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OCHSENFURT: Ein Rentner schämt sich für die AfD-Wähler in seiner Stadt

OCHSENFURT

Ein Rentner schämt sich für die AfD-Wähler in seiner Stadt

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    Seit dem Montag nach der Bundestagswahl 2017 kommt Jürgen Schuhmann (Mitte) jeden Montag um 17 Uhr zum Rathausplatz und protestiert mit einem Schild gegen die AfD-Wähler aus Ochsenfurt. Links Unterstützer Leander Sukov mit Hund Fiete, rechts Peter Honecker.
    Seit dem Montag nach der Bundestagswahl 2017 kommt Jürgen Schuhmann (Mitte) jeden Montag um 17 Uhr zum Rathausplatz und protestiert mit einem Schild gegen die AfD-Wähler aus Ochsenfurt. Links Unterstützer Leander Sukov mit Hund Fiete, rechts Peter Honecker. Foto: Claudia Schuhmann

    Am Montagnachmittag um 17 Uhr herrscht nicht viel Betrieb vor dem Ochsenfurter Rathaus. Da nähert sich strammen Schrittes ein älterer Herr mit einem großen Pappdeckel. Auf den Stufen vor dem Rathaus befestigt er den Karton an einem Stecken, und jetzt ist auch zu lesen, was dort geschrieben steht: „Wehret den Anfängen! Ich stehe hier und schäme mich für 694 AfD-Wähler in Ochsenfurt.“

    Der Mann mit dem Schild heißt Jürgen Schuhmann, ist 71 Jahre alt und will bis Weihnachten jeden Montag zur selben Zeit eine Stunde lang vor dem Rathaus ausharren. Warum? „Weil ich mich sehr intensiv mit den Ursachen des Dritten Reichs befasst habe, und damals hat es genauso angefangen“, sagt Schuhmann. Am Wahlsonntag hatte der Ochsenfurter festgestellt, dass 694 Mitbürger der AfD ihre Stimme gegeben hatten.

    Die AfD-Wähler kommen nicht aus der Deckung

    „Diese Zahl sprang mich an“, erklärt er. Schuhmann kann nicht verstehen, dass so viele Ochsenfurter diese Wahlentscheidung getroffen haben. Klar – das seien nicht alles Nazis, sagt er. Vermutlich aber Leute, denen nicht bewusst sei, was für einer Partei sie da ihre Stimme gegeben hätten und welche Verantwortung sie damit trügen. Wer die AfD-Wähler sind, weiß Schuhmann nicht. „Sie kommen nicht aus der Deckung.“ Dabei hätte er gerne mit ihnen diskutiert – auch deshalb steht er vor dem Rathaus.

    Aber die, die bisher zu ihm kamen, bekundeten ihre Sympathie für seine spontan entstandene Aktion. Daher kennt Jürgen Schuhmann nur allgemeine Aussagen von AfD-Wählern. Und die leuchten ihm nicht ein. „Das sind Wähler, die mit Gott und der Welt unzufrieden sind“, meint er. „Sie sind überfordert mit einer immer schnelllebigeren Zeit und wollen zurück in die Vergangenheit.“ Geschrei und Gepöbel und eine blubbernde Unzufriedenheit seien alles, was er an Begründungen bisher gehört habe.

    Statt Lösungen werden Schuldige präsentiert

    Unzufriedenheit mit was eigentlich? Das weiß Jürgen Schuhmann nicht. „Wir sind doch die Gewinner“, sagt er. „Und jetzt wundern wir uns, dass die Verlierer vor unserer Tür stehen.“ Den Wohlstand allein für das eigene Volk zu beanspruchen, werde auf Dauer unmöglich sein, findet Schuhmann. Dennoch sei es wohl die Furcht, von diesem Wohlstand etwas abgeben zu müssen, die die AfD-Wähler umtreibe.

    „Dabei bietet diese Partei doch gar keine Lösungen an“, empört sich Schuhmann. Sie spiele geschickt mit Ängsten und Sorgen der Menschen und präsentiere außenstehende Schuldige als Urheber diffuser Gefahren. Ein Vorgehen, das Schuhmann aus der Zeit des Nazi-Regimes unangenehm bekannt vorkommt. „Damals waren es die Juden, jetzt sind es Flüchtlinge und Migranten.“ Jürgen Schuhmann sagt, er habe auch schon schwere Zeiten erlebt. Aber den Reflex, dafür stets einen Schuldigen zu suchen, kann er nicht nachvollziehen: „Ich kann es nicht mehr hören.“

    Katharsis in Auschwitz

    Schuhmann ist gebürtiger Ochsenfurter, hatte lange Zeit einen Betrieb für Heizungs- und Installationstechnik und später ein Ingenieurbüro. Schwerpunktmäßig befasste er sich mit regenerativen Energien. Seit er im Ruhestand ist, widmet er viel Zeit der Kunst und dem Radfahren. Manchmal verbindet er auch beides. So schrieb er ein Gedicht über seine Fahrradtour nach Auschwitz, zu der ihn einer der in Würzburg verlegten Stolpersteine zum Gedenken an Opfer des Nazi-Regimes angeregt hatte.

    Diese Reise empfand Jürgen Schuhmann als Katharsis. Der Besuch dieses Mahnmals des Grauens hat in ihm den festen Entschluss verankert, sich mit aller Kraft gegen eine mögliche Wiederholung solcher Verbrechen zu stemmen. Und eine Wiederholung hält er angesichts von aus seiner Sicht rassistischen Standpunkten in der AfD für nicht ausgeschlossen.

    An diesem Montag hat Schuhmann Gesellschaft bekommen: Mit ihm demonstrieren der Schriftsteller Leander Sukov und der Ochsenfurter AWO-Vorsitzende Peter Honecker, der selbstbewusst sagt: „Ich stehe hier, weil ich zeigen will: Wir sind das Volk!“ Er meint die mehr als 85 Prozent, die nicht die AfD gewählt haben.

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