Einer der bedeutenderen Künstler, die sich in Würzburg niederließen, ist Jacques Gassmann. Ab 1963 in einem Heidelberger internationalen Studentenwohnheim aufgewachsen, zog die Familie –nach einigen Jahren in Frankreich – ins Niedersächsische, wo Vater Gassmann Kirchenpräsident wurde. Der kunstbegabte Sohn warf sich in die Wildheit der 80er-Jahre (Malerei, Installationen, Performances, Popgruppe). Vor 30 Jahren geschah dann allerdings viererlei: Seine Tochter wurde geboren, er entwickelte eine Maltechnik, die sich besonders gut für große Formate eignet, er erhielt ein Stipendium der großen evangelischen Hanns-Lilje-Stiftung und begann mit seinem Zyklus zur biblischen Apokalypse.
Sehr früh, 1992, gastierte diese Endzeit-Ausstellung in der Würzburger Kirche St. Michael, deren Decke ja alabasterne Weltuntergangspropheten umkreisen und die ein Lieblingsprojekt des damaligen Würzburger Bischofs Paul-Werner Scheele war. Elf Jahre später stellte Jacques Gassmann hier im Museum am Dom aus, wie sich seine zunehmend internationale Präsenz nun ohnehin stark auf kirchliche Räume konzentrierte; darüber sollte man allerdings nicht die vier Wandgemälde im Hannoverschen Techno-Club Tor 1 vergessen.
"Begeisterter Yogaschüler"
Schon in seine Würzburger bzw. Eisinger Lebensphase fällt die Hängung von Gassmann-Arbeiten in den hiesigen Gotteshäusern Dom, Neumünster und Augustinerkirche, also die ganze Schönbornstraße entlang. Nun kam eins seiner Gemälde auch in einen Raum, der einer ganz anderen Spiritualität gewidmet ist: ins Yogastudio beim Sandermare. Das ist kein Zufall, ist der Künstler doch seit drei Jahren ein "begeisterter Yogaschüler hier", so die Yogalehrerin und Physiotherapeutin Sabine Rittelmann.
Anders als der Weltuntergang ist auf Jacques Gassmanns Bild mit dem Titel "Chakra" der Inhalt leicht zu identifizieren: Da meditiert wer. Der Farbauftrag erinnert an die Auswaschungstechnik, die der Künstler unter dem Namen "Ogrody" übrigens patentieren ließ. Allerdings spielte in den erwähnten bisherigen Werken von der Schönbornstraße der Zufall eine größere Rolle beim Wachsenlassen der Formen. Gassmann erklärt seine Methode: "Durch das Auf- und Abtragen von Tuschen und Wasser entsteht ein Kreislauf des Werdens und Vergehens." Das ist nun ein Urphänomen, das, wie Yoga, dem Hinduismus und Buddhismus näher steht als dem Christentum mit seinem Glauben an eine zielgerichtete Entwicklung der Geschichte; denn dort endet nach der Apokalypse ja alles in der ewigen Glückseligkeit bei Gott.
Motive gezielt versteckt
In den "Ogrody"-Auswaschungsbildern hatte Gassmann seine Motive gezielt versteckt: Er wollte sie "vor der Nutzung und Aneignung durch die Betrachter schützen - was sagt mir das Bild?, was will mir der Künstler sagen und so weiter. Die einzige Chance, etwas aus dem Bild herauszuholen, ist, sich in dieses hineinzubegeben."
Auf dem Werk "Chakra" – das Wort bezeichnet eine menschliche Körperstelle als Energiezentrum – liegt hingegen alles scheinbar offen zutage. Aber das kann natürlich täuschen. Sicher ist: Gassmann malte "Chakra" während der Corona-Schließung seines Lieblings-Yoga-Studios in Würzburg (einen weiteren Atelier-Wohnsitz hat er in Berlin). Die Wiedereröffnung der Anlagen im Sandermare-Komplex in dieser Woche war zugleich die Übergabe von "Chakra".