Es klingt wie ein Gruselfilm – und ist doch grausame Realität: Am Ortsrand von Würzburg-Heidingsfeld stößt in einer kalten Aprilnacht 2012 ein großer, schwerer Mann eine Schubkarre vor sich her. In der Karre liegt die Leiche von Silke G.
Der Mann plagt sich mit seiner Schubkarre zwischen den Häusern hindurch zu dem Feldweg, der die letzte Wohnbebauung umsäumt. Um die Zeit ist hier kein Jogger, Spaziergänger oder Hundebesitzer, der stören könnte. An einer Weggabelung macht der massige Mann halt. Dann beginnt er, hinter einem kleinen Erdwall, ein Loch zu graben. In den Häusern direkt daneben kriegt das niemand mit. Dann legt er die Tote hinein.
“Wer hat dieses Mädchen gesehen?“
Silke G., die 32-jährige Mutter eines behinderten Sohnes, gilt als fleißig und zuverlässig. Kollegen schlagen Alarm, als sie einige Stunden später an diesem Dienstag nicht zur Arbeit erscheint. Die Polizei wird eingeschaltet. Silkes verzweifelte Mutter stellt sogar eine Suchmeldung mit Bild ins Internet: "Wer hat dieses Mädchen gesehen? Es ist verschwunden, bitte um Hilfe."
Relativ schnellen mehren sich die Anzeichen: Die junge Frau aus Heidingsfeld ist einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Journalisten hören: Ihr Ausweis soll in einem Dickicht gefunden worden sein, Kleidung und ein in ihrer Wohnung fehlender Kissenbezug an einem Spielplatz - zusammen mit einem Spaten.
Geld vom Konto des Opfers
Die Ermittler der Würzburger Polizei gehen da schon einer heißen Spur nach. In der Nacht von Silkes Verschwindens hat jemand mit Silkes EC-Karte 1600 Euro von ihrem Konto abgehoben. Die Überwachungskamera hat einen gewichtigen Mann dabei gefilmt, den sie zunächst nicht kennt.
Auf den Bildern ist hinter dem Mann ein Gummirad zu sehen, das außen an der Tür der Sparkasse lehnt. Warum hat der nächtliche Besucher es mitgebracht? Dann meldet sich ein Zeuge: Man solle doch einmal hinter dem Erdhügel am Straßenrand direkt neben den Häusern nachschauen. Die Stelle sehe aus, als sei dort vor kurzem gegraben worden.
Schnell wird der Verdacht grausame Gewissheit: In dem Erdloch liegt die tote Silke, sie wurde umgebracht. Noch während in der Nähe des traurigen Erdhaufens die Presse darüber informiert wird, läuft insgeheim die Fahndung nach einem Verdächtigen. Denn unter den Facebook-Freunden auf Silkes Computer ist einer, der genauso aussieht wie der Mann, der mit Silke EC-Karte Geld abgehoben hatte.
Wenige Stunden nach dem Leichenfund wird er festgenommen. Und dann klärt sich auch die Geschichte mit dem Rad, das auf den Bildern der Überwachungskamera zu sehen war: An der Schubkarre war der Reifen platt. Der Mann hatte das Rad ausgebaut und an einer Tankstelle in der Nähe befüllt. Dann erst hatte er die Leiche auf den Acker fahren können. Ein Auto hat er nicht.
Verdächtiger gesteht
Kurz darauf verkünden Polizeisprecher Karl-Heinz Schmitt und Leitender Oberstaatsanwalt Dietrich Geuder: Der 44-Jährige Bekannte der jungen Frau habe gestanden, sein Opfer „im Streit“ getötet zu haben. Die Polizei geht davon aus, dass die Tat in der Wohnung des Opfers geschah. Der Verdächtige hat als Gärtner gearbeitet. Der Ermittlungsrichtiger erlässt Haftbefehl wegen Totschlags.
Noch einmal schlagen in Würzburg die Wellen hoch: Im Stadtteil Heidingsfeld treten Freunde und Verwandte des Opfers Spekulationen über eine Beziehung zwischen dem Opfer und dem Verdächtigen entgegen. „Silke und der Mörder waren kein Paar, das ist Fakt, egal was geschrieben wird“, versichert Silkes Mutter Ursula G. auf der Internet-Plattform Facebook.

Auslöser dafür sind Spekulationen in Boulevard-Zeitungen, die unter Berufung auf Nachbarn berichtet hatten, Silke und der 44-Jährige, der in der Nachbarschaft wohnt, seien liiert gewesen. Nach Erkenntnis der Polizei haben sich Silke und er zwar seit Jahren gekannt, aber „es trifft zu, dass sie kein Paar waren“, bestätigt ein Pressesprecher der Polizei.
“Kein Verhältnis“
Im Prozess gibt es acht Monate später Tränen, Beschimpfungen, Ermahnungen– die Emotionen kochen hoch. Denn es kommen Details einer ungewöhnlichen Beziehung zur Sprache. Die Mutter der Getöteten erzählt dem Gericht weinend von ihrer Tochter. Von der früh geschlossenen und bald gescheiterten Ehe von Silke G., von deren behindertem Sohn, vom Ehrgeiz der 32-Jährigen, die sich hochgearbeitet hatte von der Aushilfskraft zur stellvertretenden Supermarkt-Leiterin. „Für meine Tochter war ihre Arbeit wichtiger als ein Mann“, sagt die Mutter.
Sie habe ein enges Verhältnis zu Silke G. gehabt. „Wenn sie eine ernstere Beziehung hatte, hat sie mir den Mann vorgestellt“, sagt die 57-Jährige im Zeugenstand. Den Angeklagten habe die Tochter ihr auch mal gezeigt. „Das ist der Mann, der meinen Computer repariert“, habe sie gesagt. Von einem intimen Verhältnis mit dem Gartenarbeiter wusste die Mutter nichts.
Unter Tränen macht auch die Freundin des Angeklagten ihre Aussage. Sie und der Gartenarbeiter haben sich Anfang 2012 auf einer Kur kennengelernt und schnell beschlossen, zusammen in seiner Wohnung zu leben. Aber dazu kam es nicht mehr, weil der 45-Jährige am 20. April, vier Tage nach der Tat, in U-Haft genommen wurde.
“Ich wollte nicht mit ihr streiten“
Er habe Silke „sehr gern gehabt, ich habe ihr Lachen geliebt, ich wollte nicht mit ihr streiten,“ sagt der Angeklagte selbst. Aber vor der Tat habe Silke mit ihm gestritten, wollte ihm die Beziehung ausreden. „Da habe ich sie an der Schulter gepackt, den Daumen an ihren Hals gelegt und bin irgendwie mit meinem vollen Gewicht auf sie drauf gefallen.“ Zwei Stunden lang, sagt der Gartenarbeiter, habe er darauf gewartet, dass sie wieder „zu sich kommt“. Dann habe er seine Schubkarre geholt, die Frau hinein gelegt und ihren Kopf auf ein Kissen gebettet. Er habe geahnt, dass die 32-Jährige tot ist. „Aber ich wollte, dass sie lebt.“
Im Prozess kommt eine schwierige Kindheit ans Licht. Der bullige Mann hat seinen Vater nie kennengelernt, die Mutter arbeitete auf einem Schiff. Wenn sie unterwegs war, kam er in ein Kinderheim. Sie trank, ihr Freund demütigte das Kind. Trotzdem pflegte der 45-Jährige seine Mutter bis zu deren Tod. Der Psychiater spricht von „Abhängigkeit“.
Bei Frauen hatte es der übergewichtige Mann schwer. Aus einer Liebschaft ging vor 20 Jahren ein Sohn hervor, aber die Beziehung zerbrach. 2002 lernt der Angeklagte die Nachbarin Silke kennen, Die mag ihn irgendwie, die beiden schauen gemeinsam Filme an – mehr will sie nicht.
Beziehungsprobleme
Ende 2009 lernt der Gartenarbeiter übers Internet eine Frau aus Heidelberg kennen. Knapp zwei Jahre später beendet sie die Affäre. Er akzeptiert das nicht, terrorisiert die Frau telefonisch.
Wenig später begegnet ihm auf einer Kur seine neue Freundin. Doch die lebt mit einem anderen Mann zusammen, von dem sie finanziell abhängig ist. Als sie wegen einer Erkrankung in eine Klinik in der Rhön muss, fährt der Angeklagte immer wieder dort hin, versucht, sie zu treffen - obwohl Therapeuten sie abschirmen. Als das nicht klappt, sucht er wieder Kontakt zu seiner Ex-Freundin. Die weist ihn schroff ab.
Gebeichtet
Da klagt der Gartenarbeiter seiner Nachbarin Silke G. sein Leid. Sie will ihm die aktuelle Freundin ausreden, was ihm nicht gefällt. Am Tag vor der Gewalttat kommt er wieder mal zurück aus der Rhön. Wieder durfte er seine Freundin nicht treffen – aber er sah sie mit dem Mann, den sie noch immer ihren "Lebensgefährten" nennt.
Die Enttäuschung nagt an ihm, er schüttet Silke G. sein Herz aus. Die beiden streiten. Ob es zu freiwilligem oder erzwungenem Sex kommt, kann das Gericht später nicht klären. „Denkbar ist einiges, nachweisbar ist nichts“, sagt der Vorsitzende Richter. Anzeichen für Gewalt gab es nicht.
In der Wut zugedrückt
Der Richter schildert im Ergebnis der Beweisaufnahme: Die Frau soll den Gartenarbeiter beschimpft haben, er wird wütend. Er packt die kleine Frau am Hals, wirft sie aufs Bett. Der Todeskampf dauert lange. Drei bis fünf Minuten muss er Silke gewürgt haben. Dann ist sie tot. Er holt eine Schubkarre, hebt das Geld der Toten ab, vergräbt die Leiche.
Zwei Tage später wird seine Freundin aus der Kur entlassen. Endlich kann er sie treffen, man geht zusammen in den Tierpark. Jetzt könnte alles so schön werden, denkt er. Aber am gleichen Abend wird er verhaftet.
Bei seinen Vernehmungen macht der Angeklagte zuweilen widersprüchliche Angaben. Dahinter muss aber weder Kalkül, noch böser Wille stehen. Nach den Erkenntnissen des psychiatrischen Gutachters hat der ehemalige Sonderschüler einen IQ, der mit 64 weit unter dem Durchschnitt liegt und „schwere intellektuelle Defizite“. Zur Tatzeit sei er „psychisch überfordert“ gewesen. Er habe die Tat „im Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit“ begangen.
Mord ist ihm nicht nachweisbar. Schließlich verurteilt ihn das Landgericht Würzburg wegen Totschlages zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft.
„Du warst eine wundervolle Tochter“
„Du warst eine wundervolle Tochter“, schreibt Silkes Mutter in einem herzergreifenden Nachruf auf Facebook. Während andere Diskussionsteilnehmer zürnen, „der Täter soll in der Hölle schmoren“, schreibt sie an ihre tote Tochter: „Ich werde Deinen Sohn so weit als möglich in Deinem Sinne betreuen.“
Der gewaltsame Tod von Menschen bleibt im Gedächtnis haften. Auf viel Beachtung ist unsere Serie „Ungeklärte Kriminalfälle“ vor drei Jahren gestoßen. Nun folgen als Gegenstück dazu „Geklärte Kriminalfälle“: Eine Serie über Verbrechen in Unterfranken, an die sich viele Menschen erinnern. Die Tote im Erlabrunner Badesee, der Foltermord von Volkach, der Fall des Autobahnschützen, der jahrelang einer mörderischen Freizeitbeschäftigung nachging – in den nächsten zehn Wochen erinnern wir an Gewaltverbrechen, bei denen die Täter gefasst wurden. Einer ist darunter, der zwei Jahrzehnten lang hoffte, nach einem Mord ungeschoren davonzukommen. Zweimal pro Woche – immer dienstags und freitags – geht es um tragische Schicksale und gewalttätige Beziehungen, um sorgfältige Spurensuche, feinen Instinkt und „Kommissar Zufall“. Alle erschienen Beiträge finden Sie dann gesammelt unter mainpost.de/kriminalfälle.