Diesen Engel auf dem Würzburger Hauptfriedhof kann man einfach nicht übersehen. Durch seine erhabene Größe und majestätische Schönheit ragt er zwischen den umliegenden Gräbern deutlich hervor. Doch das Geheimnis, warum er hier steht, behält er für sich. Nur wer des Polnischen mächtig ist, bekommt eine vage Vorstellung davon, was diesen besonderen Gottesboten hierher gebracht hat.
„Der Engel steht hier, obwohl an dieser Stelle gar kein Grab ist“, erklärt Doris Jäger-Herleth. „Er ist ein Denkmal zur Erinnerung an den Tod der litauischen Fürstin Ludwika oder Luise Mirska.“ Die junge Frau war Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Diagnose Gebärmutterhalskrebs nach Würzburg gekommen, um sich an den allerletzten Strohhalm zu klammern, der sich ihr bot.
„Zu dieser Zeit muss es einen triftigen Grund gegeben haben, eine so lange und beschwerliche Reise auf sich zu nehmen. Und diesen Grund hatte sie: Sie ließ sich von Friedrich Wilhelm von Scanzoni behandeln, der damals ein sehr angesehener Gynäkologe war“, hat Doris Jäger-Herleth in Erfahrung gebracht.
Doch alles Hoffen und Bangen half nichts: Die Krankheit war bereits zu weit fortgeschritten, als dass selbst der renommierteste Arzt der damaligen Zeit die Fürstin hätte retten können. Am 15. Februar 1859 starb sie in der Theaterstraße 24 im Alter von nur 33 Jahren. „Ihr Mann war am Boden zerstört über den Verlust. Er ließ seine geliebte Frau zwar in ihrer Heimat beerdigen, doch schuf er ihr hier in Würzburg eine Erinnerung, die die Jahrhunderte überdauert hat“, sagt die Friedhofskennerin.
All seine Trauer und seine Hoffnungslosigkeit steckte Fürst Adam Mirska in die Skizze des Engels, die er eigenhändig zum Gedenken seiner toten Frau anfertigte. So kommt es, dass die Figur mit dem auf die Brust gepressten Kreuz und dem gen Himmel gewandten Blick kaum einen Betrachter kalt lässt.
Der Witwer ließ den Himmelsboten in einer Berliner Zinngießerei anfertigen und auf dem Hauptfriedhof aufstellen – genau an der Stelle, wo er auch heute noch steht. „Für die damalige Zeit war das mit Sicherheit ein monumentaler Engel, der viel Geld gekostet hat. Das war absolut außergewöhnlich“, stellt Doris Jäger-Herleth fest.
Mit zwei Inschriften auf Polnisch ist das Postament versehen: „Ludwika, geborene Godlewski, Herzogin Swiatopelk Mirska, verließ diese Welt am 15. Februar 1859“, ist vorn zu lesen. Auf der Rückseite steht sinngemäß: „Wenn du hier vorbeikommst, halte inne und gedenke der Seele von Ludwika.“ Wer also die Sprache beherrscht, erhält einen kleinen Einblick in das Geheimnis, das mit dem Engel zusammenhängt. Allen anderen bleibt seine Bedeutung verborgen.
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