Als Dr. Christian Potrawa aus Würzburg an diesem Morgen schwungvoll die Tür zum Altenheim aufstößt, blicken die Bewohner in der Eingangshalle erwartungsfroh auf. „Guten Morgen, Herr Doktor!“, rufen sie im Chor – und wie jeden Tag hat der Her Doktor für jeden ein paar persönliche Worte parat.
„Habe ich Sie wieder beim Rauchen erwischt!“, droht er dem alten Mann vor der Eingangstür lachend. „Na, wenigstens sind Sie an der frischen Luft!“ Der alte Mann grinst, nickt. Persönliche Worte sind wichtig, können den Tag zu einem guten Tag machen.
Dr. Potrawa weiß das. Er ist Hausarzt mit Leib und Seele. Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Würzburg. Einer, der unbekümmert auf seine Patienten zugeht, einer der zu Scherzen aufgelegt ist und gerne lacht. Obwohl ihm das Lachen angesichts der beruflichen Situation der Hausärzte zunehmend im Halse stecken bleiben müsste.
Immer mehr Verwaltung, immer mehr Formalien, immer weniger Geld für immer mehr Leistung. Der Frust unter den Hausärzten ist groß. Alles soll optimiert werden, ökonomisch sein. Auf der Strecke bleiben die Bedürfnisse der Menschen. Hoffnung auf Besserung gibt es nicht. „Es dauert nicht mehr lange, dann gehen Hausärzte nicht mehr zu ihren langjährigen Patienten ins Altenheim. Weil es dort dann einen Arzt für alle Bewohner gibt“, sagt Potrawa.
Gerade erst hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt diese Variante der medizinischen Versorgung wieder ins Spiel gebracht, will sie in der Pflegereform verankern.
Kein Platz mehr für Persönliches
Für ein persönliches Verhältnis, ein über Jahre gewachsenes Vertrauen zwischen Hausarzt und Patient ist dann kein Platz mehr. Und obwohl dieser für Seele und Körper hohe Wert unbestritten ist, so ist er doch aus ökonomischer Sicht wertlos.
Dr. Potrawa klopft an eine der Zimmertüren. Er begrüßt Anneliese Hermann, eine freundliche Frau im Rollstuhl, die dem Doktor herzlich die Hand drückt. Potrawa misst den Blutdruck, schaut nach dem geschwollenen Fuß, zeigt sich zufrieden. Die beiden plaudern noch kurz über das Ur-Enkele, dann geht es schon wieder weiter.
Auch wenn die Gespräche mit den Patienten an diesem Morgen nur kurz sind, so haben sie doch eine deutliche Wirkung. Die alte Dame, die eben noch müde auf dem Bett lag, beteuert nun dem Doktor lebhaft, dass sie nachher auf jeden Fall raus gehen und sich die Beine vertreten wird. „Ehrenwort?“, fragt Potrawa grinsend und streckt ihr die Hand entgegen. Sie schlägt ein und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Potrawa streichelt ihr über die Wange. „Danke, Herr Doktor“, sagt sie leise. Und hält seine Hand noch einen Augenblick ganz fest.
Auch im nächsten Zimmer ist die Freude groß, als der Doktor auftaucht. Auch hier wird erstmal der Blutdruck gemessen. „140 zu 80 – wie immer also“, sagt die Frau zufrieden und zieht bedächtig den Ärmel ihres Kleides herunter. Sie freut sich über die Abwechslung.
Die alte Frau erzählt von der Depression, die sie nach einer schweren Darmoperation bekommen hat. „Ich wollte nicht mehr leben, habe nicht gegessen und geschlafen.“ Dann traf sie zufällig eine Pflegerin aus ihrem Dorf. „Die hat gesagt, hör mal, so geht das aber nicht, jetzt werden wir uns mal anstrengen.“ Eine persönliche Ansprache von einer vertrauten Person. Ein Schlüsselerlebnis. Von da an ging es aufwärts.
„Rein ökonomisch denken, das geht in unserem Beruf doch gar nicht!“
Dr. Christian Potrawa Ärztlicher Kreisverband Würzburg
Vertrauen schenken, Mut machen, motivieren. „Die meisten Hausärzte haben das verinnerlicht. Rein ökonomisch denken – das geht in unserem Beruf doch gar nicht. Täten wir es, dann müssten wir das Handtuch werfen“, sagt Potrawa. Vier bis sechs Euro für einen Hausbesuch ist nun wirklich kein adäquater Arbeitslohn.
Bei Oma Viktoria kommt Potrawa mit seinen charmanten Scherzen besonders gut an. Die 82-Jährige lacht schallend und reibt dem Herrn Doktor mit den Händen über die Wangen. „Immer ein wenig Blödsinn machen – das ist gut!“ Sie will wissen, ob sie Nasentropfen nehmen kann. „In Maßen sind die Tropfen kein Problem. Sie wollen sie ja nicht trinken“, beruhigt Potrawa sie. Viktoria lacht. „Der Herr Doktor muntert mein schwaches Herz etwas auf!“
Auf dem Gang kommt eine Pflegeschwester auf Dr. Potrawa zu. Sie macht sich Sorgen um einen Patienten. „Ich schaue gleich bei ihm vorbei!“ verspricht Potrawa. Die Schwestern sind aufmerksam. Sobald etwas ist, rufen sie den Arzt in der nahe gelegenen Praxis an.
Überhaupt, so sagt Potrawa, sei die Situation in Würzburgs Alten- und Pflegeheimen längst nicht so schlecht wie sie geredet würde. „Der Ärztliche Kreisverband hat gerade eine Umfrage bei 90 Hausärzten und hausärztlich tätigen Internisten in der Region Würzburg durchgeführt. Ergebnis: Sie bewerteten die pflegerische Versorgung mit der Note 2,12 – also gut“, sagt der Hausarzt.
Bürokratie ohne Ende
Die befragten Ärzte betreuen im Schnitt 34 Patienten in Alten- und Pflegeheimen und statten ihnen im Quartal jeweils acht Besuche ab. „Gerade diese Ärzte zeigen regelmäßige und engmaschige Präsenz“, sagt Potrawa. Grund zur Sorge bestehe vielmehr im Hinblick auf die Mehrfachbelastung des Personals. Potrawa zeigt Richtung Schwesternzimmer. „Bürokratie ohne Ende, die zuständigen Stellen schauen bei Kontrollen lieber Dokumentationsbögen statt Patienten an.“
Als Dr. Potrawa die Tür nach draußen öffnet, winken ihm die Bewohner in der Halle eifrig zu. „Auf Wiedersehen, Herr Doktor!“ Und ein Strahlen geht über die Gesichter.