REGION WÜRZBURG Carmen Scheller ist 41 Jahre alt und trotzdem schon ein alter Hase, zumindest was ihre nebenamtliche Tätigkeit angeht: Seit beinahe 20 Jahren ist sie als Erziehungsbeistand aktiv. Damit ist sie diejenige, auf deren Unterstützung der Landkreis Würzburg hierfür am längsten bauen kann.
FRAGE: Sie waren noch sehr jung – wie wurden Sie Erziehungsbeistand?
Carmen Scheller: Ich habe für das Sozialpädagogik-Studium im Allgemeinen Sozialdienst des Landkreises ein Praktikum gemacht und dort dann auch gearbeitet. Nach der Geburt meiner Tochter wollte ich nicht in Vollzeit weiterarbeiten. Damals wurden gerade Erziehungsbeistände gesucht und das passte mir vom Zeitumfang her gut.
Wie groß ist der Zeitaufwand?
Scheller: Für uns Nebenamtler sind das fünf Wochenstunden für eine Beistandschaft. Die können sich verteilen, je nachdem, was wir machen. Es kommt vor, dass wir uns eine Woche nicht treffen, weil wir in der Woche davor einen Tagesausflug unternommen haben. Derzeit betreue ich meist gleichzeitig zwei Fälle.
Erziehungsbeistände arbeiten handlungsorientiert. Was bedeutet das?
Scheller: Es geht nicht darum, zu reden, sondern über das gemeinsame Tun zu den Kindern ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um so Verhaltensweisen ändern zu können. Wir sollen keine Vorträge halten, sondern die jungen Menschen ihre eigenen Schlüsse ziehen lassen.
Die Kinder stehen also im Fokus und nicht die Eltern?
Scheller: Das ist altersabhängig. Bei Schulkindern ist das eindeutig so. Die Kinder erleben mit dem Erziehungsbeistand, dass Erwachsene auch anders (re)agieren können als die Eltern. Sie erhalten so neue Erkenntnisse, die es ihnen ermöglichen, Verhaltensmuster aufzubrechen.
Können sie das an einem konkreten Beispiel erklären?
Scheller: Da kommt beispielsweise ein Kind mit einem Buch an und will vorlesen. Die Mutter aber wertet ab, das Kind lese eh so schlecht, dass man nichts verstehe. Ich aber ermuntere das Kind, sag, du schaffst das. Geschieht das regelmäßig, traut sich das Kind mehr zu, liest irgendwann gut und vielleicht gerne einem kleinen Geschwisterchen vor ... (was dann wiederum die Mutter entlastet). Bei jüngeren Kindern ist das noch mal anders. Da leite ich indirekt auch die Erziehungsberechtigten an.
Etwa wenn ich in ihrem Beisein das Baby wickele, mir dabei viel Zeit lasse, ruhig mit dem Kind rede oder es ausgiebig eincreme, statt nur möglichst flugs die Windel wieder zuzumachen. Tatsächlich haben viele Eltern, mit denen ich zusammenarbeite, das selbst so auch nie erlebt, dass sie im Mittelpunkt standen, sich ihre Eltern zärtlich mit ihnen beschäftigten. Selbst wenn sie dann vom Kopf her wissen, dass sie das tun sollten, fällt es ihnen mangels Beispiel oft schwer, es umzusetzen. Manchmal spielen psychische Ursachen, beispielsweise eine Depression, eine Rolle. Oft fehlt den betreuten Familien auch einfach ein Netz.
Inwiefern?
Scheller: Es gibt keine Großeltern, die Familie ist neu am Ort und tut sich schwer, Kontakte aufzubauen. Dann gehe ich beispielsweise mit zum Sportverein oder in die Krabbelgruppe, um ein Netzwerk aufzubauen, das alle Familien brauchen.
Wie lange besuchen sie ein Kind?
Scheller: Das kommt auf die jeweilige Familie und deren Problemstellungen an. Die meisten Erziehungsbeistandschaften dauern zwischen ein und zwei Jahren. Bei Babys sind es fast immer zwei Jahre.
Wie kommen Familien an eine solche Unterstützung?
Scheller: Die Hilfe muss beantragt und vom ASD bewilligt werden. Das geschieht oft angeregt von Kindergärten, Schulen oder über die Koki (koordinierende Kinderschutzstelle; sie steht Eltern und Kindern auf Wunsch beratend, vertraulich und kostenlos zur Seite). Die Familien müssen sich also freiwillig darauf einlassen. Selten gibt es auch den Fall, dass ein Jugendrichter eine Beistandschaft zur Auflage macht. Grundsätzlich aber muss die Chemie unter allen Beteiligten stimmen. Am schwersten ist es am Anfang. Weil das erst einmal komisch ist, keiner das will. Da helfen dann positive gemeinsame Erlebnisse.
Hat sich nach ihrer Erfahrung in den Familien etwas verändert, wenn die Beistandschaft endet?
Scheller: Ja, meist hat sich viel verändert. Allerdings gehört auch eine gehörige Portion Toleranz dazu, jede Familie ihren eigenen Weg finden zu lassen – jedenfalls so lange das Kindeswohl nicht gefährdet ist.
Erziehungshilfe
Das Jugendamt des Landkreises Würzburg hat vor 30 Jahren die ambulante Hilfe „Erziehungsbeistand“ ins Leben gerufen. Im vergangenen Jahr wurde diese 138 Mal in Anspruch genommen. Die Erziehungsbeistände werden in allen 52 Gemeinden, mit durchschnittlich fünf Wochenstunden, eingesetzt. Die nebenamtlichen Erziehungsbeistände erhalten eine Aufwandspauschale, Fahrtkostenersatz und kostenfreie Fortbildungsangebote und sollten mobil sein. Das Kreisjugendamt sucht immer wieder nebenamtliche Erziehungsbeistände, die pädagogische Grunderfahrung besitzen müssen. Nähere Informationen gibt's beim Amt für Jugend und Familie (Lisa Elsner), E-Mail: ambulantehilfen@lra-wue.bayern.de sowie www.kreisjugendamt-wuerzburg.de