Eine Wand aus eisigen Kaskaden. Meterlange Zapfen mit Schneehauben auf den Spitzen. Dazwischen blanker Fels. Es ist eine bizarre Kulisse, die erstarrte Wasserfälle im Winter bilden. Eine eigene Welt, die immer mehr Abenteurer reizt. „Schneeköniglandschaft“ nennt es Judith Holtz. Die ausgebildete Hochtourenführerin bringt beim Alpenverein Würzburg auch Anfängern das Eisklettern bei. Denn lernen, so sagt die Fränkin, kann das jeder. Einfach im Schneeanzug und mit Steigeisen unter den Füßen losklettern, sollte man aber keinesfalls.
Frage: Eisklettern heißt Bergsport bei Minusgraden, an gefrorenen Wasserfällen, in lebensfeindlichen Gegenden. Was reizt daran?
Judith Holtz: Die Kulisse. Wenn die Bäche, die den Berg runterkommen, im Winter gefroren sind, entstehen ganz eigene Strukturen. Das kennt man von Hausdächern, an denen Eiszapfen eine Art Vorhang bilden. Es sieht ein bisschen aus wie eine Schneeköniglandschaft, eine ganz andere Welt. Und da bewegt man sich beim Eisklettern drin. Als normaler Fußgänger beobachtet man das von weitem. Man sagt: Schau mal da, ein gefrorener Wasserfall, man staunt. Beim Eisklettern ist man ganz nah dran. Das ist so bizarr und schön. Wenn dann noch die Sonne scheint, entsteht eine verzauberte Atmosphäre. Das wirkt dann nicht mehr kalt, sondern es glitzert wie Weihnachten.
Was war Ihre beeindruckendste Tour?
Holtz: Das ist schwierig zu sagen, denn in seinem Bachlauf sieht man von der Umgebung immer nur einen Ausschnitt. Aber letztes Jahr war ich zum Beispiel im Pitztal (Tirol) am Luibisfall. Dort hat man eine ganze Arena aus Eisvorhängen vor sich. Dazwischen gibt es weniger steile Stellen mit kompaktem Eis, da kann man gut durchgehen. Und wenn man einen Abschnitt hinter sich hat und über die Kuppe schaut, öffnet sich ein neuer Vorhang aus Zapfen und man findet irgendwie wieder eine Linie, die machbar ist. So geht es immer weiter, immer höher. Tagsüber pickelt man so mit Kumpels im Eis vor sich hin, hat Spaß, und abends wärmt man sich in der Sauna wieder auf. Es geht auch um dieses Gemeinschaftserlebnis.
Wie muss man sich Kletterei in Schnee und Eis vorstellen? Wie lange ist man beispielsweise unterwegs?
Holtz: Das hängt davon ab, wo man hingeht. Es gibt Eisfälle, da kann man sich einen halben oder ganzen Tag beschäftigen. Das Ende ist immer offen. Es gibt aber auch Ecken wie die Taschachschlucht, da geht man rein und es ist wie ein Sportklettergarten. Es gibt nur Einseillängen und wer die Schnauze voll hat oder wem die Füße zu kalt werden, hört einfach auf.
Welche Ausrüstung muss man mitschleppen?
Holtz: Auf jeden Fall braucht man Steigeisen, einen Helm, Eisgeräte und Eisschrauben sowie natürlich Seil und Gurt. Und Klamotten, die dem Wetter angemessen sind. Beim Klettern wird einem zwar wärmer, aber es kann auch sein, dass ein leichter Wasserfilm auf dem Eis liegt. Eine wasserabweisende Hose ist sinnvoll, sonst wird man relativ schnell nass. Ansonsten ist die normale Bergsportkleidung im Zwiebelprinzip am besten.
Muss man beim Eisklettern bereit sein zu leiden – und vor allem zu frieren?
Holtz: Nein, Kälte kann man eben durch die Kleidung abfangen. Wir waren letztes Jahr bei tagsüber minus 16 Grad unterwegs und ich habe nicht gefroren. Allerdings ist es wie immer beim Klettern: Der eine klettert, der andere sichert. Wenn man sichert, steht man auch mal rum und muss sich dann eben wieder warm machen.
Was ist wichtiger beim Eisklettern: Die körperliche Kraft oder die psychische Stärke?
Holtz: Psychische Stärke ist das, was man immer beim Klettern braucht. Im Nachstieg, also wenn das Seil von oben kommt, brauche ich relativ wenig davon. Wenn ich vorsteige, schon mehr. Beim Eisklettern ist entscheidend, wie sehr ich meinem Gerät vertraue und wie sicher ich in den Steigeisen stehe. Mit weniger Erfahrung ist es sicher psychisch problematischer. Deshalb werde ich als Anfänger von oben gesichert, so dass ich ausprobieren kann.
Und körperliche Kraft?
Holtz: Ich glaube nicht, dass ich besonders kräftig bin. Ich kann auch keinen Klimmzug. Eisklettern ist eine Techniksache. Man braucht schon eine Art Körperspannung, aber mehr aus der Mitte heraus. Ich denke, wer normal klettert, der kann auch Eisklettern. Und wer nicht klettert, kann es auch lernen.
Wie sind Sie selbst zum Eisklettern gekommen?
Holtz: Das war durch Freunde. Ich habe damals in München gewohnt und dort geht ja jeder in irgendeiner Form in die Berge. Vorher dachte ich immer, Eisklettern ist etwas für extreme Leute, das mache ich im Leben nicht. Dann fragte mich ein Kumpel, ob ich nicht Lust auf ein Eisklettertraining vom Alpenverein der Sektion München-Oberland im Maltatal hätte. Danach habe ich angebissen. Ich mache aber sowieso viele Sachen am Berg und das ist nur eine andere Spielart. Ich bin für den Alpenverein Hochtourenführer, das heißt, mein Schwerpunkt sind Gletschertouren, einfache Nordwände und Grate. Ich mag einfach das Zwischenspiel zwischen Eis und Fels. Und ich mag das Vorwärtskommen, das Durchqueren.
Wie trainieren Sie hier in Unterfranken?
Holtz: Gar nicht. (lacht) Es ist so: Am Anfang jeder Saison geht man sowieso erst einmal leichte Touren und pickelt sich wieder ein. Danach geht es. Ich bin generell immer am Berg unterwegs, aber ich trainiere nicht extra dafür. Es gibt Leute, die das machen und schon im Herbst anfangen, sich unter eine Brücke zu hängen, um die Kraft aufzubauen. Ich nicht.
Wo liegen die Unterschiede zum normalen Klettern?
Holtz: In den Füßen. Beim Hallen- oder Felsklettern kann ich mich mit Kletterschuhen sehr gut auf der Spitze bewegen und drehen. Das ist eine Sache, die geht mit den Steigeisen nicht. Wenn ich da die beiden Zacken vorne im Eis stecken habe, drehe ich den Fuß um Gottes Willen nicht, sonst kippe ich raus. Insofern ist es eine andere Bewegung.
Wie gefährlich ist dieser Sport?
Holtz: Das ist eine Sache der Risiko- und Selbsteinschätzung. Die Besonderheit des Eiskletterns im Gegensatz zum Felsklettern ist, dass der Fall immer anders ist. Er bewegt sich von Tag zu Tag. Wenn die Sonne im Frühjahr scheint, kann es tatsächlich sein, dass ein Teil unter den eigenen Füßen weggeschmolzen wird. Das muss man im Kopf haben und wissen. Wer Fälle geht, die seinem Können angemessen sind und darauf achtet, dass die Temperatur stimmt, für den ist es auch nicht gefährlicher als andere Sportarten in den Bergen.
Und Stürze?
Holtz: Natürlich habe ich mir, wenn ich stürze, schnell einen Knöchel verrenkt. Das ist aber auch im Fels so. Im Eis kommt allerdings noch dazu, dass ich mit den Felsgeräten und den Steigeisen scharfe Gegenstände dabei habe, an denen ich mich verletzen kann. Aber eigentlich geht man so, dass man nicht stürzt.
Hatten Sie selbst schon einmal einen schweren Unfall?
Holtz: Ich bin einmal im Vorstieg gestürzt. Das war meine eigene Schuld. Ich habe mich hinreißen lassen außerhalb meines Sicherheitsbewusstsein zu klettern und bin ins Seil gefallen. Aber passiert ist zum Glück nichts Schlimmes. Nur das Knie tat mir ein paar Tage weh.
Die sächsische Profibergsteigerin Ines Papert gilt als die beste Eiskletterin, sie erschließt immer wieder schwierige Routen. Wäre das auch für Sie ein Traum?
Holtz: Die Leute, die bekannt werden, machen oft solche Sachen und das ist ja auch toll. Das ist deren Leben. Mein Leben aber besteht darin, dass ich arbeiten gehen muss. (lacht) Da bleibt leider nicht genug Zeit für solche Projekte. Aber genau betrachtet ist ja so: Wenn ich im Eis klettere und es hat vorher noch niemand Griffe und Tritte in die Route gehackt, ist eigentlich jeder Fall eine Erstbegehung. Denn das Eis ist frisch, der Fall hat sich neu gebildet – und vor dir war noch kein Mensch da.
Was ist Eisklettern? Unter Eisklettern versteht man das Klettern im Eis, an gefrorenen Wasserfällen und Wänden, überall dort, wo Wasser oder Schnee zu Eis erstarrt sind. Was braucht man für den Sport? Zur Ausrüstung gehören nach Angaben des Deutschen Alpenvereins (DAV) neben Helm, Gurt und Seil auch zwei Eisgeräte, Steigeisen und Eisschrauben. Die Eisgeräte, eines für jede Hand, ähneln klassischen Eispickeln – allerdings ist der Schaft im Vergleich stärker gekrümmt. Die Eisschrauben haben etwa den Durchmesser eines Ein-Euro-Stückes; sie werden ins Eis gedreht, um sich dann mit dem Seil daran zu sichern. Wie gefährlich ist Eisklettern? „Das hängt davon ab, wie man es ausübt“, sagt ein DAV-Sprecher. „Es ist auf jeden Fall risikoreicher und verletzungsträchtiger als normales Sportklettern, da man quasi Waffen an jeder Extremität trägt, also sehr spitze Geräte. Man darf folglich nicht stürzen.“ Eine weitere Schwierigkeit, so der Experte, sei das Eis selbst, da es abbrechen kann und auf Temperaturschwankungen reagiert. „Man muss gelernt haben, das Eis zu lesen.“ Judith Holtz ist Unternehmensberaterin im IT-Bereich und Hochtourenführerin bei der Sektion Würzburg des Deutschen Alpenvereins (DAV). Der Schwerpunkt der 43-Jährigen sind Gletschertouren, einfache Nordwände und Grate. In der Saison von Januar bis Mitte März ist sie im Schnitt drei-, viermal im Eis unterwegs. Vom 9. bis 11. Februar leitet sie ein Schnupperwochenende Eisklettern des DAV Würzburg. sp