"Zum Wohl." Für Ria Götz aus Bolzhausen, die ihr Glas erhebt, ist das tägliche Schlückchen ihres selbsthergestellten Holunderlikörs ein gut schmeckendes Lebenselixier. Die 86-jährige gebürtige Eßfelderin ist seit frühester Jugend vertraut mit dem landläufig "Holler" genannten Strauch. Sie erinnert sich noch gut an die Worte ihrer Mutter die sagte: "Den Holler muss man heilig halten, der wirkt bei Menschen und Tieren und darf nie umgehauen werden."
Der Busch wurde vor uralten Zeiten als "heiliges Gehölz" bezeichnet. Ihm wurde nachgesagt, dass er an der Stelle, an der er wächst, alles Böse an sich zieht und Menschen und Tiere vor Krankheiten und Leid beschützt. Er wurde bereits vor Tausenden von Jahren vielseitig genutzt.
Eine alte Bauernregel, die sagt "Vor dem Holler sollst Du den Hut ziehen", bringt zum Ausdruck, wie sehr die Menschen früher den Holunder geschätzt haben. Die Germanen hatten den Holunder, der in der Mythologie für Fruchtbarkeit, als Wächter der Ahnen und als Tor zur Unterwelt steht, der Hausgöttin Freya geweiht.
Der Name "Gottes Apotheke", wie der knorrige, langlebende und anspruchslose Busch früher auch genannt wurde, hat heute längst nicht mehr den Stellenwert wie in der Vergangenheit, in der er besonders in ländlichen Gegenden sehr beliebt war und im Volksglauben als Schutzbaum galt.
Dass es in der Natur wohl kaum eine Pflanze gibt, die sich so vielseitig nutzen lässt wie der Holunder, das ist Heidi Mark aus Sonderhofen bestens bekannt. Seit ihrer Ausbildung zur Kräuterpädagogin vor rund 20 Jahren hat der Holler für sie einen besonderen Stellenwert. Von ihrem Busch im Hof werden die Blütendolden geerntet. "Ganz klassisch" werden daraus "Hollerküchlein" gebacken. Weiter liefern die Blüten die Zutat für die Zubereitung von Erkältungstee, Sirup und Holunderessig, der mit dunklem Balsamicoessig hergestellt wird.
Aus den schwarzen Beeren gewinnt sie Saft, kocht Marmelade, verbackt sie im Kuchen oder setzt einen wohlschmeckenden Shrub an. Shrub ist ein Fruchtsirup der zu gleichen Teilen Beeren, Zucker und Essig enthält, und der gemischt mit Wasser oder Sekt ein erfrischendes wohlschmeckendes Getränk ergibt.
Den Strauch, an dem derzeit die großen Dolden mit den duftenden zarten weißen Blüten eine Vielzahl von Insekten anziehen, gibt es noch wie früher rundum in allen Dörfern zu finden - so wie das große Exemplar in Gelchsheim.
Die wertvollen Eigenschaften des Hollers, von dem noch heute in der Naturheilkunde Pflanzenteile gegen verschiedene Beschwerden eingesetzt werden, erkannten schon Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) und der Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821 bis 1897).
Der unverwüstliche Busch, der auch auf kargen Böden wächst, und der heutzutage kaum beachtet wird, wurde früher zum Färben von Leder benutzt und das Holz zur Herstellung von Musikinstrumenten. Nach dem alten Spruch "Rinde, Beere, Blatt und Blüte, jeder Teil ist Kraft und Güte, jeder segensvoll" gab es früher wohl keinen Bauernhof ohne einen Holunderbusch, der als Hausapotheke gedient hat. Als Sud, Tee oder Saft kam der Holler bei Bronchitis, Husten , Atemwegserkrankungen, Fieber, Heuschnupfen, Schleimhautentzündungen, Allergien und wiederkehrenden Harnwegsinfekten zum Einsatz.
Außerdem gilt "Hollermedizin" als immunstärkend, stoffwechselanregend, entzündungshemmend, die Lymph- und Blutzirkulation anregend, klärend und entgiftend sowie stärkend und beruhigend für das Nervensystem.
Der Holunder, um den sich unzählige Mythen und Legenden ranken, und der zur Heilpflanze 2024 ausgerufen wurde, beschäftigte auch Gedichte-und Liederschreiber. So inspirierte er Eduard Mörike (1804 bis 1875) in einem Gedicht ebenso wie die Sängerin Lolita (1931 bis 2010), die 1957 große Erfolge feierte mit dem Schlager "Weißer Holunder".
Aus der Feder der zeitgenössischen Autorin Wiebke Reineke stammen die Verse über den Holunder, die damit beginnen: "Für gute Geister sieht man oft, ein Hollerbusch an Hof und Scheune, als Schutz, so hat man stets gehofft, vor Krankheit, Brand und Pech alleine. So glaubten damals viele Leute, drum sieht man´s noch recht häufig heute."
Für alle Rezepte mit Holunderblüten gilt: Die Blütendolden vorsichtig ausschütteln, um Staub und eventuell kleine Insekten zu entfernen. Sollten die Blüten in stehendem Wasser kurz geschwenkt werden um sie zu säubern, dann geht dabei allerdings der Blütenstaub und das Aroma für den Holunderblütensirup verloren.
Rezept für Hollerküchlein: Die Dolden werden in einen nicht zu festen Pfannkuchenteig getaucht und in heißem Öl für zirka zwei Minuten gebacken. Auf einem Küchentuch abtropfen lassen und nach Geschmack mit Puderzucker bestreuen, so schmecken die Hollerküchlein an besten.


