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OCHSENFURT: Fünf Syrer und ein großes Missverständnis

OCHSENFURT

Fünf Syrer und ein großes Missverständnis

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    Sie warten weiter darauf, ihren Antrag auf Asyl stellen zu können - und sind erleichtert, nun doch in der Pizzeria Aetna in Ochsenfurt bleiben zu können (von links nach rechts): Yossef, Sohail und Essra Mousa, mit Schwager Khaled Al Okla und Refaat Houd aus Syrien.
    Sie warten weiter darauf, ihren Antrag auf Asyl stellen zu können - und sind erleichtert, nun doch in der Pizzeria Aetna in Ochsenfurt bleiben zu können (von links nach rechts): Yossef, Sohail und Essra Mousa, mit Schwager Khaled Al Okla und Refaat Houd aus Syrien. Foto: Foto: CATHARINA HETTIGER

    Eigentlich wollten alle alles richtig machen – und doch hätte für eine geflüchtete syrische Familie eine Verkettung von Missverständnissen beinahe verhängnisvolle Folgen gehabt. Wäre sie nicht auf engagierte Helfer, die offenen Ohren eines Politikers und unbürokratisch handelnde Behörden gestoßen.

    Doch hier die Geschichte von Anfang an: Ihre Flucht aus Syrien führt Khaled Al Okla, seinen Schwager Sohail Moussa mit dessen Kindern Essra und Yossef sowie seinen zweiten Schwager Refaat Houd Ende September vergangenen Jahres über Passau nach Deutschland. In Regensburg kommen sie in eine Erstaufnahmeeinrichtung; von dort werden sie von den Behörden nach Schweinfurt geschickt. Ihr einziger Anhaltspunkt: ein Ausschnitt aus einer Landkarte, auf der Schweinfurt markiert ist sowie ein Zettel mit der Information, dass es einen Transfer für fünf Personen nach Schweinfurt geben solle. Mit einem Bus wird die Familie aus dem Camp abgeholt und zum Bahnhof gebracht, wo der Busfahrer die Tickets löst und dafür sorgt, dass alle im richtigen Zug sitzen. Von der Schweinfurter Erstaufnahmeeinrichtung geht es über die Margetshöchheimer Notunterkunft im November ins Palatium nach Ochsenfurt.

    Dort angekommen, fassen die fünf langsam Fuß. Al Okla, der in seiner Heimat als Polizist tätig war, besucht einen Deutschkurs und einen Folgelehrgang beim Berufsförderungszentrum in Würzburg. Die 20-jährige Essra und der 17-jährige Yossef sind für die Berufsschule in Ochsenfurt angemeldet, wo bald spezielle Ausbildungsklassen starten sollen. Der Umzug in eine neue dezentrale Unterkunft, die leer stehende Ochsenfurter Pizzeria Aetna, steht kurz bevor. Gleichzeitig warten die fünf noch immer auf einen Termin beim Bundesamt in Schweinfurt, um dort ihren Asylantrag stellen zu können – lediglich der erste Schritt in einem langwierigen Verfahren, bei dem zwischen den einzelnen Stationen Wochen oder gar Monate vergehen können: Wer seinen Antrag auf Asyl gestellt hat, wartet anschließend auf einen Interviewtermin, bei dem abgeklärt werden soll, warum die jeweilige Person Asyl beantragt. Danach entscheidet sich, ob der Einzelne asylberechtigt ist oder nicht. Und dann heißt es wieder warten: diesmal auf den Bescheid über den Asylantrag.

    Statt eines Termins in Schweinfurt allerdings erreicht die fünf Syrer plötzlich die Nachricht, dass sie zurück nach Regensburg verlegt werden sollen. Der Vorwurf: Sie seien aus der dortigen Erstaufnahmeeinrichtung einfach weggegangen. Ein Vermerk in Al Oklas Akte, dass er eigentlich nach Beratzhausen (Lkr. Regensburg) zu seinem Bruder wolle, führt außerdem dazu, dass von Behördenseite aus bereits verschiedene Bescheide ergangen sind, die eine Rückverlegung unausweichlich erscheinen lassen.

    „Mein Bruder ist in Hannover – ich habe keinen Bruder in Beratzhausen“, sagt Al Okla. Er wendet sich verzweifelt an Mitglieder des Ochsenfurter Helferkreises, die mit viel Engagement versuchen, die Geschichte aufzudröseln und einen schnellen Stopp der drohenden Rückverlegung zu erreichen. Denn klar ist: Eine Rückverlegung nach Regensburg hätte für die fünf Syrer die Rückkehr zu Null bedeutet, erklärt Franz-Josef Hench vom Helferkreis Ochsenfurt. Erneutes Warten darauf, überhaupt einen Asylantrag stellen zu können, Warten auf einen Interviewtermin, Warten auf den alles entscheidenden Bescheid.

    „Wir sind in diesem Fall auf viel Offenheit bei den Behörden gestoßen“

    Sylvia Asmodena Kurtar und Franz-Josef Hench (Helferkreis)

    „Die Flüchtlinge telefonieren täglich mit ihren Frauen und Kindern, die in der Heimat Bomben ausgesetzt sind – sie haben nicht die Zeit, monatelang zu warten“, schildert Sylvia Asmodena Kurtar vom Helferkreis Ochsenfurt die Situation vieler Menschen in den Notunterkünften. Dass die fünf Syrer außerdem mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, sich eigenmächtig auf den Weg von Regensburg nach Schweinfurt gemacht zu haben, verstärke das Gefühl von Hilflosigkeit noch. „Die Menschen haben die ganze Zeit getan, was ihnen von Behördenseite aus gesagt wurde“, erklärt Kurtar. „Und nun sollen sie etwas falsch gemacht haben und wieder ganz von vorne anfangen?“

    Der Helferkreis reagiert umgehend und macht den SPD-Landtagsabgeordneten Volkmar Halbleib auf die brisante Situation der fünf Syrer aufmerksam. Dieser wiederum greift das Anliegen sofort auf und setzt sich mit Michael Horlemann, Geschäftsbereichsleiter Jugend, Soziales und Gesundheit am Landratsamt Würzburg, in Verbindung. Nachdem klar ist, dass auch dort keinerlei Interesse an einer Verlegung der Familie nach Regensburg besteht und man sich darüberhinaus mit der Regierung von Unterfranken auf das Bleiben der Fünf in Ochsenfurt abstimmt, muss noch Gerald Dippold, stellvertretender Landesbeauftragter für die Aufnahme und Verteilung ausländischer Flüchtlinge in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung Zirndorf, davon überzeugt werden, dass eine Verlegung im Fall der fünf Syrer nicht sinnvoll ist.

    „Da war eine große Bereitschaft zu helfen“, so Halbleib über sein Telefonat mit Dippold. „Auf der einen Seite will man natürlich für eine vernünftige Verteilung der Flüchtlinge sorgen. Wenn aber – wie im diesem Fall – bereits eine Teilintegration stattgefunden hat, ist eine Verlegung wenig sinnvoll.

    “ Als hilfreich erweisen sich Fotos von den Dokumenten, die die Fünf für den Transfer nach Schweinfurt erhalten hatten sowie eine persönliche Erklärung der Flüchtlinge an den stellvertretenden Landesbeauftragten, dass sie tatsächlich in Ochsenfurt bleiben möchten.

    Wie der Vermerk in Al Oklas Akte entstanden ist, dass er und seine Familie nach Regensburg zurückkehren möchten, darüber können der Ochsenfurter Helferkreis und die Behörden nur spekulieren. „Natürlich gibt es bei der Registrierung der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen trotz Dolmetscher immer wieder Verständigungsschwierigkeiten, die zu solchen Missverständnissen führen können“, mutmaßt Kurtar. Auch funktionierten manche Informationsflüsse innerhalb von Behörden nicht immer einwandfrei. „Es passieren viele Fehler, die nur durch intensives Zuhören aufgeklärt werden könnten“, so Kurtar. Das sei aber von Behördenseite aus nicht leistbar und falle in den Aufgabenbereich der Helferkreise. Kurtar wünscht sich von den Behörden Offenheit zur Zusammenarbeit mit den Helferkreisen, so dass man sich gegenseitig zum Wohl der Flüchtlinge weiterhelfen könne. Auf diese Offenheit und Flexibilität sei man im Fall der fünf Syrer gestoßen, betonen Hench und Kurtar.

    Beim Besuch in der Pizzeria Aetna ist Al Okla und seiner Familie die Erleichterung darüber anzumerken, dass sie in Ochsenfurt bleiben können. Hier sei es „nice“, die Menschen, der Kontakt zum Helferkreis, die Umgebung. Das Gefühl von Hilflosigkeit aber bleibt nach Monaten des Wartens. Wenn der 38-Jährige einen Wunsch frei hätte, was wäre das? „Ich würde gerne meine Kinder sehen.“

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