Genugtuung ist ein Grund, dass es Erich Hertle „recht gut“ geht. Genugtuung darüber, dass jemand geradestehen muss für das, was er am 26. Oktober 2002 und bis heute erlitten hat. Das Gefühl wiegt mehr als das Schmerzensgeld von 30 000 Euro, das ihm rechtskräftig das Oberlandesgericht (OLG) München zugesprochen hat und das sich mit dem Ersatz des Schadens und Zinsen auf gut 40 000 Euro summiert.
Vor nunmehr fünf Jahren besuchte Hertle mit seiner Frau und Freunden ein Gasthaus in Nördlingen. Er bestellt ein Spezi, bekam ein Glas mit Flüssigkeit serviert und trank daraus. Der Schluck hatte schlimme Folgen. Die Flüssigkeit verätzte Hertles Stimmbänder, fraß sich in Speiseröhre und Organe. Milz und Galle mussten entfernt werden, auch große Teile des Magens. Das Martyrium wollte kein Ende nehmen. Hertle magerte zu „Haut und Knochen“ ab, litt unter Depressionen.
Besonders traurig: Niemand wollte die Verantwortung übernehmen. Weder der Gastwirt noch dessen Haftpflichtversicherung. Auch nicht das Krankenhaus in Nördlingen, dem Hertle Versäumnisse bei seiner Behandlung ankreidete. Mehr als vier Jahre musste Hertle kämpfen, bis das Landgericht Augsburg vor knapp einem Jahr der Argumentation seines Anwalts Albrecht Förster aus Würzburg folgte. Die Augsburger Richter verurteilten den Gastwirt zu Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er hat das „Organisationsverschulden“ in seiner Gastwirtschaft zu verantworten, auch wenn sich bis heute nicht feststellen ließ, wer die Schuld am Schicksal Hertles trägt. Vermutlich war das Gemisch aus Natron- und Kalilauge aus dem Reinigungssystem für die Schankanlage in die Getränkeleitung gesickert.
So sehr Rechtsanwalt Förster an die Gegenseite appellierte, das Leiden seines Mandanten nicht noch durch Rechtsmittel zu verlängern, der Gastwirt und seine Versicherung legten Berufung ein. So dauerte es weitere elf Monate, bis das Urteil vom OLG München bestätigt wurde.
Das Geld ist bei Erich Hertle eingegangen. Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein seiner ruinierten Gesundheit. Immerhin ermöglichte es Erich Hertle, mit seiner Frau Elly einen Kurzurlaub an der Nordsee zu verbringen – der erste seit damals. Die Luftveränderung hat ihm gut getan. Vor allem aber der Abstand zu den Dingen, die Erich Hertle fünf Jahre seines Lebens nicht ruhen ließen. Auch deshalb kann er heute sagen: „Es geht mir recht gut.“