Es war im September 1985, als der damalige Gaukönigshöfer Bürgermeister Paul Lesch (1928-2014) die Mitglieder der CSU-Kreistagsfraktion bei einer Besichtigungsfahrt durch den Landkreis Würzburg auf eine Besonderheit in seiner Gemeinde aufmerksam gemacht hat. Das Ortsoberhaupt führte die Delegation in die ehemalige Synagoge, in der neben allerlei Gerümpel noch Reste des Thora-Schreins sowie Wand-und Deckenmalereien erhalten waren.
Damals sagte Mitglied im bayerischen Landtag Christian Will: "Mit einfachsten Mitteln ließe sich hier eine Gedächtnisstätte schaffen." Sein Vorschlag: "Der Landkreis sollte dafür etwas tun, als einen Akt der Wiedergutmachung stellvertretend für alle Gemeinden". Das wurde schon bald in die Tat umgesetzt. Am 16.Oktober 1988 wurde die wiederhergestellte Synagoge als jüdische Kreisgedächtnisstätte mit zahlreichen jüdischen Gästen aus aller Welt feierlich eigeweiht.
Wie für Paul Lesch, der rund 200 Mal Besucher durch die Kreisgedenkstätte geführt hat, ist auch für Gertraud Renner und Rita Dürr die Einrichtung zu einem ganz besonderen Ort geworden. Beide Frauen kennen sich bestens aus mit den Sitten und Gebräuchen der jüdischen Bevölkerung. Mit ihrem Wissen machen sie Schulkinder ebenso vertraut wie Besucher aus Amerika oder Studenten aus Israel.
Für die gebürtige Gaukönigshöferin Gertraud Renner die ihr Magister-Studium in Geschichte und Politik abgeschlossen hat, begann der Einsatz in der Kreisgedenkstätte bereits im darauffolgenden Jahr nach der Eröffnung. Wie sie im Gespräch mit Bürgermeister Bernhard Rhein sagt, wäre es für sie undenkbar gewesen, dass die 29 Gaukönigshöfer die durch die Judenverfolgung der Nationalsozialisten ihr Leben verloren haben, in Vergessenheit geraten.
Über das Leben der Juden informieren ist Herzensanliegen
Als eine der Hauptinitiatorinnen der Gedenkstunde, die 1989 ins Leben gerufen wurde und die jeweils am 10. November in der Synagoge stattfindet, wirkt sie auch heute noch bei der Veranstaltung mit. Für Gertraud Renner und Rita Dürr ist es ein Herzensanliegen über das Leben der Juden zu informieren und den Besuchern einzelne Schicksale nahe zu bringen. Sie tun das, "um zu erklären und verständlich zu machen, was damals der jüdischen Bevölkerung angetan worden ist und das sich diese Geschichte niemals wiederholen darf."
Nachdem es, nach den Worten von Gertraud Renner, "schon fast wieder salonfähig geworden ist, menschenverachtend zu reden und zu handeln", sei es wichtig, nicht vergessen zu lassen, welches Unrecht in der Vergangenheit geschehen sei.
Rita Dürr ist zertifizierte Synagogenführerin
Die gebürtige Sonderhöferin Rita Dürr, die durch ihrer Heirat 1970 nach Gaukönigshofen gezogen ist, hat hier erstmals etwas von den früheren jüdischen Mitbürgern erfahren. Aus Interesse an der ihr völlig fremden jüdischen Lebensweise nahm sie an einem einjährigen "Thora-Projekt" teil. Dass von der jüdischen Gemeinde in Würzburg und Unterfranken unter dem Vorsitz von Josef Schuster organisierte Projekt diente der Einführung in das Judentum und der Schulung ehrenamtlicher Synagogenführer. Als sie sich nach der Prüfung im Jahr 2001 zertifizierte Synagogenführerin nennen durfte, dachte Rita Dürr noch nicht daran ihr Wissen in der Kreisgedenkstätte einzusetzen. Erst als Paul Lesch von ihrer Qualifikation erfuhr und sie wiederholt ansprach, befasste sie sich mit der jüdischen Geschichte und der Synagoge in ihrer Heimatgemeinde.
Auch Bernhard Rhein bekam bei seinem Amtsantritt vor 13 Jahren von Paul Lesch eine ausführliche Einweisung, um zumeist die Privatpersonen, die sich für die Vergangenheit ihrer Vorfahren interessieren, durch die Einrichtung zu begleiten.
Gertraud Renner und Rita Dürr beginnen ihre Führungen mit der anschaulich erklärten Geschichte der Juden, die erstmals 1550 in Gaukönigshofen ansässig wurden. Bis um das Jahr 1880 gab es 14 Schutzjudenhäuschen im ummauerten Freihof des Schlösschens. Den Schutzbrief, durch den sie die Erlaubnis bekamen über Land zu gehen, bekamen sie von dem Schutzherren von Rosenbach ausgestellt. Als 1790 der erste Rabbi in die Gaugemeinde kam, wurde die 1750 gebaute Synagoge erweitert. Entweder stark erweitert oder neu gebaut wurde 1842 die Synagoge in ihrem heutigen Zustand. Nachdem im Jahre 1834 zu den 543 Einwohnern 117 Juden zählten, errichtete die jüdische Gemeinde ein stattliches Schulhaus neben der Synagoge.
Bei der Renovierung wurden in dem Hauptraum der Synagoge die Wandmalereien und der Davidstern an der Decke in ihren alten Mustern ergänzt und aufgefrischt. Dazu wurde ein Relief angebracht das den Landkreis Würzburg zeigt mit den Ortschaften in denen einstmals jüdische Bürger ansässig gewesen sind. Im Original erhalten geblieben sind die Säulen seitlich des einstmaligen Thoraschreins sowie die Inschrift: "Wisse vor wem du stehst". Neben dem Hauptraum gibt es in der ehemaligen Lehrerwohnung eine Dauerausstellung zu sehen, die sich mit der Geschichte den jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg beschäftigt.
Im Memorbuch steht die Geschichte der Gemeinde und ihrer Mitglieder
Im Museum wo Fotos und Dokumente an die jüdische Vergangenheit erinnern, ist auch das aus dem Jahre 1715 stammende Memorbuch zu sehen. Wie Rita Dürr erklärt, wurden die Memorbücher in der Synagoge der jeweiligen Gemeinde verwahrt, um so auch die Totentage der verstorbenen Gemeindemitglieder einzuhalten. Eine weitere wichtige Funktion der Memorbücher war, die Geschichte der Gemeinde für die Nachkommen zu erhalten. So finden sich in Memorbüchern nicht nur die Namen der Verstorbenen, sondern sind auch besondere Ereignisse, wie Anfeindungen oder Ausschreitungen gegen die Gemeinde festgehalten. Die jüdische Vergangenheit Gaukönigshofens spiegelt sich auch in dem im Jahre 1819 errichteten und renovierten rituellen Bad, der Mikwe wieder.
Durch die vom Kaiserreich (1871-1918) erbrachte rechtliche Gleichstellung und die freie Wahl des Wohnortes zogen zahlreiche jüdische Mitbürger fort. Mit Anschluss des Ortes an die im Jahr 1907 in Betrieb genommene Eisenbahn begann die Blütezeit einiger Gaukönigshöfer Juden. In der von Weikersheimer Brüdern gegründeten Companie, die Landmaschinen vertrieben hatte, waren zu Spitzenzeiten über 100 Arbeiter beschäftigt. Bernhard Weikersheimer und Söhne betrieben einen Viehhandel, Louis Kleemann handelte mit Getreide und Stoffen. Das Schlösschen in dem die Familie Kleemann wohnte, wurde in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts abgerissen, um die Schule zu errichten. Die jüdischen Mitbürger, die im Gemeinderat ebenso vertreten waren wie in der freiwilligen Feuerwehr und im Schützenverein, zählten zu den Mitbegründern des Gaukönigshöfer Sportvereins und beteiligten sich am Bau des Kindergartens, der sogenannten Kinderbewahranstalt.
Wohnungen zertrümmert und Geschäfte geplündert
Das gute Miteinander im Gemeindeleben ging mit der Machtergreifung von Adolf Hitler im Jahre 1933 zu Ende. Trotzdem hatten von den Juden, die jetzt aus dem Gemeinderat und den Vereinen ausgeschlossen waren, vor der Pogromnacht am 9. November 1938 lediglich vier von 53 ihre angestammte Heimat verlassen. In Gaukönigshofen ereilte das Schicksal die jüdische Bevölkerung am Abend des 10. November 1938. Die jüdischen Mitbürger wurden zusammengeschlagen, aus ihren Häusern gejagt, ihre Wohnungen zertrümmert und ihre Geschäfte geplündert. In der Synagoge wurden der Thoraschrein, drei Thorarollen und die gesamte zerschlagene Inneneinrichtung verbrannt. Louis Kleemann, der zuvor eine der Thorarollen gerettet hatte, brachte sie nach seiner Auswanderung nach Baltimore, wo sie heute noch in der Synagoge untergebracht ist.
Martha Thalheimer, die sich aus Angst vor den Schergen in der kalten Nacht nur mit dem Nachthemd bekleidet im Garten des Nachbarn versteckt hatte, bekam eine Lungenentzündung. An der Krankheit verstarb sie nur wenige Tage später. Das endgültige Ende für die Gaukönigshöfer jüdische Familien kam im März 1942. Damals wurden 25 Kinder, Frauen und Männer nach Izbica und vier in das Vernichtungslager Theresienstadt transportiert und dort ermordet.
GedenkstundeBei einer Veranstaltung am Samstag, 10.November, um 19 Uhr wird in der Synagoge in Gaukönigshofen an den 80. Jahrestag der Pogromnacht sowie des 30-jährigen Bestehens der Kreisgedenkstätte erinnert. Einige Mitglieder der Musikkapelle Gaukönigshofen wirken mit. Bildhauer Reinhard Kraft (Wolkshausen) wird die von ihm geschaffenen steinernen Koffer vorstellen. Ein Koffer wird seinen Platz am Würzburger Gedenkort Aumühle finden, ein weiterer wird in Gaukönigshofen an die Menschen erinnern, die von dort aus, nur mit einem Koffer, ihre Reise ohne Wiederkehr angetreten haben.




