Eberhard und Waltraud sind ganz besondere Schweine. Nicht nur, weil sie lange auf einem Therapiehof eingesetzt waren. „Sie können auch ,Sitz' und ,Platz' machen, ganz wie ein Hund“, schmunzelt Michael S., ein Klient des Blauen Kreuzes, der seit acht Wochen auf „Gut Harmony“ von Nicole Kanclerski arbeitet. Seit 2006 gibt es den Gnadenhof in Veitshöchheim, vor zwei Jahren wurde er zu einem Inklusionsprojekt ausgebaut. Seither pflegen Menschen mit Beeinträchtigungen erkrankte und alte Tiere.
Kindheitstraum wurde wahr

Mit „Gut Harmony“ erfüllte sich Nicole Kanclerski einen Kindheitstraum. „Ich wollte schon als kleines Mädchen einen Hof haben“, sagt die 46-Jährige. Zunächst erlernte sie jedoch einen Beruf, der weder mit Tieren noch mit Natur zu tun hatte: Die gebürtige Hannoveranerin wurde Friseurin. Aufgrund einer Sehbehinderung konnte sie irgendwann nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten. 2002 kam sie nach Veitshöchheim ins Berufsförderungswerk, wo sie sich zur Bürokauffrau umschulen ließ. Ihre neue Heimat gefiel ihr. So beschloss sie, im Fränkischen zu bleiben.
Durch einen Zufall kam sie vor mehr als zehn Jahren zu ihrem ersten Pferd namens Nani: „Eine Studentin, die für ein halbes Jahr nach Frankreich ging, suchte jemanden, der sich in dieser Zeit um ihr Pony kümmerte.“ Kanclerski ließ sich auf die Tierpflege ein, obwohl sie bis dahin keinerlei Ahnung von Pferden hatte. Nach der Rückkehr beschloss die Studentin, ihr Pferd abzugeben. Sie konnte es nicht mehr reiten, denn es hatte einen Senkrücken und war mit seinen 1,40 Meter auch viel zu klein für sie.
Nicole Kanclerski war bereit, Nani aufzunehmen: „Aber da man ein Pferd nicht alleine halten soll, suchte ich ein zweites Tier.“ So kam sie zu Moureen. Am Veitshöchheimer Sandhügelweg fand Kanclerski eine alte Scheune, wo sie die beiden Pferde unterstellen konnte. Das war die Geburtsstunde von „Gut Harmony“.
Vom kleinen Hof zum Inklusionsprojekt
Zu jenem Zeitpunkt hätte Nicole Kanclerski nicht ahnen können, dass aus ihrem kleinen Hof einmal ein facettenreiches Inklusionsprojekt werden würde. Wobei der Gedanke „Inklusion“, ohne dass es der Tierfreundin bewusst gewesen wäre, von Anfang an präsent war. Nicht nur wegen Kanclerskis eigener Sehbehinderung: „Ich gründete den Hof zusammen mit meinem damaligen, blinden Lebensgefährten.“ Drei Jahre arbeitete der auf „Gut Harmony“ mit.

Nach und nach sprach sich herum, dass es am Rand von Veitshöchheim, gleich hinter dem Grillplatz, einen Gnadenhof gibt. Immer mehr Menschen fragten bei Kanclerski nach, ob ihr altes oder krankes Tier dort eine Bleibe für seine restlichen Lebenstage finden könnte. Heute holt die 46-Jährige Pferde im Umkreis von 150 Kilometer rund um Veitshöchheim ab. Neun Stuten und Hengste beherbergt sie inzwischen. Viele Tiere sind schwer krank. Ein Pferd namens Balou, das seit kurzem auf dem Gut lebt, hat Hufkrebs. Zwei Pferde leiden an einem gutartigen Hirntumor. Manche Tiere sind hochbetagt. Marco allen voran. 36 Jahre zählt der Hengst inzwischen.
Zu den Pferden gesellten sich im Laufe der Zeit Ziegen, Schafe, Schweine, Hühner und Greifvögel. Außerdem öffnete sich der Hof für Menschen, auf die der Umgang mit Tieren stabilisierend wirkt. Ausschlaggebend dafür war Kanclerskis Kontakt zu Jutta Arens von der Aktionsgemeinschaft Sozialisation (AGS), die Einsatzstellen für Gesetzesübertreter sucht. Kanclerski war bereit, AGS-Klienten bei sich Sozialstunden ableisten zu lassen.
Tierpflege als sinnvolle Tätigkeit
Schnell sprach sich herum, wie gut es Menschen mit sozialen oder seelischen Problemen tut, mit Tieren zu arbeiten. So kam die Hofgründerin in Kontakt mit dem Blauen Kreuz. Die Organisation, die suchtkranke Menschen unterstützt, vermittelte mit Michael S. einen ersten Klienten aus dem Betreuten Wohnen auf den Hof. Der 58-Jährige ist überglücklich über sein neues Ehrenamt: „Mehr als zwei Jahre habe ich nach einer sinnvollen Tätigkeit gesucht.“

Den gelernten Zimmermann hat das Leben schwer gebeutelt. Die Mutter starb mit jungen Jahren, Michael S. kam für zehn Jahre ins Waisenhaus. Vater und Bruder brachten sich um. Die eigene Ehe ging später in die Brüche. Durch einen schweren Arbeitsunfall lag der Handwerker drei Monate im Koma: „Ich stürzte zehn Meter ab.“ Wieder genesen, ging er von Baden-Württemberg nach Unterfranken, um neu zu starten. Was schwierig war. Wurde ihm alles zu viel, griff Michael S. zur Flasche. Beim Blauen Kreuz fand er endlich die Unterstützung, die er für einen Neubeginn brauchte.
Chance für Langzeitarbeitslose
Ab März wird Michael S. als Ein-Euro-Jobber auf „Gut Harmony“ tätig sein. Insgesamt acht Langzeitarbeitslose will das Jobcenter hier integrieren. Für Nicole Kanclerski bedeutet diese Kooperation eine neue Herausforderung. Unterstützt wird sie dabei von der Veitshöchheimer Andrago Akademie. „Wir sorgen für die sozialpädagogische Begleitung der Arbeitslosen“, so Geschäftsführerin Yvonne Kellersch.

Mit allen Teilprojekten stellt sich „Gut Harmony“ elf Jahre nach der Gründung als kleines Unternehmen dar. Allerdings verdient Nicole Kanclerski damit keinen Cent. Im Gegenteil: „Ich stecke mein gesamtes Gehalt in den Hof.“ 1200 Euro muss sie jeden Monat für ihre Tiere aufbringen. Das Geld verdient sie in der Gastronomie, wo sie allabendlich nach getaner Hofarbeit in Vollzeit tätig ist.
Gut Harmony: Um das seit 2016 von einem gemeinnützigen Verein getragene Gut auch künftig unterhalten zu können, sind Spenden nötig. Denn vor allem die Tierarztkosten sind hoch. Wer spenden möchte, findet die Kontaktdaten auf der Homepage: www.gut-harmony.de.