Was wohl jetzt mit den knapp 50 Seiten passiert? Ob sie in der Ablage bei den erledigten Dingen landen? 20 Fachleute der Nationalakademie Leopoldina haben in der Debatte um saubere Luft Klartext gesprochen und das von der Kanzlerin gewünschte Gutachten vorgelegt. Und während sonst nicht immer ganz einfach ist, die Ausführungen von Wissenschaftlern zu verstehen, weil die meisten Sachverhalte komplex sind und von verschiedensten Seiten beleuchtet werden müssen – die Aussagen der Leopoldina sind ziemlich eindeutig und gut verständlich. Und die Botschaft zwischen den Zeilen ist es unmissverständlich auch: Ohrfeige! Für die Politik der vergangenen 30 Jahre. Und für den aktuellen Verkehrsminister, der die Grenzwerte für viel zu streng hält.
Zur Erinnerung. Anfang des Jahres zweifeln ein pensionierter Lungenarzt und hundert Fachverbandskollegen unterstützt von einem ehemaligen Motorentwickler die EU-weiten Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub an. Verkehrsminister Scheuer von der CSU zweifelt gerne mit. Und über Wochen läuft eine wirr-wilde Debatte über Dieselabgase, Fahrverbote, gesundheitliche Schäden und das Zigarettenrauchen. Und die, die da hart und nicht immer fair streiten, pusten munter beliebige belegte und unbelegte Zahlen durch die Luft. Öffentliche Diskussion kennt keine Grenzwerte für Schwachsinn, keine Lügenfilter, leider. Meinungen werden als Fakten verkauft, Empfindung gilt als Expertise. Die Debatte wird von Leuten geführt, die Interessen haben. Kein Wissen.
Jetzt liegt der tatsächliche Sachstand vor - ohne Zweifel an den Grenzwerten
Aber gut. Die Kanzlerin wollte irgendwann den Streit fachlich geschlichtet wissen und beauftragte die Leopoldina. 20 führende Wissenschaftler prüften sämtliche Studien und Erkenntnisse, die es derzeit zu den Auswirkungen von Feinstaub und Stickstoffoxid gibt. Jetzt ist alles komprimiert – und gesagt, was zu sagen ist. Die laut der obersten deutschen Wissenschaftsakademie tatsächlichen, nicht gewünschten Fakten: Stickoxide, also Abgase aus Dieselfahrzeugen ohne funktionierende Reinigung, gefährden die Gesundheit, durchaus schon in sehr kleinen Dosen. Die Grenzwerte sind also nicht infrage zu stellen. Und Feinstaub gefährdet die Gesundheit. Nämlich noch weit, weit mehr. Die kleinen Partikel, die durch Autoabgase, vor allem aber durch Bremsen, Reifenabrieb oder Holzverbrennung in Öfen entstehen, sind so schädlich, dass die EU-weiten Grenzwerte dafür noch gesenkt werden müssen.
Dem Sachstand folgt die Ohrfeige für die Politik: Die Wissenschaftler vermissen die langfristige Strategie für saubere Luft. Bundesweit, ressortübergreifend, den Verkehr und alle anderen Feinstaubquellen berücksichtigend. Diejenigen, die das Wissen haben, nicht nur Interessen, mahnen deutlich an: In der aktuellen Grenzwert-Debatte vergisst die Regierung zu gerne das Kohlendioxid. CO2 ist ungiftig – mit Blick auf die Erwärmung des Weltklimas gefährdet es mittelbar aber eben doch unsere Gesundheit. Und mag die Luft über Deutschland insgesamt sehr viel sauberer geworden, der Schadstoffausstoß am einzelnen Fahrzeug zurückgegangen sein: Weil der Verkehr insgesamt enorm zugenommen hat und immer noch zunimmt, steigt und steigt und steigt der Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases.
Höfliche Erinnerung: nachhaltige Verkehrswende für Klimaschutz!
Die Fahrverbote für Schadstoff-Schleudern, die Gerichte irgendwann anordneten, weil die Regierungen die Stickoxid-Grenzwerte über Jahrzehnte untätig ignorierten? Unsinnig, sagen die Wissenschaftler. Der richtige Weg kann nur heißen: konsequent weg vom Auto. Vom Diesel, vom Benziner, und vom E-Auto, von dessen Reifen sich auch Partikel freireiben, auch. Dafür braucht es gescheite Mobilitätskonzepte jenseits des Individualverkehrs. Und wie war das mit der Verpflichtung, bis 2030 den CO2-Ausstoß zu verringern? Die Leopoldina schreibt es in ihrer freundlichen Erinnerung deutlich: Endlich rasch die nachhaltige Verkehrswende einleiten. Egal, was ideologisches Halbwissen und Partikularinteressen sagen.