Irgendwann stand da die Diagnose Burn-Out. Michèle Rauers Energie war aufgebraucht. Nicht durch die Arbeit, sondern durch die Suche nach der Ursache für ihre chronischen Unterleibsschmerzen. Zu diesem Zeitpunkt war die Frau aus Boxberg (Main-Tauber-Kreis) gerade 23, ihr Leidensweg trotzdem schon fast zehn Jahre lang. „Beinahe mein halbes Leben hab ich nach einer Diagnose gesucht“, sagt sie.

Nicht nur während ihrer Menstruation, sondern auch in den Tagen davor, plagten die junge Frau starke Schmerzen gegen die kein Schmerzmittel half. Sie fiel tagelang auf der Arbeit aus, konnte nur noch liegen. Monat für Monat ging es ihr so, an manchen Tagen schaffte sie es mit einer Höchstdosis Schmerzmittel, halbwegs durch den Tag zu kommen, an manchen ging gar nichts mehr. Sie zog sich immer mehr zurück. Zu den physischen Schmerzen kamen zunehmend psychische. Mehrmals wechselte sie den Gynäkologen, die Antworten waren stets so harsch wie ähnlich: „Stellen Sie sich nicht so an.“ „So geht es allen Frauen.“ „Sie sind aber sensibel.“
Eine belastende Situation, die Michèle Rauer zusehends zermürbt. „Wenn Schmerzen nicht ernst genommen werden, sondern man als 'einfach nur wehleidig‘ abgetan wird, macht das alles noch viel schlimmer“, sagt sie heute. Irgendwann, nach Jahren der verzweifelten Suche, findet sie einen Arzt, der eine Vermutung aufstellt: Endometriose. Das könnte es sein.
Gewebe wuchert außerhalb der Gebärmutter
Endometriose ist eine gutartige, aber oft sehr schmerzhafte chronische Frauenkrankheit, bei der ein der Gebärmutterschleimhaut ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wuchert. Das Gewebe siedelt sich in benachbarten Organen an, etwa an der Blase, den Eierstöcken und den Eileitern, am Darm oder im Bauchfell oder in der Außenwand der Gebärmutter. Dort also, wo das Gewebe normalweise nicht vorkommt. Monat für Monat wachsen die sogenannten Endometrioseherde analog zur normalen Gebärmutterschleimhaut und verändern sich im Laufe eines Zyklus, die Schleimhaut wird also abgestoßen und blutet. Allerdings verbleibt das Blut im Bauchraum, da es nicht wie bei der normalen Menstruation über die Scheide abfließen kann.
Eine Folge: Frauen werden ungewollt nicht schwanger
Das kann dazu führen, dass zusätzlich Zysten entstehen. All das kann mit starken Schmerzen einhergehen. Rund zehn Prozent der Frauen in Deutschland leiden unter der Krankheit. Aufgrund der langen Zeit, bis eine Diagnose gestellt wird, ist die Dunkelziffer vermutlich höher. Entdeckt wird die Endometriose oft erst dann, wenn ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt. In bis zu 60 Prozent der Fälle, bei dem es mit dem Nachwuchs nicht klappen will, ist eine Endometriose der Grund. Rund 40 000 Neuerkrankungen werden jährlich diagnostiziert.
Eine Volkskrankheit - und das Chamäleon der Gynäkologie
Endometriose ist eine Volkskrankheit – und trotzdem fristete sie jahrelang ein Schattendasein zwischen anderen chronischen Schmerzkrankheiten wie Rheuma, Kopf- oder Rückenschmerzen. Dass es wie bei Michèle Rauer Jahre dauert, bis die Krankheit diagnostiziert wird, ist keine Seltenheit. Je nachdem, welche Studie man hernimmt, ist die Rede von sieben bis zehn Jahren, die durchschnittlich ins Land gehen, bis auf die ersten Symptome eine Diagnose folgt. Der Eindruck, das läge immer an Ärzten, die ihre Patientinnen nicht ernst nehmen, wäre ein falscher.
Nicht umsonst bezeichnet selbst der Klinikdirektor der Würzburger Uni-Frauenklinik, Achim Wöckel, die Krankheit als das „Chamäleon der Gynäkologie“. Mit bildgebenden Verfahren ist eine Endometriose vom Frauenarzt oft nicht zu diagnostizieren, man sieht die kleinen Herde schlicht nicht in den Aufnahmen. Auch eine Tastuntersuchung kann keine sichere Diagnose liefern.
Die Symptome sind so vielfältig, gleichzeitig korreliert das Ausmaß der Krankheit nicht mit der Stärke der Schmerzen oder der Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden. Das heißt, selbst bei sehr kleinen Endometrioseherden können die Schmerzen kaum auszuhalten sein, während Frauen mit sehr großen Verwachsungen, die einer Schwangerschaft im Weg stehen, jahrelang schmerzfrei leben und erst dann zum Arzt gehen, wenn der Kinderwunsch nicht erfüllt wird.
Wichtig: Symptome gut beschreiben
Besonders wichtig ist es deshalb, dass die Ärzte genau zuhören, wenn die Frauen ihre Symptome beschreiben: Wann setzen die Schmerzen ein? Kommen zusätzliche Beschwerden wie Durchfall, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder beim Wasserlassen hinzu? Wie viele Schmerztabletten muss die Patientin nehmen? „Die Antworten darauf, vor allem in ihren Kombinationen, können wir als Indizien werten“, sagt Anastasia Altides. Sie leitet als Oberärztin das Würzburger Endometriosezentrum an der Uniklinik, eines von zehn in Bayern. „Doch selbst mit unserer täglichen Erfahrung mit der Krankheit haben wir erst dann eine hundertprozentige Sicherheit, ob eine Endometriose vorliegt, wenn wir direkt nachschauen können.“

Was sie meint, ist eine Laparoskopie, also eine Bauchspiegelung. Durch kleine Löcher in der Bauchdecke werden eine Kamera und chirurgisches Instrumente eingeführt. Die Operation liefert immer eine Diagnose. Entdecken die Ärzte hierbei Endometrioseherde und Zysten, können diese meist gleich mit entfernt werden. Durch das minimalinvasive Verfahren sind die Patientinnen meist schnell wieder auf den Beinen. Selten kommt es vor, dass die Endometriose endoskopisch nicht zu entfernen ist, dann muss ein Bauchschnitt gemacht werden. Ganz selten hilft nur die Entfernung der kompletten Gebärmutter. „Da muss von Fall zu Fall individuell abgewogen werden“, so Altides.
Möglichkeit Hormontherapie
Eine andere Option für Patientinnen kann eine Hormontherapie sein. Sie kann begleitend vor oder nach einer Operation eingesetzt werden oder in manchen Fällen als alleinige Therapie. Ziel ist es, den Zyklus und damit auch die Endometrioseherde für eine gewisse Zeit stillzulegen und damit die Herde auszutrocknen. Nicht für alle Patientinnen kommt sie infrage, mal passt sie nicht zur Ausprägung der Krankheit, manchmal ist die Vorstellung, dauerhaft Hormone mit all ihren Nebenwirkungen einzunehmen für die Patientinnen so abschreckend, dass sie die chronischen Schmerzen vorziehen. Besteht, wie bei vielen Patientinnen, ein akuter Kinderwunsch, ist eine Hormontherapie ebenfalls nicht möglich, da die Hormone eine ovulationshemmende Wirkung haben, ähnlich der Anti-Baby-Pille.
Michèle Rauer geht es mittlerweile besser mit ihrer Krankheit. Nach einer ersten Operation 2017 an der Würzburger Uniklinik wurde sie im Frühjahr 2019 ein zweites Mal in München operiert, die Klinik organisiert ihr im Anschluss eine Reha. Seitdem lebt sie zwar nicht komplett schmerzfrei, aber gebessert hat sich ihr Zustand enorm. „Die Schmerzen halten sich jetzt im Rahmen“, sagt sie. Und hofft, dass dieser Zustand lange anhält. Denn zu den Tücken bei Diagnosestellung wie Behandlung kommt ein weiterer Punkt: eine hohe Rezidivrate, zu deutsch Rückfallquote. Je nach Stadium der vorangegangenen Endometriose kann die bei bis zu 80 Prozent liegen. „Vorbeugend kann man da leider wenig tun“, sagt Anastasia Altides.
Behandlung schwierig: ernst genommen werde kann schon helfen
Da es kaum Erkenntnisse zu den Ursachen der Krankheit gibt, gibt es auch keine Empfehlung, was man tun kann, um sie zu vermeiden. Immer öfter wird von Patientinnen berichtet, dass sie mit alternativen Methoden die Schmerzen in den Griff bekommen: die Anwendung von Hanföl, eine vegane und gleichzeitig östrogenarme Ernährung sowie Methoden der traditionellen chinesischen Medizin scheinen aktuell die vielversprechendsten ganzheitlichen Ansätze zu sein, eine ausreichende Studienlage gibt es dazu allerdings nicht. Zudem scheinen auch psychische Faktoren eine Rolle zu spielen: „Und sei es nur, dass eine Patientin endlich einmal hört: 'Ja, das ist eine Krankheit, was Sie da haben. Wir nehmen Sie ernst.´ Es kann manchmal schon viel bewirken, nach Jahren endlich ernst genommen zu werden“, sagt Anastasia Altides.
Oft kommt die Endometriose auch noch nach Jahren wieder zurück
Michèle Rauer hat für sich mittlerweile herausgefunden, wie sie weitestgehend schmerzfrei leben kann. „Ich glaube, da spielt mehr zusammen, als nur das körperliche. Nur operieren oder Hormone schlucken reicht nicht aus. Ich habe gemerkt, dass ich dann am wenigsten Schmerzen habe, wenn ich am wenigsten Stress habe. Wenn es mir seelisch gut geht, bin ich auch körperlich resistenter. Und irgendwie habe ich – so komisch das klingt – eine richtige Beziehung zu meinem Körper, insbesondere zu meinem Unterleib, aufgebaut. Wenn die Schmerzen kommen, sag ich: 'Ach, da seid ihr ja wieder' und versuche, gelassen zu bleiben.“
Einen Weg finden, wie man mit der Krankheit lebt und die Schmerzen in einem erträglichen Maß hält, für viele Patientinnen ist das nach mehreren Operationen das beste. Denn auch wenn OP und Hormone helfen können, oft kommt die Endometriose auch noch nach Jahren wieder zurück. Zumindest einen Trost für Betroffene gibt es: Ein Leben lang werden sie nicht damit zu kämpfen haben. Denn hört die Menstruation in den Wechseljahren auf, verschwindet auch die Endometriose.

Wie erkennt man eine Endometriose? Eine Checkliste zu erstellen, welche Symptome immer eine Endometriose bedeuten, ist nicht möglich. Zu vielfältig ist die Krankheit, zu individuell das Schmerzempfinden der Patientinnen. Dennoch gibt es einige Symptome, die vor allem in Kombination, für eine Endometriose sprechen: • starke Schmerzen während der Menstruation, die ohne Schmerztabletten nicht auszuhalten sind • Unterleibsschmerzen auch außerhalb der Menstruation • häufige Übelkeit • starke Abgeschlagenheit, Müdigkeit • Darmsymptome wie Verstopfung oder Durchfall • verlängerte und verstärkte Menstruation • Schmerzen beim Sex • Kopfschmerzen, Schwindel • Magenbeschwerden • unerwünschte Kinderlosigkeit Hat man den Verdacht, an der Krankheit zu leiden, ist ein Arztbesuch unerlässlich, öfter auch ein häufigeres Nachhaken, manchmal ein Arztwechsel. Am besten aufgehoben ist man in einem zertifiziertem Endometriosezentrum. Zehn gibt es davon in Bayern. Die ambulante Sprechstunde am Zentrum der Uniklinik Würzburg findet immer mittwochs nach vorheriger Terminvereinbarung statt, Tel. (0931) 201-25295. Nähere Infos gibt es auch auf der Homepage der Frauenklinik: www.ukw.de/frauenklinik/