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Würzburg: "Einfach annehmen, wie es die Kinder tun"

Würzburg

"Einfach annehmen, wie es die Kinder tun"

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    Inklusion im Kindergarten schafft einen Ort der Begegnung für behinderte und nicht behinderte Kinder.
    Inklusion im Kindergarten schafft einen Ort der Begegnung für behinderte und nicht behinderte Kinder. Foto: Kindergarten Vogelshof

    Die Kindertagesstätte Vogelshof am Heuchelhof ist eine evangelische, integrative Einrichtung. Das  pädagogische Konzept ermöglicht  Familien von Kindern mit und ohne Behinderung einen Ort der Begegnung, der gemeinsamen Bildung und der gegenseitigen Akzeptanz. Und das seit 30 Jahren. Im Gespräch mit der Leiterin Ursula Ottenbacher geht es um Ziele der Inklusion, erfolgreiche pädagogische Ansätze und die Vernetzung zwischen Kindertagesstätten aus der Region.           

    Frage: Frau Ottenbacher, Ihr Kindergarten gilt als Pionier in der Inklusion. Wie begann es? 

    Ursula Ottenbacher: Es begann mit einer Elterninitiative vor 30 Jahren. Eltern von Kindern mit Behinderung haben sich gewünscht, dass ihre Kinder gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung spielen und erleben können.   

    Ursula Ottenbacher leitet den Kindergarten Vogelshof, der Vorreiter in puncto Inklusion ist.  
    Ursula Ottenbacher leitet den Kindergarten Vogelshof, der Vorreiter in puncto Inklusion ist.   Foto: ANGIE WOLF

    Ein schöner Gedanke. Aber wie steinig war der Weg, bis alles umgesetzt war?  

    Ottenbacher: Es war ein harter und schwieriger Weg. Am Anfang stand die Elternträgerschaft, dann wurde der Verein "Vielfalt leben" gegründet. Nur zwei Jahre später übernahm die evangelische Kirche Gethsemane die Trägerschaft. Seit 20 Jahren ist die Kindertagesstätte in der Bukarester Straße angesiedelt. Toll ist, dass da schon am barrierenfreien Bau mitgewirkt werden konnte. Andererseits hatte die Stadt ein Interesse daran, dass im Zweifel die Räumlichkeiten auch als Regeleinrichtung benutzt werden konnten.      

    Wie waren die Reaktionen von außen?

    Ottenbacher: Es gab viel Skepsis. Eigentlich Skepsis an jeder Stelle, weil es so etwas wie eine inklusive Kindertagesstätte noch nicht gab. Die große Frage war: Können die Kinder wirklich voneinander profitieren, also auch die nicht behinderten Kindern von denen mit Behinderung?

    Können Sie mir beschreiben, was genau die Grundidee von Inklusion ist? 

    Ottenbacher: Die Grundidee der Inklusion ist es, für alle Kinder - egal ob mit oder ohne Behinderung - gleiche Chancen und Teilhabe einzurichten, ihnen das gleiche Recht auf Miteinander, auf Lernen, auf Spielen, auf Förderung zu geben. Das Wichtige ist, das Konzept ganz natürlich zu leben, mit Selbstverständlichkeit, Fantasie und Achtsamkeit für jede einzelne Kind.    

    Hört sich toll an. Aber wie genau setzt man dies in der Praxis um? 

    Ottenbacher: Ganz selbstverständlich. Da, wo Kinder sind, schaut man auf ihre Bedürfnisse. Einerseits schaffen wir Strukturen, die den Kindern Sicherheit geben, zum Beispiel in unserem Morgenkreis. Andererseits schaffen wir Platz für Selbstentscheidung und Partizipation. Wir nutzen den Alltag dazu, situationsorientiert zu handeln,  zum Beispiel beim Frühstück, beim Streiten, beim Globus anschauen, beim Singen. Kinder gehen einfach zusammen. Sie bringen ihre Themen mit.

    Diese sind? 

    Ottenbacher: Grundsätzlich haben alle Kinder ein Bedürfnis nach Bewegung, nach konzentriertem Arbeiten, nach einer Gemeinschaft und nach Spaß. Diese Dinge sind allen Kindern gleich. Das sollte man bei der Planung im Hinterkopf haben.

    Spiel und Spaß für alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung und, egal welcher Nationalität.     
    Spiel und Spaß für alle Kinder, ob mit oder ohne Behinderung und, egal welcher Nationalität.      Foto: ANGIE WOLF

    Thematisieren die Kinder Ihrer Kita am Vogelshof die Behinderung der anderen?

    Ottenbacher: Zunächst mal: Das Wort Behinderung existiert bei uns nicht. Aber natürlich stellen die Kinder Unterschiede fest. Diese werden von uns artikuliert, im Sinne von 'Braucht ein Kind Unterstützung und warum?'. Wir schauen uns dann die Situationen genau an. Im übrigen auch die Situation der Kinder, die beispielsweise eine Allergie haben, die kein Schweinefleisch essen oder gar kein Fleisch essen etc. Auch darauf nehmen wir Rücksicht, auch das ist Inklusion.  

    Bei der Arbeit orientiert sich das Team Vogelshof an Konzepten der Offenen Arbeit, der Montessori- und Pikler-Pädagogik. Was ist das Besondere?   

    Ottenbacher: Es sind Konzepte, die den Kindern eine autonome Entwicklung ermöglichen, vor allem durch das Vertrauen, das die Bezugsperson schafft. Uns ist es wichtig, die Interessen des Kindes wahrzunehmen, ihm Zeit und Raum zu geben, seinen Wunsch nach Selbstständigkeit zu unterstützen und die Gefühle des Kindes ernst zu nehmen. 

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    Ähnelt das inklusive pädagogische Konzept von damals dem von heute?

    Ottenbacher: Auf jeden Fall. Die Grundgedanken der Inklusion sind dieselben. Nur, dass Gottseidank heute der inklusive Gedanke viel mehr in den Köpfen angekommen ist. Damals haben wir um die Anerkennung kämpfen müssen. Anfangs kamen Kinder auch aus der weiten Umgegend in die Einrichtung. Das hat sich verändert. Heute sind wir ein Stadtteilkindergarten. Das entspricht auch dem inklusiven Anspruch, dass die Kinder vor Ort versorgt werden sollen.

    Wer oder was haben zu dieser Veränderung beigetragen?  

    Ottenbacher: Natürlich hat die UN-Menschenrechtskonvention dazu beigetragen, die im Jahr 2009 in Kraft trat. Die Konvention steht zu Recht für einen Wechsel von einer Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte. Es gibt seitdem den Auftrag an Kindergärten und Schulen, den inklusiven Gedanken umzusetzen. Das ist zwar nicht so vorangegangen wie vielleicht gewünscht, aber wir sind auf einem guten Weg. Man muss erleben, dass Inklusion gelingen kann. Berührungsängste müssen über Bord geworfen werden. Deshalb hatten wir zu unserem 30-jährigen Jubiläum auch diesen wunderbaren Fachtag organisiert, um eine Plattform und ein Netzwerk zum Thema Inklusion zu schaffen.         

    Um was ging es genau bei dem Fachtag? 

    Ottenbacher: Zum Jubiläum wollten wir schauen, wo wir heute stehen. Wir sind heute an einem richtig guten Punkt angelangt und können dafür sorgen, uns zu vernetzen und mit Kollegen auszutauschen. Wir wollen den Inklusionsgedanken leben und nach außen tragen. Gleichzeitig wollen wir uns selbst nicht in den Vordergrund drängen, das ist nicht unser Selbstverständnis. Es gab in den vergangenen 30 Jahren viele viele Menschen, die das Konzept Vogelshof mitgetragen haben. Der Fachtag ist das, was aus unserem Konzept geworden ist. Fachkräfte und Therapeuten haben dort vorgetragen und referiert. Ein großer Austausch ist entstanden. 

    Trotzdem dürfen sich Kindergärten auch an Sie direkt wenden, wenn sie sich der Inklusion öffnen?

    Ottenbacher: Natürlich. Wir wollen den Erfahrungsaustausch, und gerne schaue ich mir andere Kitas an, die den Weg der Inklusion einschlagen, und mache mir mit diesen zusammen Gedanken um eine Umsetzung. Die aber vielleicht ganz anders aussieht wie unsere. Trotzdem müssen ja nicht dieselben Fehler noch einmal gemacht werden, und natürlich sind wir bereits an einem anderen Punkt der Auseinandersetzung angelangt.  

    Die Hauptverantwortlichen des Fachtags der Kita Vogelshof: von links Kita-Leiterin Ursula Ottenbacher, Erzieherin und Fachkraft Sprach-Kita Viktoria Maurer, stellvertretender Leiter Markus Hösel.
    Die Hauptverantwortlichen des Fachtags der Kita Vogelshof: von links Kita-Leiterin Ursula Ottenbacher, Erzieherin und Fachkraft Sprach-Kita Viktoria Maurer, stellvertretender Leiter Markus Hösel. Foto: ANGIE WOLF

    Wo findet Vernetzung noch statt? 

    Ottenbacher: Es ist wunderbar. Auch die Fachakadamie für Sozialpädagogik St. Hildegard steht mit uns im Kontakt ebenso Studenten (Elementarbereich) der Universität. Auch viele interessierte Pädagogen und Eltern. Unsere Türen sind offen: Man muss Inklusion erleben. Bei einer Hospitation fragte einmal eine Studentin: 'Wo sind jetzt eigentlich die Behinderten?' Sie waren so integriert, dass sie gar nicht besonders auffielen. Selbstverständlichkeit ist unsere große Stärke. Wir müssen es so machen wie die Kinder, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

    Wurde in Ihrer Einrichtung schon mal ein Kind abgelehnt?

    Ottenbacher: Es wird bei uns kein Kind per se abgelehnt, egal welche Diagnostik vorliegt. Wir schauen uns aber mit Eltern und Therapeuten an, ob unsere Einrichtung die richtige ist, um optimal auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Die Frage ist: Was braucht dieses Kind, damit wir es mitnehmen können? Bisher ist es zum Glück noch nicht vorgekommen, dass wir ein Kind aufgrund seiner Behinderung ablehnen mussten.

    Was wünschen Sie sich für den weiteren Weg der Inklusion? 

    Ottenbacher: Dass die bayerischen Richtlinien für Inklusion umgesetzt werden und, dass auch Schulen die Möglichkeit bekommen, sich mehr damit auseinanderzusetzen. Dazu gehören die entsprechenden Rahmenbedingungen. Es gibt viele Lehrer, die sich der Inklusion öffnen wollen würden, aber sie brauchen Unterstützung von außen...

    Und speziell für Ihren Kindergarten?

    Ottenbacher: Ich wünsche mir, dass der Mut, der vor 30 Jahren zur Schaffung dieser Kita beitrug, uns auch in Zukunft weiter trägt. Um unsere Arbeit noch effektiver zu gestalten, wären neben mehr Personal multiprofessionelle Teams - das heißt neben Erziehern auch Heilpädagogen und Therapeuten - wichtig. Für die nächsten Jahre wünsche ich mir auch wieder einen erfolgreichen Fachtag, der uns im Sinne der Inklusion immer weiter vernetzt.      

    Kita VogelshofDie Kita Vogelshof umfasst 33 Kindergartenkinder und 16 Krippenkinder. Ein Drittel der Kinder hat eine Behinderung, vom Down-Syndrom bis hin zu Mehrfachbehinderungen. Viele der insgesamt 18 Erzieherinnen und Erzieher haben Weiterbildungen in den Bereichen motorische oder sprachliche Entwicklung. Besonders wichtig ist für die Einrichtung die Zusammenarbeit mit Therapeuten.      Betreuungsplätze für Kleinkinder und auch Hortkinder sind derzeit in vielen Städten und Landkreisen knapp. In der Serie "(K)ein Platz für Kinder" beschäftigt sich die Lokalredaktion für Würzburg Stadt und Land mit dem Thema Kinderbetreuung, beleuchtet die aktuelle Situation, gibt Einblick in die Vergabe von Kindergartenplätzen und informiert über Zukunftslösungen, die Stadt und Landkreis Würzburg im Visier haben.

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