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Würzburg: „Eine Verrechnung von Menschenleben ist rechtswidrig“

Würzburg

„Eine Verrechnung von Menschenleben ist rechtswidrig“

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    Eurofighter-Pilot Lars Koch (Florian David Fitz, vorne), sen Verteidiger (Lars Eidinger, l), die Staatsanwältin (Martina Gedeck) und der Richter (Burghart Klaußner, r) in „Terror - Ihr Urteil”.
    Eurofighter-Pilot Lars Koch (Florian David Fitz, vorne), sen Verteidiger (Lars Eidinger, l), die Staatsanwältin (Martina Gedeck) und der Richter (Burghart Klaußner, r) in „Terror - Ihr Urteil”. Foto: Foto: Julia Terjung/ARD Degeto/Moovie/

    Für die ARD war der Film ein „Highlight des Jahres“, rund 6,9 Millionen Menschen verfolgten am Montagabend „Terror – Ihr Urteil“. Das TV-Spiel mit Martina Gedeck als Staatsanwältin und Florian David Fitz als angeklagter Bundeswehr-Pilot entstand auf der Basis eines Stücks des Autors Ferdinand von Schirach, das bereits mehr als 400-mal im Theater aufgeführt worden ist.

    Inhalt ist die fiktive Geschichte um ein von Terroristen entführtes Flugzeug mit 164 Passagieren, das in ein Fußballstadion mit 70 000 Zuschauern gelenkt werden soll. Der Pilot entschließt sich dazu, das Flugzeug abzuschießen – und die Zuschauer fällen ihr Urteil: Schuldig oder nicht schuldig. Professor Eric Hilgendorf (55) ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Würzburg, und er kennt und schätzt das Buch von Schirach. Die öffentliche Diskussion nach dem Film hat er ebenfalls verfolgt. Ein Gespräch über Moral, Schuld und die Urteilsfähigkeit des Volkes.

    Frage: Herr Hilgendorf, viele Deutsche diskutieren über „Terror – Ihr Urteil“, den fiktiven Fall eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs, das von einem Bundeswehrsoldaten abgeschossen wird. Wie finden Sie als Strafrechts-Professor das Format?

    Eric Hilgendorf: Den Theoretiker freut es, wenn diese Grundlagenfragen in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Der Film hat deutlich gemacht, dass diese Fragen durchaus auch praktisch relevant sein können. Das Luftsicherheitsgesetz von 2005 ist ein reales Gesetz und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Jahr später, §14, Absatz 3 zu kippen, der unter bestimmten Umständen einen Abschuss zugelassen hätte, ist auch eine reale Entscheidung. Für problematisch halte ich indes, dass nun Interna der Luftabwehr in der Öffentlichkeit breitgetreten werden, etwa die Tatsache, dass nun offenbar davon ausgegangen werden kann, dass entführte Maschinen abgeschossen werden.

    Professor Eric Hilgendorf (55) ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Würzburg.
    Professor Eric Hilgendorf (55) ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Würzburg. Foto: Theresa Müller

    Tatsächlich sprach der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) darüber, dass im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland über solch ein mögliches Szenario wie im Film gesprochen wurde. Erhöht das das Sicherheitsrisiko?

    Hilgendorf: Nein, das Risiko wird vermindert, weil Straftäter abgeschreckt werden. Potentielle Entführer wissen nun, dass das Flugzeug abgeschossen wird. Wenn die Entführer davon ausgehen könnten, dass sie nicht angegriffen werden, könnte das Terroristen motivieren.

    Sie haben es angesprochen: Das Bundesverfassungsgericht erklärte den entsprechenden Absatz im Gesetz für nichtig. Gibt es dennoch eine gesetzliche Grundlage, auf der ein entführtes Flugzeug abgeschossen werden dürfte?

    Hilgendorf: Das Grundgesetz sagt dazu direkt nichts aus. Aber man kann Artikel 1, den Paragrafen über die Unantastbarkeit der Menschenwürde, so interpretieren, dass eine Verrechnung von Menschenleben immer rechtswidrig ist. Ich halte diese Ansicht für richtig. Das Argument, man dürfte 164 Menschen töten, um 70 000 in einem Fußballstadion zu retten, zieht nicht. Es würde ein rechtswidriger Vorgang bleiben.

    Es gibt nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik am TV-Format. Manche sagen, es sei fahrlässig, weil hierzulande Gerichte entscheiden und nicht die Stimme des Volkes.

    Hilgendorf: Wir leben in einer Demokratie, und natürlich darf das Volk entscheiden. Das Volk bestimmt ja über den Umweg des Parlaments die Gesetze, nach denen die Gerichte dann entscheiden. Deshalb kann ich dieses Argument nicht nachvollziehen. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist gut, dass das Volk entscheidet. Ich glaube, dass das Rechtsgefühl der Bevölkerung im aktuellen Fall auch gar nicht so falsch war. Es wäre auch nach geltender Rechtslage so, dass dieser Pilot höchstwahrscheinlich freigesprochen werden würde. Der Abschuss ist rechtswidrig, aber er ist entschuldigt.

    Wird der Pilot mit seiner Entscheidung nicht von der Politik alleine gelassen?

    Hilgendorf: Grundsätzlich ist es gut, Dinge klar zu stellen und zu regeln. Aber in diesem Fall sollte man eine Abschussgenehmigung nicht regeln, weil das gegen den Gedanken verstößt, dass der Mensch der Höchstwert unserer Verfassung ist. Wenn er das ist, dann darf eine Verrechnung von Menschenleben nicht stattfinden. Man darf aber in solch einem Einzelfall darauf hoffen, dass jemand mutig genug ist, gegen das Recht zu verstoßen.

    Wir erwarten hier von dem Piloten, dass er möglicherweise moralisch einwandfrei, aber doch rechtswidrig handelt. Er muss dann auch die Folgen tragen: Er wird zum Beispiel seinen Beruf verlieren und möglicherweise gering bestraft werden. Der Vorwurf, den eine Gesellschaft solch einem Menschen machen kann, ist sehr schwach, weil moralisch gesehen seine Tat vertretbar ist.

    Die Mehrheit der Zuschauer hat also richtig entschieden?

    Hilgendorf: Ja, und ich selber würde mich auch zu diesen 86 Prozent rechnen, die sagen: Freispruch. Als Jurist würde ich es genauer formulieren: Der Täter hat den Tatbestand erfüllt, und er hat auch rechtswidrig gehandelt. Aber wir können ihm keinen persönlichen Schuldvorwurf machen, deswegen muss er freigesprochen werden.

    Sind Sie froh, dass Sie in der Realität solch ein Urteil nicht sprechen müssen?

    Hilgendorf: Ich bin vor allem froh, dass ich nicht als Pilot eine solche Entscheidung zu treffen habe. Ich stelle mir das fürchterlich vor, aber Menschen beim Militär werden ausgebildet, um auch mit solchen Extremsituationen zu recht zu kommen. Auch für Richter ist es eine schwierige Entscheidung, aber es gab in der Vergangenheit schon Urteile, die in diese Richtung gingen.

    Denken Sie etwa an die Diskussion im Fall des Kindesmörders Magnus Gäfgen. Damals hat der Vizepolizeichef von Frankfurt dem Täter Folter angedroht, damit der ihm den Aufenthaltsort des entführten Kindes nennt. Im Prozess vor dem Landgericht Frankfurt wurde meines Erachtens zurecht geurteilt, dass die Tat des Polizisten rechtswidrig ist, aber die Strafe gering ausfallen muss, weil wir ihn aus moralischen Gründen verstehen können.

    In der aktuellen Debatte ist auch immer die Rede vom übergesetzlichen Notstand. Was ist damit gemeint?

    Hilgendorf: Er ist das Argument hinter meinen Ausführungen bisher. Es gibt gesetzlich verbrieft im Strafrecht zwei verschiedene Notstandsregelungen, den rechtfertigenden und den entschuldigenden Notstand. Der rechtfertigende Notstand liegt vor, wenn man eine Sache zerstört, um einen Menschen zu retten. Wenn es Leben gegen Leben steht, kann eine solche Rechtfertigung nicht greifen. Der Täter kann in diesem Fall entschuldigt sein, wenn er handelt, um sich oder etwa einen Familienangehörigen zu retten. Der übergesetzliche Notstand entschuldigt nur in Fällen, in denen gehandelt wird, um anderen, fremden Menschen zu helfen.

    Gibt es dafür Beispiele?

    Hilgendorf: Es gibt dazu eine Leitrechtsprechung, die von den sogenannten Geisteskrankenmorden im Dritten Reich herrührt. Damals kamen die Nazis auf die Idee, die Insassen von psychiatrischen Anstalten umzubringen. Es wurden sehr viele Anstaltsleitungen angeschrieben und aufgefordert, die Schwerkranken zu benennen. Jeder wusste, die werden dann abtransportiert und umgebracht. Viele Anstaltsleiter haben nachgegeben, andere jedoch haben nur einen Teil der Menschen geopfert, vielleicht 50 benannt, um 500 andere zu retten. Diese Fälle kamen nach dem Krieg vor deutsche Gerichte. Dort wurde gesagt, dass man das Verhalten moralisch nachvollziehen kann, es aber nicht zu rechtfertigen ist. Das Opfern unschuldiger Menschen ist rechtswidrig.

    Wie sah die Bestrafung aus?

    Hilgendorf: Sie erhielten keine Strafe. Man darf Menschenleben nicht verrechnen, aber die Angeklagten waren entschuldigt. Es war ein übergesetzlicher Notstand.

    Der Film hatte knapp sieben Millionen Zuschauer und entfachte eine wuchtige, öffentliche Debatte. Wünschen Sie sich öfter solche Formate?

    Hilgendorf: Ich finde das ein gelungenes Format, wünsche mir aber auch, dass kompetent darüber gesprochen wird. Da hat die Presse eine große Verantwortung, die Dinge klar und differenziert darzustellen. Das Thema ist zu wichtig für Schnellschüsse. Ich selbst bin gerade in Berlin, wo wir im Verkehrsministerium über die sogenannten Dilemma-Programme bei selbstfahrenden Autos diskutieren. Was macht solch ein Fahrzeug, das in eine Kollision gerät und der Computer entscheiden muss: Ein Toter oder drei Tote? Das ist genau dasselbe Problem, nur in einem neuen Gewand.

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