Auch am zweiten Verhandlungstag begrüßte der wegen Betruges in Millionenhöhe angeklagte Schönheitschirurg am Landgericht Würzburg lächelnd Bekannte im Zuschauerraum: Freunde, frühere Patienten, aber auch Opfer, deren Namen nicht in der Anklageschrift stehen. „Er wusste für sich einzunehmen“, sagt einer vor Beginn des Verhandlungstages, der ihn lange kennt. Er wird sich erst hinterher der Doppeldeutigkeit des Satzes bewusst.
„Ich habe ihm geglaubt“
„Ich habe ihm einfach geglaubt“, sagt ein renommierter Zahnarzt im Zeugenstand auf die Frage, warum er dem Kollegen ohne jede Absicherung einen sechsstelligen Betrag lieh.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Chirurgen 19 Fälle des Betruges, zwei weitere Versuche, Urkundenfälschung und Insolvenzverschleppung vor. Rund vier Millionen Euro soll er sich dabei erschlichen haben – zumindest ist das die Summe, die ihm die Staatsanwaltschaft zu beweisen hofft. Insider schätzen, dass der tatsächlich fehlende Betrag fünfmal so hoch ist.
Vieles nicht beweisbar
Doch als ein Geschädigter im Zeugenstand das anspricht, zeigen weder Gericht noch Staatsanwalt oder Verteidiger die Neigung, dieses Thema zu vertiefen. Ein ehemaliger Angestellter hat in Vernehmungen (und dieser Redaktion gegenüber) von Kontakten des Schönheitschirurgen zu Rotlichtgrößen in Würzburg und Frankfurt sowie zu einem bundesweit bekannten Finanzjongleur in Göttingen erzählt. Nichts davon ließ sich so erhärten, dass es den Weg in die Anklageschrift gefunden hätte.
In der Anklage steht: „Wegen seiner kostspieligen Lebensführung mit Luxus-Reisen, 1.-Klasse-Flügen, Feiern auf dem Oktoberfest mit 200 Gästen und wegen der geplanten Eröffnung einer chirurgischen Klinik in München für 20 Millionen Euro geriet er ab 2012 in finanzielle Nöte.“. Als Laie staunt man, wie im Umfeld des Angeklagten große Summen hi n und her flitzten.
„Er klang sehr panisch“
Ein Landshuter Kollege schilderte im Zeugenstand, wie ihn der Angeklagte in seiner Geldnot am hellen Morgen in der Praxis anrief: „Er klang sehr panisch“, erinnert er sich. „So kannte ich ihn nicht.“ Er habe das Finanzamt am Hals und brauche dringend einen sechsstelligen Betrag. Kein Problem für den Zahnarzt, der binnen zwei Stunden 125.000 Euro vom Konto holte und übergab.
Da geht ein Raunen durch die Reihen der Zuschauer - die Verfügbarkeit eines solchen Betrages auf die Schnelle beflügelt die Fantasien - obwohl unter den interessiert Lauschenden auch einige Würzburger Opfer sitzen, die man auch heute als vermögend bezeichnen darf, ohne deshalb Rufmord zu begehen.
Ein Freundschaftsdienst
Der Zeuge sagt, der Angeklagte habe Rückzahlung, aber keine Zinsen versprochen. Es sei eher ein Freundschaftsdienst gewesen, ergeben gezielte Nachfragen der Verteidiger Bernhard Löwenberg und Normen Jacob. Doch als der Angeklagte das Geld erst einmal hatte, war er für seinen Gläubiger nicht mehr zu sprechen: „Ich bin in China,“ ließ er ihn kurz und bündig wissen.
Ein zweiter Zahnarzt aus dem Raum Würzburg bekam ein erstes Darlehen 2011 mit Zinsen zurück gezahlt. Das (und die gemeinsame Behandlung eines reichen Patienten in China zu fünf- bis sechsstelligen Honoraren) schuf Vertrauen. Erst bei zwei weiteren geliehenen 150.000 Euro geriet der Schönheitschirurg immer weiter in Zahlungsverzug mit den Zinsen und der Rückzahlung.
„Ich wollte ihm helfen“
Als es mit dem Doktor finanziell erkennbar bergab ging, zahlte dieser Gläubiger zuletzt sogar noch die Miete und den Strom aus eigener Tasche – und verzíchtet bis heute auf eine Strafanzeige: „Er war mein Freund,“ sagt er schulterzuckend. „Ich wollte ihm helfen.“
Streit auf dem Gerichtsflur
Als der Prozess vertagt wird, haben die Zuschauer viel Gesprächsstoff. Fast kommt es sogar zu einem Eklat auf den Gängen des Gerichts: Vier Zuhörer, deren Worte vermuten lassen, dass sie mit den Verhältnissen vertraut sind, kriegen sich in die Haare. „Der hat doch 20 Millionen für die Klinik gewollt,“, grummelt einer „Wofür er es dann ausgegeben hat, wissen wir ja,“ sagt ein zweiter – dem der dritte entgegenhält: „Du hast ihn doch angeschleppt.“ . Das Gespräch verstummt rasch, als der Reporter näherkommt.
Zwei Zeugen haben sich krank gemeldet, statt vor Gericht zu erscheinen. Und der am stärksten Geschädigte - ein Treuhänder aus Liechtenstein, der dem Doktor 3,5 Millionen Euro gab - hat mit seiner Anzeige den Fall zwar ins Rollen gebracht. Aber er will sich nur von zuhause aus per Videokamera befragen lassen. Erzwingen kann das Gericht das Erscheinen eines ausländischen Zeugen nicht.
Der Prozess wird am 24. Oktober fortgesetzt.