Als würden von allen Seiten Informationen auf ihn einpreschen wie Pfeile, als würde ein Wasserfall von gleichzeitigen Informationen über ihm hereinbrechen – so etwa muss es sein, wenn ein Autist im Team nicht klarkommt. Autisten brauchen eine genaue Tagesstruktur, klare Abläufe, klare sprachliche Vorgaben, heißt es in Fachkreisen. Mehrere Stimmen und Meinungen auf einmal sind da kontraproduktiv.
Ja, das sei Stress, sagt Florian A., der beim Berufsbildungswerk (BBW) Don Bosco eine Lehre als Holzfachwerker macht und demnächst ins zweite Ausbildungsjahr kommt. Der 20-Jährige Autist hatte zuvor in einer Schreinerei in der Nähe seines Wohnortes ein Praktikum absolviert – und festgestellt, dass er im erwarteten Tempo nicht zurechtkam. Bei Don Bosco muss er sich soweit nach den Aufgaben richten, wie er sie bewältigen kann, und wird je nach Notwendigkeit individuell betreut. Nach dreijähriger Ausbildung muss er die Prüfung vor der Handwerkskammer ablegen wie andere auch, aber der Weg dorthin ist im Berufsbildungswerk individueller möglich als in der freien Wirtschaft.
Florians Ausbilder Christian Geier kennt den jungen Mann mittlerweile sehr gut. Autisten seien oft hochbegabte Menschen, häufig in einem spezifischen Bereich, zum Beispiel auch als IT-Spezialisten, sagt Friedrich Nolte, Fachreferent im Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus. Detailgenauigkeit, Akribie, ein hervorragendes Gedächtnis und eine besondere Art, logisch zu Denken, seien häufige Eigenschaften, so Nolte. Der Softwarekonzern SAP zum Beispiel lässt von Autisten seine Software und technische Geräte testen.
Florian hat andere Qualitäten
Bei Florian geht es um Zapfenverbindung und Zinkung an Holzwerk- Stücken, um Messgenauigkeit und ums Mitdenken. Florian kann das sehr wohl, sagt Christian Geier, aber sein Schützling braucht zwischendurch Ruhe, um sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Da nimmt ihn der Chef schon mal aus der Gruppe heraus und gibt ihm Extra-Erklärungen. Manchmal stellt der Ausbilder die Aufgabe auch bildhaft dar. So kann der Azubi immer wieder nachschauen, wenn er eine komplexe Sache zunächst nicht versteht. Unter seinen Händen entstehen Putzkasten, Werkzeugkasten und CD-Regal. Mit komplexen Anweisungen könne der Autist nichts anfangen, erläutert Geier. „Räum doch mal die Werkstatt auf!“ zum Beispiel geht gar nicht! Florian benötige genaue Details: „Nimm den Besen, kehre mit diesem Schäufelchen auf...“. Viele der Werkstücke werden an caritative Einrichtungen weitergegeben und erfüllen dort ihren Zweck.
Hält Florian die drei Ausbildungsjahre durch, ist er nach bestandener Prüfung Holzfachwerker, und mit einem zusätzlichen Jahr kann er es zum Tischler schaffen. „Ein intelligenter Meister hat mit Flo eventuell einen besseren Handwerker als andere,“ meint Peter Müller, Teamleiter im Bereich Rehabilitation bei der Agentur für Arbeit. Das sei beispielsweise der Fall, wenn Florian eine Sache besonders gut kann, „Verzinken zum Beispiel. Er bringt dann eine verwertbare Arbeitsleistung.“
„Man muss den Arbeitsplatz an die Behinderten anpassen: die Menschen bringen Top-Leistung, aber sie müssen halt richtig eingesetzt werden“, betont Wolfgang Albert, Pressesprecher bei der Arbeitsagentur, die mit dem BBW zusammenarbeitet.
Er komme mit anderen gut zurecht, meint Florian selbst. Und was macht ihn anders? „Ich misch' mich bei den Anderen ein, obwohl ich das nicht möchte...“ Florian muss lernen, die Signale seiner Kumpels richtig zu deuten. Soziale Interaktion verstehen Autisten kaum: fragt ein Vorgesetzter einen Autisten, der zu spät kommt, ob er gut geschlafen habe, dann wird er meist wahrheitsgemäß antworten, heißt es beim Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus. Die Konsequenz: Autisten kennen keinen Sarkasmus. Sie sagen immer die Wahrheit. Und Florian, der angehende Holzfachwerker: wie bewertet er seine Ausbildungsstelle? „Manchmal ist es anstrengend,“ meint er, aber „es macht Spaß.“
Florian wohnt im Internat auf dem Gelände. Er hat noch ein anderes Faible als die Arbeit mit Holz: die Musik. Außerhalb der Arbeitszeit spielt er gerne Klarinette. Früher war auch Klavier seine Leidenschaft, „aber ich komme nicht dazu, noch Unterricht zu nehmen – leider.“ Sagt's, und nimmt sich wieder eine Holzarbeit vor.
Autismus und Beruf
Autismus wird von der Weltgesundheitsorganisation zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen gerechnet. Er wird von Ärzten, Forschern, Angehörigen und Autisten selbst als eine angeborene, unheilbare Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns beschrieben, die sich schon im frühen Kindesalter bemerkbar macht. Andere Forscher und Autisten beschreiben Autismus als angeborenen abweichenden Informationsverarbeitungsmodus, der sich durch Schwächen in sozialer Interaktion und Kommunikation sowie durch stereotype Verhaltensweisen und Stärken bei Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Intelligenz zeigt.
Das Berufsbildungswerk (BBW) Don Bosco ist eine Einrichtung zur beruflichen Erstausbildung und gesellschaftlichen Rehabilitation von jungen Menschen mit individuellem Förderbedarf. Holzfachwerker oder Holzfachwerkerin ist ein Beruf für Menschen mit Behinderung oder Lerneinschränkungen. Sie arbeiten im Allgemeinen zusammen mit Tischler/innen oder Schreiner/innen und führen dabei einfache, sich wiederholende Tätigkeiten aus, zum Beispiel in Möbelfabriken oder bei Unternehmen, die sich auf das reine Aufstellen von Möbeln spezialisiert haben. Dort passen sie zum Beispiel Küchen in die Umgebung ein.
In manchen Unternehmen arbeiten Holzfachwerker an computergestützten CNC-Maschinen. Sie können in Betrieben folgender Branchen arbeiten: Fensterbaufirmen, Treppenbaubetriebe, Fußbodenverlegung, Sägewerke, Möbelfabriken oder auch in Holzabteilungen von großen Baumärkten. Quelle: Wikipedia, BBW München