Schwer, trocken, sperrig – so erleben viele Schüler Mathematik. „Das Fach gilt als wenig kreativ“, sagt Nicola Oswald. Gegen dieses Vorurteil möchte die promovierte Mathematikhistorikerin angehen. Hat sie selbst Mathe doch als etwas sehr Kreatives und Lebendiges erlebt. Deshalb studierte sie Mathematik, deshalb habilitiert sie nun. Unterstützt wird sie dabei vom Zonta Club Würzburg: Am Mittwoch erhielt die 30-Jährige den mit 2000 Euro dotierten Zonta-Preis 2016.
Dass man sich an Mathematik gehörig die Zähne ausbeißen kann, weiß Nicola Oswald schon auch. Ihre Abiturprüfung in Mathe hatte es in sich gehabt. Die meisten ihrer Mitschüler schnitten sehr schlecht ab. Oswald konnte auf ihre 2 von daher stolz sein. Dennoch hatte sie zunächst nicht im Sinn, den Karriereweg hin zur Mathematikprofessorin einzuschlagen. Ihr zweites Hauptfach im Abitur war Kunst. Dieser Leidenschaft ging die gebürtige Kronacherin zunächst nach: „Ich wollte Videokünstlerin werden.“
Oswald leistete verschiedene Praktika in der Kreativwirtschaft ab und begann, das Fach „Audiovisuelle Medien“ zu studieren. „Doch bald merkte ich, dass mir das ruhige, konzentrierte Arbeiten fehlt“, schildert die junge Frau. Von jeher habe sie es geliebt, fünf, sechs oder sieben Stunden lang über einem mathematischen Problem zu brüten. So entschied sie 2006, sich von der Kunst ab- und der mathematischen Wissenschaft zuzuwenden. Dabei konzentrierte sie sich auf die Zahlentheorie: „Ich bin also ursprünglich reine Mathematikerin.“
Als solche verbrachte sie viel Zeit damit, mathematische Phänomene zu beweisen: „Eben das habe ich als etwas unglaublich Kreatives und Inspirierendes erlebt.“ Im Zuge ihrer Doktorarbeit an der Uni Würzburg kam sie mit der Mathematikgeschichte in Berührung. Diesen Strang verfolgt Oswald nun auch in ihrer Habilitationsarbeit. Dabei interessiert sie sich vor allem dafür, wie Frauen in der Wissenschaft und speziell in der Mathematik durch festgelegte Strukturen, vor allem aber auch auf subtile Weise diskriminiert wurden und werden. Zum Beispiel durch bis heute gepflegte Vorurteile - etwa die vielfach widerlegte Behauptung, dass Frauen von Natur aus weniger Talent für Mathematik haben.
Die junge Wissenschaftlerin, die sich als „aktive Feministin“ bezeichnet, taucht in ihrem Habilitationsprojekt tief in die Biografien bekannter Mathematikerinnen ein. Sie beschäftigt sich zum Beispiel mit Helene Braun, die 1933 in Frankfurt Mathematik zu studieren begann und sich 1940 in Göttingen habilitierte. Wie war es für Helene Braun gewesen, als Frau Mathematik zu betreiben? „Ihr Frausein ist ein präsentes Thema in ihrer Autobiografie“, fand Oswald heraus. Wobei Helene Braun von sich sagte, keine feministischen Ambitionen zu haben. Herzstück von Nicola Oswalds ungewöhnlichem Habilitationsprojekt ist eine Datenbank, die ihr als „Analysetool“ dient. Mit Hilfe der Datenbank kann sie akribisch genau untersuchen, welche persönlichen und beruflichen, insgesamt äußerst komplexen Beziehungen eine Mathematikerin wie Helene Braun unterhielt. Daraus ergeben sich ganz neue Erkenntnisse über die Rolle und die Bedeutung von Pionierinnen im Fach Mathematik.
„Oswald bringt ganz neue Aspekte in die Forschung ein“, betonte ihr Doktorvater Jörn Steuding in seiner Laudatio. Er selbst sei durch seine Kollegin in den letzten Jahren für das Thema „Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft“ stark sensibilisiert worden. „Eine Gleichstellung ist bei weitem noch nicht erreicht“, erkannte der Zahlentheoretiker.
Für Steuding ist es „inakzeptabel“, dass nach wie vor deutlich weniger als die Hälfte aller Professuren mit Frauen besetzt sind. In einer Zeit, in der junge Forscher in der Wissenschaft „so wenig Perspektive wie selten zuvor“ haben, müssten Frauen ganz besonders kämpfen, wollen sie an die wissenschaftliche Spitze kommen. „Auch bei uns an der Universität sind Professorinnen in fast allen Fächern unterdurchschnittlich besetzt“, bestätigte Uni-Vizepräsidentin Barbara Sponholz.
Nicola Oswald sei nicht nur eine „herausragende Wissenschaftlerin“, so Zonta-Präsidentin Christina Kohlhauser-Vollmuth, die den Preis verlieh. Dass sie sich des Themas „Gendergerechtigkeit“ auf so fundierte Weise annimmt, habe den Ausschlag gegeben, ihr den diesjährigen Zonta-Preis zu überreichen.