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WÜRZBURG: Einsatz hinter Gitterstäben

WÜRZBURG

Einsatz hinter Gitterstäben

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    Albrecht Tangerding hilft hinter Gittern: Der Rottendorfer unterrichtet ehrenamtlich Häftlinge in Deutsch. Für sein Engagement wurde er vor kurzem mit der Medaille für Verdienste um die Bayerische Justiz ausgezeichnet.
    Albrecht Tangerding hilft hinter Gittern: Der Rottendorfer unterrichtet ehrenamtlich Häftlinge in Deutsch. Für sein Engagement wurde er vor kurzem mit der Medaille für Verdienste um die Bayerische Justiz ausgezeichnet. Foto: Theresa Müller

    Der Weg ins Gefängnis ist kurz. Der Weg von der Pforte bis in den Unterrichtsraum zieht sich. Ihn geht Albrecht Tangerding jeden Montagabend, um dort „Deutsch für Neuleser und Neuschreiber“ zu unterrichten. Erst der Gefängnishof.

    Dann eine ganze Reihe Sicherheitstüren, die er zu öffnen und hinter sich zu schließen hat. Ganz wohl ist ihm dabei nicht. Wie einfach wäre es, dem „Lehrerchen“ einen Stoß zu versetzen und ihm die Anstaltsschlüssel zu entreißen? Diese Fragen schießen ihm ab und zu durch den Kopf.

    Häftlinge brauchen Hilfe und nehmen sie auch an

    Und doch. Tangerding kommt gerne in die Würzburger Justizvollzugsanstalt. Er spürt, dass ihn die Häftlinge brauchen und seine Hilfe annehmen. „Für die bin ich kein Beamter, ich habe keine Uniform an. Für die bin ich keiner vom Haftsystem“, erzählt der Rottendorfer. Für sein ehrenamtliches Engagement als Deutschlehrer wurde er vor kurzem mit der Medaille für Verdienste um die Bayerische Justiz ausgezeichnet. Als pensionierter Lehrer der Würzburger Maria-Stern-Schule hat er sich für die Gefängnisschule für Erwachsenenbildung entschieden, wo die Häftlinge Abschlüsse nachholen können, so wie draußen. Er ist einer von 40 Ehrenamtlichen, die in der Strickgruppe, der Koch- und Künstlergruppe oder im Chor zumindest etwas Alltag hinter die Gefängnismauern tragen.

    Im Unterrichtsraum sind er und seine zwölf Schüler unter sich. Hier gibt es keine Überwachungskameras. Den Satz „Wir sind alle schlechte Menschen, wir sind alle Verbrecher“ bekommt er öfter zu hören. Pure Provokation: Mal schauen wie er reagiert, der Pädagoge aus dem zivilen, der aus dem „besseren Leben“. Tangerding kontert das mit einem festen Blick.

    Im Gefängnis gehört viel Mut dazu, Schwäche zu zeigen

    Der genügt meist auch. Tangerding unterlässt es, auf die Provokation einzugehen, die Häftlinge zu belehren oder auf sie einzureden: „Das haben die schon tausend mal gehört.“ Er weiß, dass im Gefängnis viel Mut dazu gehört, Schwäche zu zeigen. Im Knast zählen nicht selten Muskeln, Tätowierungen und eine Straftat, die einem „harten Jungen würdig“ sind.

    Wer würde da schon zugeben, dass er nicht lesen kann, dass er Analphabet ist? Dass er sich in den Unterricht setzt, über Übungen brütet, die sich kaum von denen eines Erstklässlers unterscheiden?

    Die Schüler, die Tangerding früher an der Würzburger Maria-Stern-Schule, einer auf Sprachschwierigkeiten spezialisierten Sonderschule, unterrichtet hat, schafften es meistens, fanden ihren Weg ins geregelte Leben. Das weiß er aus 35 Jahren Unterrichtserfahrung.

    Schulabschluss ohne Lesen und Schreiben

    Einige von denen, die durchs Raster gefallen sind, trifft er nun hier: Die meisten haben eine deutsche Schule durchlaufen und auch den Schulabschluss erhalten, ohne jemals Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Sie finden sich in einfachen Berufen wieder, wo sie anpacken müssen. Oft reichen dann kleine Störungen in der Biografie, um sie dann ganz aus der Bahn zu werfen.

    Plötzlich knallt eine schwere Faust auf den Tisch. „Wollen Sie wissen, warum ich hier sitze?“, faucht ihn einer an. Tangerding weiß, es ist das Gefühl des Versagens, das Gefühl für doof gehalten zu werden, das sich da Bahn bricht. Später berichtet der Gefangene davon, wie er das nicht mehr aushielt. Die ständigen Ausreden: Brille vergessen, Hand verstaucht. Schließlich eine gescheiterte Beziehung. Der Mann beginnt, jeden Tag zwei Flaschen Wodka in sich zu kippen und schlägt auf alles ein, was ihm in die Nähe kommt. Dass er irgendwann hinter Gefängnismauern verschwindet, war wie es scheint nur eine Frage der Zeit.

    Nicht selten ist es nötig, mit psychologischem Geschick, die Häftlinge aus der Reserve zu locken. Immer wieder passiert es, dass einer im Unterricht auf den Boden schaut, nicht auf die Unterrichtsfragen reagiert. In passenden Momenten fragt Tangerding nach und gibt den Straftätern die Möglichkeit, ihr Gewissen zu erleichtern: Ein 24-Jähriger etwa, verurteilt zu sechs Jahre, erinnert sich in solchen Momenten an die Schreie, als er bei Wohnungseinbrüchen unerwartet auf die Bewohner trifft. Die schlaflosen Nächte quälen ihn. Mit der Haft ist rechtlich die Schuld zwar abgebüßt, doch die Erinnerungen bleiben – ein Leben lang, für Täter und Opfer.

    Tangerding ist ein gläubiger Mensch: „Jeder Mensch hat, egal wodurch er sein Leben vermasselt hat, eine neue Chance verdient“, sagt er. Er möchte helfen. Das Vertrauen der Schüler motiviert ihn.

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