Von dieser historisch bedeutsamen Unterkunft ist heute nicht mehr viel übrig: Das Augustinerkloster St. Georg, zweimaliger Übernachtungsort für Martin Luther, ist Vergangenheit. Wo einst ein sakraler Bau stand, befindet sich heute das Polizeipräsidium. Selbst der Gedenkstein, den das evangelische Dekanat und der Augustinerorden 1983 zum 500. Geburtstag des Reformators aufstellen ließen, musste vorübergehend dem Polizeineubau weichen.
Geschichte um Glauben und Freundschaft
Die Würzburgerin Annika Rudolph-Hofhauser kommt oft am ehemaligen Klostergelände vorbei. Als der Luther-Gedenkstein verschwand, stellte sie Nachforschungen zum Verbleib der Erinnerungstafel und zum Würzburgbesuch des Mönches an. Und stieß auf eine spannende Geschichte um Glaube und Freundschaft. Rudolph-Hofhauser erzählt: „Martin Luther hatte rund ein halbes Jahr vor seiner Ankunft in Würzburg die 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg geschlagen. Daraufhin wurde er zum Ordenskapitel nach Heidelberg bestellt, um seine Ansichten zu erläutern.“
Am 12. April 1518 macht der Mönch sich zu Fuß auf die Reise. Bis zu 70 Kilometer am Tag schaffen Luther und sein Begleiter, ein Bote namens Urban. Die längste Etappe führt sie am 17. April spätabends nach Würzburg, sie übernachten im Augustinerkloster. Am nächsten Tag will Martin Luther den Empfehlungsbrief seines Kurfürsten an den fürstbischöflichen Hofmeister Sigismund von Thüngen übergeben, doch der ist nicht da.
Gespräch mit dem Bischof
Nun geschieht das kleine Wunder: „Der Fürstbischof Lorenz von Bibra persönlich nimmt Luther in Empfang, und zwar sehr freundlich“, sagt Annika Rudolph-Hofhauser. „Dabei war Würzburg damals erzkatholisch.“ Auch Luther hält die Begegnung in einem Brief an den Wittenberger Priester Georg Spalatin (1484-1545) fest: „Sigismund von Thüngen trafen wir nicht an; er war verreist (…). Der hochw. Herr Bischof aber nahm persönlich den Empfehlungsbrief in Empfang, ließ mich rufen und von Angesicht zu Angesicht sich mit mir unterhaltend, wollte er auf seine eigenen Kosten mir einen Boten bis Heidelberg zugesellen.“
Luther lehnt ab, er ist zu erschöpft von den langen Märschen und reist mit dem Wagen weiter. Doch über den freundlichen Empfang des Fürstbischofs freut er sich. Worüber genau Lorenz von Bibra und der Kirchenkritiker Luther sich unterhalten, ist nicht überliefert. Klar ist aber doch: „Der damals 34-jährige Professor für Bibelexegese und der 61-jährige Fürstbischof sind sich einig, dass die römische Kirche dringend einer Erneuerung bedarf“, sagt Annika Rudolph-Hofhauser. Der „feinsinnige Oberhirte“, wie Lorenz von Bibra im Sonntagsblatt bezeichnet wird, weiß um die Missstände in seinem Bistum: Verweltlichung im Lebensstil, Eigensucht von Pfarrern und der Ablasshandel bereiten dem Bischof Sorgen. Er ist so angetan vom Augustinermönch, dass er seinem Freund, dem Kurfürsten von Sachsen, im Januar 1519 eigenhändig einen Brief schreibt. Er rät dem Adressaten, Luther nicht weiterziehen zu lassen, „denn ihm geschähe Unrecht“.
Erinnerung an den Reformator
Bibra wollte verhindern, dass der Kirchenkritiker nach Rom reist, wie es damals vom Papst verlangt wurde. Einen Monat nach diesem Freundschaftsdienst stirbt Lorenz von Bibra. Geschichtsforscher vermuten, dass die Reformation im Hochstift Würzburg einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn der Fürstbischof länger gelebt hätte. Denn sein Nachfolger Konrad II. von Thüngen wacht darüber, dass Luthers „Irrlehren“ sich nicht weiter verbreiten. Dessen kurze Aufenthalte auf dem Weg nach Heidelberg und zurück hinterließen in Würzburg wohl zunächst keine bedeutenden Spuren. Doch Annika Rudolph-Hofhauser sagt: „Ich finde Querdenker wie Luther sympathisch und hoffe, dass der Gedenkstein wieder aufgestellt wird. Falls nicht, erinnern ja noch die Martin-Luther-Kirche und die Martin-Luther-Straße an den Reformator.“
Text: Kirsten Schlüter
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