Ein Winzer, der sich mit dem Unkrautvernichter E 605 vergiftet hatte, musste Silvester 1983 gerettet werden. „Das Pflanzengift ist nicht sehr zuträglich für Menschen“, erinnert sich die Notärztin an ihren ersten Notfall. Mit Christoph 18, wie der Hubschrauber per Funk gerufen wird, waren die Rettungsflieger schnell vor Ort und konnten dem Mann helfen. Schwierigkeiten gab dann nur, ein Krankenhaus zu finden, das den Patienten aufnimmt und die Vergiftung behandeln kann.
1983: Die Luftrettung in Deutschland steckt noch in den Anfängen. „Die Hubschrauber waren anfangs noch karg. Umgebaute Militärmaschinen eben – mit Pritschen, die an Gurten aufgehängt waren“, erinnert sie sich an ihre Anfänge in der Rettungsfliegerei. Heute sieht das ganz anders aus. In der Luftrettung hat sich – wie eben auch in der Medizin - vieles fortentwickelt. Die Hubschrauber werden mittlerweile extra für die Rettungseinsätze gebaut und sind wesentlich komfortabler.
Erdmuthe Hummel war 29, als sie zum ersten Mal mit Christoph 18 flog. Als junge Anästhesistin arbeitete sie damals noch an der Uni-Klinik in Würzburg. Ihr alter Chef, Wolfgang Göpfert, holte sie in den Hubschrauber. Göpfert war es auch, der sich damals zusammen mit Landrat Georg Schreier vehement für Ochsenfurt als Standort für einen Rettungshubschrauber eingesetzt hat. „Aus einsatztaktischen Gründen war dies auch der beste Platz“, erinnert sich Ernst Freier, der von Anfang an als Rettungssanitäter zur Besatzung gehört.
Zu Erdmuthe Hummel hat Ernst Freier ein besonders Verhältnis. Er war es, der mit ihr Silvester 1983 den mit E 605 vergifteten Patienten versorgte und er war es auch, der 29 Jahre später wieder mit ihr in der Maschine saß. Die beiden begrüßen sich mit Küsschen, lachen viel und verstehen sich auch privat perfekt. Die Ochsenfurter Rettungsflieger sind wie eine kleine Familie. „Jeder verlässt sich auf den anderen“, sagt Ernst Freier.
Und Erdmuthe Hummel erinnert sich gerne an die morgendlichen Anästhesiebesprechungen, die bei einem ausgiebigen Frühstück beim Hubi stattfanden – und eben nicht in der Main-Klinik. „Das war schön ...“, trauert sie ein wenig den guten alten Zeiten hinterher. Heute ist dafür keine Zeit mehr. Dass sie jetzt mit der Rettungsfliegerei aufhört, hat sie selbst so entschieden. 60 ist sie im letzten Jahr geworden und weil sie glaubt, dass sie im Alter etwas abbaut, „muss eben ein Hobby daran glauben“, sagt sie. Ganz aufgeben will sie die Rettungsfliegerei allerdings nicht. Vom Boden aus wird sie weiterhin die Dienstpläne der 23 Notärzte koordinieren. Erdmuthe Hummel ist ein lebensfroher Mensch, der sich eigentlich nicht so leicht aus der Bahn werfen lässt. Ein Einsatz steckt ihr aber bis heute noch in den Knochen. Es ist einige Jahre her, da wurde der Hubschrauber zu einem Einsatz in der Nähe von Schweinfurt gerufen. Zwei Kinder hatten sich eine Vergiftung mit Kohlenmonoxid zugezogen. Vermutlich weil der Holzofen im Badezimmer nicht richtig funktionierte. Mit dem Hubschrauber konnten die Kinder zwar noch in ein Krankenhaus geflogen werden, doch die Vergiftung war derart stark, dass sie kurze Zeit später erstickten. Etwa ein Jahr später flog Erdmuthe Hummel wieder mit Christoph 18 zu dieser Familie. Dieses Mal ging es um das dritte Kind. Es ertrank im Bach hinter dem Bauernhof, erinnert sich die Notärztin. Solche Ereignisse setzen sich fest. Und über solche Ereignisse spricht Erdmuthe Hummel dann auch mit der Mannschaft, mit ihrer Familie. Mit den Menschen eben, die dabei waren, die das Schreckliche miterlebt haben. „Einen Psychologen brauchte ich nie.“
Notfälle mit Kindern bleiben haften. „Da läuft man eine ganz andere Drehzahl als bei Erwachsenen“, sagt Ernst Freier. Weil Kinder eben oft nicht sagen können, was ihnen fehlt oder wo es weht tut. „Gott sei Dank kommen Kindernotfälle selten vor“, atmet Freier auf. Statistisch gesehen kommt auf 1000 Einsätze ein Kind.
Es gibt aber auch schöne Momente. Ein älterer Herrn aus der Nähe von Ochsenfurt beispielsweise ist noch immer im Gedächtnis. Als die Rettungsflieger eintrafen, ging es dem kurz Mann schon wieder besser. Sichtlich enttäuscht über seinen eigentlich erfreulichen Gesundheitszustand sagte er zur Besatzung: „Schad'. Jetzt kann ich wieder nicht fliegen.“ Da fasste sich Erdmuthe Hummel ein Herz. „Kommt, packt ihn ein“, sagte sie der Crew. „Und der Mann hat richtig gestrahlt als wir ihn dann doch ins Krankenhaus geflogen haben“, erinnert sie sich.
Und nach einem Moment fügt sie an: „Komisch, die tragischen Momente prägen sich viel stärker ins Gedächtnis als die schönen.“