Weihnachten, das sind eigentlich Einkehr und Heimkehr. Zeit für Familie, den Partner, die gute Freundin. Zuhause sein, sich geborgen fühlen. Doch mit dem Siegeszug der Sozialen Medien ist auch das Fest der Liebe für viele vom privaten zum öffentlichen Ereignis geworden. Es weihnachtet auf Facebook und Instagram, was das Zeug hält. Eine Idylle übertrifft die nächste, ein Christbaum überragt den anderen. Nur: Was zündet in uns den Online-Weihnachtsturbo? Und tut er uns gut? Erklärungen hat Dagmar Unz, Medienpsychologin und Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Sie beschäftigt sie u.a. mit der Nutzung und der Verarbeitung interaktiver und virtueller Medien. Unz lehrt in den Studiengängen Soziale Arbeit, Medienmanagement und Management im Gesundheitswesen.
Die sozialen Medien, ob Facebook oder Instagram, werden an Weihnachten geflutet von Postings mit Weihnachtsbäumen, Krippen oder guten Wünschen. Was steckt hinter diesem Mitteilungsbedürfnis?
Dagmar Unz: Als Menschen müssen wir uns ja immer selbst offenbaren, um mit anderen Beziehungen einzugehen. Das liegt in unserer Natur, wir sind das sozialste aller Wesen. Um Beziehungen zu bilden, müssen wir etwas von uns preisgeben.
Aber warum "explodiert" diese Preisgabe, diese Selbstdarstellung so an Weihnachten?
Unz: Weihnachten ist im Jahresverlauf ein groß angelegtes Ereignis, das von ganz vielen Menschen geteilt wird. Alle feiern es gleichzeitig, es gibt es kaum Vergleichbares. Da ist eine große Gemeinsamkeit.
Und Weihnachten ist besonders emotional...
Unz: Ja, verbunden mit vielen positiven Erwartungen, ähnlich wie beim Urlaub. Davon erwartet man auch sehr viel. Aber Urlaub machen wir nicht alle gleichzeitig. Weihnachten ist ein Stück Ritual, ist gleich getaktet.
Deshalb müssen wir alle den Weihnachtsbaum, Plätzchen oder die Geschenke posten? Ist da auch eine Gier nach Aufmerksamkeit, nach Likes?
Unz: Als soziales Wesen haben wir Angst vor Ausschluss. Deshalb neigen wir dazu, einer Norm zu folgen, die von einer Gruppe gesetzt wird. Es braucht schon etwas Mut, sich abzugrenzen. Zum Grundbedürfnis der Menschen gehört, anderen gefallen zu wollen. Offline gibt's vielleicht ein direktes Lob. Und in den sozialen Medien sind es die Likes.

Aber zu welcher Gruppe gehöre ich, wenn ich so viele Leute in mein weihnachtlich geschmücktes Wohnzimmer schauen lasse? Früher war das totale Privatsphäre.
Unz: Das hängt davon ab, welche Follower ich habe oder welche Gruppe ich erreichen will. Ich denke schon, dass das Zugehörigkeitsgefühl hier eine Rolle spielt.
Und auch ein Wettbewerbsgedanke? Ensteht eine Art Konkurrenz um die heile Weihnachtswelt?
Unz: Es könnte eine Art Gaming-Motivation dabei sein. Wie das sonst bei Spielen funktioniert - man versucht, andere zu schlagen und im Wettbewerb in einen Highscore zu kommen. Die Frage ist: Wie stark hängt das Selbstkonzept einer Person von der Rückmeldung ab, die sie bekommt.
Verführt das zur Schönfärberei, zur Pseudo-Idylle? Wird da nicht viel vorgegaukelt?
Unz: Wir inszenieren uns immer, betreiben "impression management". Das ist etwas ganz Natürliches: Wir wollen den Eindruck kontrollieren, den andere von uns bekommen. Das machen wir im Gespräch, das mache ich, wenn ich vor den Studenten im Hörsaal stehe, oder das machen wir bei einem Vorstellungstermin.
Das geht natürlich in den Sozialen Medien besonders gut: Hier kann ich überlegen, wie ich mich präsentieren will. In der Spontaneität des richtigen Lebens haben wir diese Zeit nicht.
Unz: Richtig, im Netz können wir uns viel besser kontrollieren. Aber unterschätzen Sie die Rezipienten dort nicht. Sie haben sehr wohl Ahnung davon, was leichter oder schwerer zu manipulieren ist. Das haben uns Studien gezeigt. Die Leute sind kompetent, wenn sie die Glaubwürdigkeit von Postings beurteilen.
Wie viel Scheinwelt ist da auf Facebook und Instagram?
Unz: Natürlich zeichnen wir uns selbst immer etwas rosarot, orientieren uns am eigenen Ideal, nähren damit unseren Selbstwert. Manche richten sich mit einem rosaroten Posting auch bewusst auf, weil ihre Lebensrealität gerade etwas düster ist. Das scheint mir legitim. Aber es gibt Studien, die zeigen, dass sich die meisten Leute erstaunlich authentisch darstellen.

Können Menschen darunter leiden, wenn sie nach einem Posting das erhoffte positive Feedback nicht bekommen?
Unz: Gewiss. Bei Leuten, die sich mit Kontakten ohnehin schwer tun, kann das zu einer Spirale nach unten führen.
Verstärkt, wenn jemand all die tollen Weihnachtsgefühle nicht teilen kann?
Unz: Wir machen gerade ein Projekt zu Einsamkeit durch. Im Forschungsüberblick zeigt sich: Einsamkeit kann gefühlt reduziert werden, wenn man soziale Medien kompetent einsetzt. Gefühle von Einsamkeit können sich aber auch verstärken, wenn ich anfange, mich mit anderen zu vergleichen und ich schlechter und mit weniger Likes dastehe.
Ist der Wettbewerb um das schönste Weihnachten etwas Neues oder findet er heute einfach auf neuen Plattformen statt?
Unz: Das war früher mit mehr Aufwand verbunden, so viele Vergleiche waren gar nicht möglich. Auch nicht die Inszenierung wie heute. Mit Photoshop können Sie Ihren Weihnachtsbaum anders aufhübschen als in echt und die unaufgeräumte Ecke wegretuschieren. Wenn man früher in die Wohnung kam, um den Baum anzuschauen, hatte man eine komplettere Wahrnehmung. Also wir können Weihnachten heute schon heiler und schöner machen - und noch mehr Vergleiche ziehen.
Und wenn meine Welt gerade nicht so heil ist... kann man damit persönlich unter Druck geraten?
Unz: Das kommt darauf an. Ich denke an frühere Studien zur Konformität. Es gibt Personen, die sich der Mehrheitsmeinung anschließen, obwohl sie nicht ihrer Überzeugung entspricht, vor allem wenn sie sich offen vor anderen äußern müssen Eine Art Herdentrieb.
Meist aus Angst vor Ausschluss aus der sozialen Gruppe. Daneben gibt es aber immer auch einen harten Kern. Diese Personen vertreten konsequent ihre Meinung, auch wenn sie in der Minderheit sind. Auch daraus lässt sich Selbstwert ziehen.

Wenn wir uns anders als früher verhalten: Können soziale Medien am Ende sogar das Weihnachtsfest selbst verändern?
Unz: Ich kann mir vorstellen, dass sich Erwartungen verändern. Weihnachten soll ja was ganz Tolles sein, schon immer. Und gleichzeitig gibt es wohl zu keiner Zeit im Jahr so viele Familienstreitigkeiten.
Die werden selten gepostet. Sie passen ja nicht ins Bild, wie man wahrgenommen werden will. Aber könnten die schon hochgeschraubten Erwartungen durch social media noch weiter steigen?
Unz: Das hängt sehr von der einzelnen Person ab, wie leicht sie sich von solchen Erwartungen beeinflussen lässt oder sie übernimmt. Aber ja - die Erwartungen an Weihnachten werden durch die Geschichten, die in den Medien erzählt werden, verstärkt, das kann in Filmen sein, in der Werbung und auch durch soziale Medien.
Ist die ganze Sache vielleicht gar nicht so kompliziert? Ist da einfach eine ehrliche weihnachtliche Freude, die Menschen über die sozialen Medien teilen und damit noch mehren wollen?
Unz: Ja, das wird eine Rolle spielen und möglicherweise gibt es eine Art Resonanz-Effekt. Wir wollen Emotionen mitteilen, und geteilte Freude ist doppelte Freude. Die Menschen spüren in dieser dunklen Jahreszeit eine Sehnsucht nach Licht und Wärme - und das lässt sich über die sozialen Medien gemeinsam erleben. Von daher haben all die weihnachtlichen Postings etwas Verbindendes.
Ein anderes Motiv sind die guten Wünsche zum Weihnachtsfest, die ich im Netz an alle meine Freunde oder die komplette Öffentlichkeit senden kann. Sind das persönliche Botschaften oder auch eine Art Selbstbespiegelung?
Unz: In der Art der Botschaft drücke ich aus, was mir wichtig ist. Das kann an Weihnachten ein religiöser Aspekt sein - oder etwas ganz anderes, der Wunsch nach Frieden oder Ruhe oder nach Zusammensein zum Beispiel. Aber Vorsicht: Wenn er nicht ehrlich gemeint ist und das durchschaut wird, kann ein solcher Wunsch im Netz leicht zum Bumerang werden. Die Botschaften sollten glaubwürdig sein. Nicht nur an Weihnachten.