Oberbürgermeisterin Pia Beckmann steht auf der Alten Mainbrücke inmitten einer Gruppe von jungen Leuten: "Das ist das Rathaus", zeigt sie, "da könnt ihr mich auch mal besuchen." Ihr Publikum sind Menschen mit einer geistigen Behinderung. Gut möglich, dass demnächst mal einer von ihnen an ihre Tür klopft. Die Leute lernen sich in der Stadt zu orientieren.
Wenn's nach der OB geht, gibt es in Würzburg bald Stadtführungen für geistig behinderte Leute. Wenn's nach den Disziplinen Geistigbehindertenpädagogik und Didaktik der Geographie der Uni Würzburg geht, auch. Studierende beider Fächer erarbeiten Konzepte für Führungen. Geistig behinderte Schüler der Christophorus-Schule in Würzburg und der St.-Martin-Schule in Kitzingen zeigten jetzt, ob sie was taugen.
Auf Fahrradsuche
Sieben Gruppen gingen los, begleitet von Schulpersonal und Studierenden. Letztere verpackten die Führungen in Aufgaben. Da musste zum Beispiel ein gefangener Fürstbischof im Residenzgarten befreit werden. In einer anderen Aufgabe hatte ein so genannter "Dr. Evil" im Ringpark eine Bombe gelegt, weil er ein Parkhaus bauen wollte. Die Gruppe hatte eine halbe Stunde Zeit, die natürlich nicht echte Bombe zu entschärfen. Zwei Klassen gehen zusammen als Detektive los, um ein nur im Spiel geklautes Fahrrad zu finden. Und zwar dort, wo die Altstadt-Gassen besonders winklig sind. Die Aufgabe: Eine Spanierin, des Deutschen nicht mächtig, hat den Diebstahl beobachtet und zeigt den Spürnasen den Weg. Die Detektive sollen einen Plan vom Weg machen, für die Polizei.
Vor einem Café in der Münzstraße erklärt der Pädagogikstudent Alexander Hofmann den Schülern die Aufgabe. Die Lehrer, Hiltrud Eckl und Jürgen Baier, unterhalten sich derweil. Sie wollen bewusst keine Ahnung haben, ihre Schützlinge sollen sich alleine zurechtfinden. Ein Fehlschlag deutet sich an. Keiner hat richtig aufgepasst, Hofmann hat's kompliziert erklärt, keiner weiß was er tun soll. Ratlosigkeit nach ein paar Schritten. Hofmann erklärt deutlicher und es geht los.
Orientierungshilfe Fotos
Es ist zäh. Sag' einem Menschen ohne geistige Behinderung, er soll einen Plan vom Gassengewirr zwischen Münz- und Sanderstraße malen: Auch er kommt ins Schwitzen. Die Gruppe hat eine Polaroidkamera zur Verfügung; sie kann Sofortbilder schießen und auf den Plan kleben, für die bessere Orientierung.
Alle reden durcheinander. Ein paar wenige kümmern sich um die Lösung, die anderen schert's nicht. Eckl und Baier helfen ungern. Baier sagt, die Schüler sollen lernen, sich selbstständig zurechtzufinden. Die spanische Zeugin bereitet Kopfzerbrechen. "Kann sie wenigstens Englisch?", fragt eine Schülerin. Eckl: "Frag sie doch!" Schülerin: "Aber wie spricht man Englisch?"
Es schaut aus, als würde das nie was werden. Eckl und Baier ziehen sich zurück. Und siehe, die Gruppen werden engagierter. Die Detektive beraten sich, wo am besten ein Foto zu machen ist. Suchen nach markanten Punkten. Langen aber daneben, weil sie ein Auto für einen halten. Das Auto wird wegfahren, zum Verdruss einer anderen Gruppe, die sich nach dem Plan orientieren will. Die Schüler überwinden sich Passanten zu fragen, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Die Stadtführung ist nicht einfach. Eckl sagt, die Studierenden könnten die Leistungsfähigkeit der Schüler schwer einschätzen. Eine Detektivin mault. Quatsch sei das, dem Polizisten einen Plan zu malen. Der müsse doch wissen, wie er zum Fahrrad kommt.
Ziel Forschungsprojekt
An der Ecke Sanderstraße/Obere Johannitergasse stellt die Lehrerin "einen großen Lernerfolg" fest. Eine halbe Stunde nach Beginn des Spiels stehen alle eng beisammen und halten Kriegsrat. Später wird sich herausstellen, dass die Panne mit dem weggefahrenen Auto die einzige ist, die beim Plan-machen passiert ist. Irgendwann stehen die Schüler jubelnd vor dem Fahrrad. Dann bekommen sie einen Stadtplan, den eine andere Gruppe gemacht hat. Sie müssen ihm folgen, um wieder ein Fahrrad zu finden.
Anschließend gibt's Manöverkritik im Café. Christoph Ratz, Dozent der Geistigbehindertenpädagogik, ist zufrieden. "Es hat voll funktioniert." Eine Studentin findet "interessant zu sehen, wie das gehen kann, weil Dinge passieren, die in der Theorie gar nicht auftauchen". Langfristig wollen Geistigbehindertenpädagogik, Didaktik der Geographie und Don-Bosco-Schule gemeinsam ein Forschungsprojekt etablieren, das Fragen der Entwicklung der Orientierungsfähigkeit und der Mobilität nachgeht. Die Stadtführung ist der erste Schritt dazu.