Für Georg Menig ist der Raum im Keller der ehemaligen Schule, möbliert mit Regalen und einem kleinen Schreibtisch, zu einem Arbeitsplatz geworden, der für die meisten Menschen wohl sehr gewöhnungsbedürftig ist.
Nicht so für den 24-jährigen Wolkshäuser: Er fühlt sich sichtlich wohl in der Umgebung, in der er vor einigen Monaten mit seiner Tätigkeit als Gemeindearchivar begann und in der er sich wöchentlich zweimal jeweils mehrere Stunden aufhält.
Dass dem Geschichts- und Volkskunde-Studenten das Stöbern in der Vergangenheit Spaß macht, ist nicht zu übersehen und zu überhören wenn er über seine Tätigkeit spricht. Vorgefunden, so Georg Menig, hat er einen reichhaltigen, bisher nur grob sortierten Fundus.
Wie er erklärt, sind dank der guten Arbeit seiner Vorgänger die Amtsblätter und Verordnungen beginnend mit dem Jahr 1803 bereits ordentlich in Kisten verstaut. In dem kleinen Raum lagern die schriftlichen „Hinterlassenschaften“ aus fünf Ortschaften.
Während, wie Georg bereits festgestellt hat, aus Rittershausen und Eichelsee sehr wenige Dokumente vorhanden sind, gibt es Unmengen von Aufzeichnungen aus Wolkshausen, Acholshausen und Gaukönigshofen.
Versteckt hinter dünnen Umschlägen oder dicken Holzdeckeln warten unzählige Seiten darauf, entziffert zu werden. Und das ist, wie ein Blick in das einige Kilo schwere Buch zeigt, alles andere als einfach für einen Außenstehenden.
Kein Problem für Georg Menig: Egal welche Seite er aufschlägt, er liest flüssig, wie in einem „normalen“ Buch, was vor Hunderten von Jahren ein Protokollant zu Papier gebracht hat. Und das obwohl nahezu jede Seite ein zwar fein säuberlich geschriebenes, aber völlig anderes Schriftbild zeigt. Dass es keine einheitliche Rechtschreibung gegeben hat und der Großteil der Wörter so geschrieben ist, wie es den damaligen Chronisten richtig schien, das stört den Archivar in keinster Weise. „Die haben halt die Wörter so geschrieben, wie sie sie gesprochen haben“ erklärt er. Nach einem Kurs in frühneuzeitlicher Schriftkunde und ganz viel Übung holt er Seite für Seite die Vergangenheit aus den Folianten und hält sie im Computer fest.
In dem dicken Gaukönigshöfer Gemeindeprotokollbuch mit Einträgen beginnend mit dem Jahre 1479 bis hin zum Beginn des 19. Jahrhunderts stecken unwahrscheinlich viele Lebens- und Alltagsgeschichten wie auch Erlebnisse und Begebenheiten in Friedens -und Kriegszeiten.
„In diesen 1631 Jahr zu Ende des Monat Oktobris ist der Schwedt ins Land gekommen,“ liest Georg Menig und fühlt sich zurückversetzt in die Zeit des 30-jährigen Krieges.
Geschichte ist für ihn faszinierend, interessant und informativ und manchmal auch verblüffend. Besonders dann wenn er auf Namen trifft, die auch nach Hunderte von Jahren noch heute in den Dörfern gebräuchlich sind.
Neben den Schilderungen was und wie viel „Zehnt“ die Menschen damals der Herrschaft abzugeben hatten, erzählt die Rechtsprechung des Dorfgerichts aus dem Jahre 1553 von einem klugen Schultheißen. In seinem Amt, das heute dem des Bürgermeisters entspricht, stritten ein Bürger aus Hausen und einer aus Bütthard.
Der Schultheiß verhängte keine Strafe, sondern riet den Streithanseln, sich gefälligst zu vertragen. Allerdings mit der Auflage, dass falls einer der beiden keine Ruhe gibt, er dazu verurteilt ist, an die Herrschaft „10 voll Habern Getreide und an das Gotteshaus Gaukönigshofen 10 Pfund Wachs abzugeben.“
Die Acholshäuser Gerichtsordnung im Jahre 1584 schreibt vor dass, wie Georg Menig übersetzt, nur Untertanen der katholischen Religion zu dulden sind, damit unter den Bürgern der Friede und die Einigkeit erhalten bleibt und dass durch die Spaltung der Religion im Dorf kein Misstrauen aufkommt.
Die Geschichten, die der Archivar aus der Tiefe der Vergangenheit holt, sind oftmals zum Schmunzeln und auch mal anrührend oder erzählen auch von Schrecken und Leid, das Menschen zugefügt worden ist. Wie der Fall, den vor einigen Jahrhunderten ein Bürger dem Schultheiß bekannt gemacht hat.
Er schreibt: „Ich Hanns Prosselfinger zu Gaukuningshuove bekenn öffentilch unnd thu Kunth zu allemänniglich vor diesem Gerichtsbuch das sich der ersame Lorintz Gerken, Müler zu Ackelshausen, mir unerlich und redelich Verzagung hatt vom wegen, Meines Weijbes die ein Zeytlang sein Magdt geweßen ist unnd er sie zu fal bracht hatt unnd ein Kindt mir ir gezeugtt hat.“
Georg Menig übersetzt die lange Erklärung des Verfassers so: „Hier handelt es sich um eine öffentliche Bekanntmachung einer Schadensforderung wegen Vergewaltigung. Der Bauer Hans Prosselfinger aus Gaukönigshofen beklagt den Müller Lorenz Gerke aus Acholshausen, dass dieser seine Frau, die bei ihm als Magd arbeitete, „zu Fall gebracht und ein Kind mit ihr gezeugt habe,“ er fordert dann 116 Gulden, was er vom Müller auch erhalten hat. Dafür spricht er den Müller und seine Erben in Zukunft von jedweder Schadensforderung seinerseits frei.
Um dies allen mitzuteilen und um es für alle Zeiten geschrieben zur Verfügung zu haben, hat er sich mit der Bitte um Eintragung ins Gemeindebuch an den Schultheißen Georg Beck gewandt, dieser ließ es im Gemeindebuch eintragen. Wann dieser Text verfasst wurde, konnte noch nicht ermittelt werden. Das Schriftbild ist eindeutig Mitte des 16. Jahrhunderts festzustellen.“
Für Georg Menig ist jedes einzelne entzifferte Kapitel ein kleiner Schritt auf dem Weg um die Vergangenheit ans Licht zu holen und fest zu halten. Diesen Weg wird er, wie der Gemeindearchivar schätzt, noch einige Jahre lang gehen.