Gebetshandschriften, von denen ein eigens angereister adliger Österreicher so begeistert war, dass er gleich zweimal zur Bank marschierte, um sich einen Großteil dieser seltenen Manuskripte zu sichern. „Aushängeschild“ ist aktuell eine schultafelgroße, aus zwölf Einzelblättern bestehende Romkarte von Mitte des 18. Jahrhunderts.
Manchmal gelingt es auch dem geschulten Blick, wirklich Wertvolles vor der Vernichtung zu bewahren: „Auf einem Dorf in der Nähe von Würzburg habe ich eine pseudonyme barocke Grimmelshausen-Ausgabe ohne Buchumschlag aus dem Bauschuttcontainer gezogen, die nicht einmal die darauf spezialisierte Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel besaß,“ meint Klaus Schöneborn nachdenklich. „Die wäre unwiederbringlich dahin gewesen.“
Aber lohnt sich der Aufwand denn auch materiell? „Das Leben ist eine Mischkalkulation,“ lächelt Schöneborn philosophisch. „Wer sich heute als Antiquar niederlässt, sollte Idealist und gleichzeitig in der Lage sein, den „nötigen Wind zu machen“! Dann kann man auch im Internet-Zeitalter in dieser Branche überleben.“ Apropos Internet: Dank einschlägig bekannter Portale gestaltet nicht mehr der Antiquar, sondern das „Netz“ die Preise, doch bringt ihm die Website auch manchen Kunden von der Autobahn, der sich auch mal persönlich im Antiquariat umsehen möchte. Denn Beratung und Gespräch schätzen die Buchliebhaber nicht weniger als der Antiquar, und von seinen Spezialsammlern, so Schöneborn, lerne er jeden Tag noch etwas Neues dazu.
Für das „Zehnjährige“, das am Samstag, 17. Dezember, von 10.30 bis 15 Uhr gefeiert wird, hat sich Klaus Schöneborn etwas Besonderes einfallen lassen: Zum Preis von 7,50 Euro können Interessierte einen Kalender mit reproduzierten Farblithografien aus dem bekannten historisch-topografischen Würzburg-Handbuch Carl Heffners von 1871 erwerben.