Als Ina Hiersick das Gasthaus am Sportplatz des SV Heidingsfeld betritt, kommt sofort der Chef auf sie zu: „Was machst du denn hier, um die Zeit?“, fragt er und begrüßt sie mit Handschlag. Hier ist Ina oft, hier kennt sie sich aus, das merkt man sofort. Fast kann man sagen, dass sie sich zu Hause fühlt, auf dem Gelände des Würzburger Fußballvereins. Aber Ina ist nicht Würzburgerin, nicht einmal Fränkin. Die 27-Jährige stammt aus Forst in der Niederlausitz.
Dort wäre sie auch geblieben, aber die Chancen, eine Ausbildungsstelle in ihrer Heimat zu finden, sind schlecht. „In Forst ziehen die ganzen Jugendlichen weg, weil sie da keine Perspektive sehen.“ Der Großteil ihrer Freunde, sagt sie, sei „Richtung Frankfurt, Hannover, München“ – also in alle Himmelsrichtungen, aber nicht in den Osten. Nach ihrem Fachabitur 2001 ging sie nach Berlin, fühlte sich dort an ihrem Ausbildungsplatz aber nicht wohl. Außerdem musste sie immer 45 Minuten zum Fußball fahren. Also wechselte sie Stadt, Ausbildung und Fußballverein. Heute ist sie staatliche geprüfte Assistentin für Automatisierungs- und Computertechnik und zum Fußballplatz sind es nur fünf Minuten.
Der Sport begleitet Ina überall
Dass schon gleich am Anfang des Artikels der Fußball in den Mittelpunkt drängt, ist kein Zufall. Egal wo Ina lebt, der Sport begleitet sie. Die Lieblingsmannschaft aber bleibt: Energie Cottbus. Als sie fünf Jahre alt war und Frauenfußball noch alles andere als angesehen, begann sie, im Verein zu spielen. Heute trainiert die Torhüterin zwei bis drei Mal die Woche und das Wochenende ist für Spiele reserviert. Keine Frage deshalb, welcher Ort ihr in Würzburg am wichtigsten ist.
Direkt an zweiter Stelle folgen die Weinberge. Die typische Würzburger Kulisse ist für Ina ohne den Weinanbau undenkbar. Soweit kann ihr jeder zustimmen, der den Blick auf den Stein, Würzburgs berühmtesten Weinberg, kennt, oder schon durch die Weinberge hinauf zur Marienfestung gelaufen ist. Wenn es bei den Reben aber was zu tun gibt, steht Ina sogar selbst am Hang – und ist damit fränkischer als mancher Franke. Sie hilft im Weinbaubetrieb von Winzermeisterin Verena Huppmann, einer Freundin, und lernt, wie man die Triebe befestigen muss, damit die Weinstöcke ordentlich wachsen, wo man die Trauben abschneidet, und wird mit einer Schüssel Trauben entlohnt.
Der Mauerfall ist der gebürtigen Ostdeutschen kaum noch im Gedächtnis. „Wir haben das im Fernsehen angeschaut und mehr war nicht“ – an mehr kann sie sich zumindest nicht erinnern. Aber ihren Ausweis für Jungpioniere, den hat sie aufgehoben und sie kennt auch noch den Spruch: „Die Klasse 1b ist zum Unterricht bereit.“ Doch auch wenn ihre Freunde aus Würzburg das nie aufsagen mussten und nie in eine weiße Bluse mit blauem Halstuch gesteckt wurden, Ina zieht in Gedanken keine Grenze zwischen Ost und West. Für die Witzeleien der Kollegen, dass man die Mauer wieder aufbauen sollte, hat sie nur ein Grinsen übrig. Und dass die Franken mürrisch und wortkarg sind, wie sie von sich behaupten, davon hat Ina noch nichts bemerkt.
Perfekt integriert, könnte man meinen. Etwas seltsam erscheint es da schon, wenn Ina erzählt, dass sie sich die Residenz erst nach vier Jahren angeschaut hat. Jeder Tourist steuert den ehemaligen Sitz des Fürstbischofs direkt nach dem Dom an. „Ich lass es langsam angehen“, erklärt sie. Schließlich ist sie ja noch länger da.
Bergbau statt Weinbergen
Mit Weinbergen und Residenz kann Forst nicht dienen, stattdessen mit Bergbau. Ina erzählt, dass ihre Eltern aus Dörfern kommen, die es nicht mehr gibt: „Da ist jetzt nur noch ein großes Loch.“ Abgebaggert. Der Kohle wegen. In Würzburg, wo nur Muschelkalk im Boden lagert, kann man sich das schwer vorstellen. Und auch aist gedanklich ist Ina Hiersick weit weg vom Bergbau und seinen Folgen. „Ich habe ja jetzt hier meinen Sitz“.
So einfach. Überhaupt ist alles ganz unspektakulär, wenn Ina erzählt. Deswegen ist es gar nicht so leicht, herauszufinden, wieso es in Forst „schon schön“ ist. So knapp hat die Lausitzerin ihre Heimatstadt anfangs beschrieben. Die Gründe kommen tröpfchenweise hinterher. Das Rad- und Reitsportstadion mit den Meisterschaften und Turnieren, da kann man schon Mal hingehen. Auf der Neiße Kanu fahren ist ganz schön, in Polen ist das Benzin billiger und im Wald wachsen Blaubeeren. Die Festtage im Ostdeutschen Rosengarten sind ihr sogar so wichtig, dass sie dafür die gut viereinhalbstündige Autofahrt auf sich nimmt. „Ich komm schon gerne für ein paar Tage nach Hause.“ Für ein paar Tage, nicht für immer. Denn solange in Würzburg alles so gut läuft, mit Freunden Fußball und Job, will Ina bleiben. So einfach, ganz unspektakulär.