Raus aus der Wohnung, rein in die Wohnung.
Und das über viele Treppen mit 400 Kilo Gewicht. Die Geschichte eines Schwertransports

Eins, zwei – bei drei hängen 400 Kilo in den Gurten. Es ist ein Probelupf. Sachte stellen die vier Männer den großen Konzertflügel wieder ab. Die Gurte werden noch einmal nachgezogen. Jeder bringt sich in Position. Dann wird es ernst.
Siegbert Hummel gibt das Kommando: „Eins, zwei, drei.“ Die 400 Kilo werden mit den Beinen hochgedrückt. An jedem der vier Männer hängen jetzt 100 Kilo. Dann geht's nach unten. Vom Dachgeschoss des Mehrfamilienhauses in der Würzburger Sanderau vier Stockwerke hinab. 76 Treppenstufen.
Der Flügel muss von Würzburg ins 350 Kilometer entfernte Detmold transportiert werden. Die junge Pianistin Samira Spiegel beginnt dort ihren Masterstudiengang. Ende des Sommersemesters, am letzten heißen Septembertag, wird umgezogen.

Mit einem Flügel umziehen, das ist nicht so eben nebenbei zu erledigen. Dafür ist das Instrument viel zu empfindlich und zu schwer. Bei Samiras Flügelumzug müssen deshalb Profis ran. Das sind keinesfalls Muskelprotze, wie man meinen möchte. Hager und zäh sind die vier, keiner bringt annähernd so viel Gewicht auf die Waage, wie er zu tragen hat.
Narek ist mit 35 Jahren der Jüngste. Zum Tragen trägt er Leguanos, Barfußschuhe. „In Turnschuhen bekomme ich Schmerzen.“ Seit acht Jahren macht er den Job, und er fühlt sich wohl im „Hummelhummel“-Team. Das Würzburger „Pianotaxi“ ist spezialisiert auf Flügeltransporte, vor allem wenn's schwierig wird, so wie diesmal. Denn in der Sanderau sind mit dem knapp zwei Meter langen Flügel nicht nur vier Stockwerke zu überwinden, sondern auch verdammt enge Kehren im Treppenhaus zu umschiffen.



Firmenchef Siegbert Hummel hat den Transport durchgeplant, den Flügel in Gedanken vorab schon durchs Treppenhaus laviert. Er weiß, es wird gehen. Er bereitet unten den Transporter vor, während Michael und Stephan oben den Flügel verpacken. Damit dem empfindlichen Instrument nichts passiert, wird es dick in Decken eingehüllt und hochkant auf einem Transportschlitten befestigt. Beine und Pedale werden vorher abgebaut.
Narek und Michael tragen vorne, Siegbert und Stephan hinten. Jeder Schritt muss bedacht sein. Denn wenn der Flügel einmal ins Kippen kommt, ist er nicht mehr zu halten. „Uns ist so etwas noch nicht passiert“, sagt Stephan. Der 49-Jährige hat jahrelange Erfahrung.
Das oberste Stockwerk ist das schwierigste. Der Flügel passt gerade so unter der Dachschräge durch. Es klappt! Treppenstufe für Treppenstufe geht's nach unten. Auf jedem Podest wird durchgeschnauft. Im ersten Stock wird's noch einmal richtig eng. Kein Fluchen, kein Herumbrüllen. Außer Keuchen und Schnaufen ist nichts zu hören. Die letzte Treppe ist geschafft. Jetzt muss der Flügel nur noch in den Transporter gehievt werden. Mit Gurten gesichert kann er nun seine Reise antreten

Michael zündet sich erst mal eine Zigarette an. Die Nachbarin spendiert einen Kaffee. Dann geht's los. Vier Stunden Fahrt, ein bisschen ausruhen, bevor der Kraftakt erneut ansteht. In Detmold muss der Flügel zwar „nur“ in den zweiten Stock getragen werden, die Treppe hier ist aber viel steiler und das Treppenhaus noch enger. Die Gurte werden angelegt, jeder nimmt seine Position ein. Jetzt ist es umgekehrt: Siegbert und Stephan sind vorne, Narek und Michael hinten. Auf ihnen lastet treppauf mehr Gewicht.
In einem Ruck ist die erste Treppe nicht zu schaffen. Das 400-Kilo-Paket muss einmal abgesetzt werden. Die Männer keuchen. Tief durchatmen. „Eins, zwei, drei“ – 32 Stufen geht es hoch, viermal um die Kurve. Noch einmal absetzen, das letzte Stück kostet richtig Kraft. Dann endlich, der Flügel ist oben. Geschafft!
