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WÜRZBURG: Guter Bürger, schlechter Bürger

WÜRZBURG

Guter Bürger, schlechter Bürger

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    In China wird gerade Realität, wovor Datenschützer seit Jahren warnen: ein System staatlicher Überwachung, in das die digitalen Spuren jedes Bürgers – gewonnen aus Melderegistern, Gerichtsakten, Überwachungskameras, Internet-Suchanfragen bis hin zu Kreditkartenkäufen – einfließen. Das Ziel: 1,4 Milliarden Menschen sollen bis 2020 anhand ihres Verhaltens bewertet werden. Wer sich „sozial wohlgefällig“ verhält, dem winken Belohnungen, anderen drohen Strafen: bei Steuern, Sozialleistungen oder der Vergabe von Studienplätzen. Über die geplante Bürgerbewertung sprachen wir mit Professor Björn Alpermann, Inhaber des Lehrstuhls für „Zeitgenössische China-Studien“ in Würzburg.

    Frage: Ähnelt die chinesische Bürgerbewertung unserer Schufa?

    Björn Alpermann: Der Grundgedanke ähnelt der Schufa, aber das System reicht weit ins Privatleben der Menschen hinein. Bei der Schufa gibt es keine moralische Komponente. In das chinesische System sozialer Kreditwürdigkeit kommen Einträge bei Nachbarschaftsstreits, wenn jemand betrunken randaliert, bei Rot über die Ampel läuft oder sein Fahrrad falsch abstellt. Letzteres wird bei Leihfahrrädern kontrolliert, die über eine Handy-App auf- und abgeschlossen werden. Die Fahrräder sind über Ortungssysteme verbunden. Alle Daten sind vorhanden. Man muss sie nur zusammenführen.

    Sie waren kürzlich in Peking. Wie reagieren die Menschen in den 20 Pilotregionen?

    Alpermann: Momentan werden Daten gesammelt. Über Gesichtserkennung-Software in Überwachungskameras wird versucht, menschliches Fehlverhalten zu dokumentieren, das irgendwann Konsequenzen nach sich ziehen soll: beispielsweise längere Wartezeiten für Anträge. Doch das spielt in der öffentlichen Wahrnehmung – selbst in den Pilotstädten – noch keine große Rolle.

    Sprechen die Chinesen über das System?

    Alpermann: Diskutiert wird in speziellen Online-Foren. Dort geben Menschen damit an, wenn sie einen besonders hohen Score (Punktestand) bei der Bürgerbewertung erreicht haben. Sie diskutieren darüber, wie sie ihren Punktestand verbessern können.

    ->Lesen Sie auch: Künstliche Intelligenz: Würzburger Ethik-Experte zieht Linien

    Wie wird man zum „besseren Bürger“ in China?

    Alpermann: Für den Bürger geht es um gesellschaftliches Wohlverhalten. Ein Beispiel: Der Staat versucht die Menschen dazu anzuhalten, sich um ihre alten Eltern zu kümmern. Wenn sich ein gut verdienendes Paar nicht um seine Verwandten kümmert, wirkt sich das negativ auf ihre Punkte aus. Ihnen sollen Auslandsreisen, Inlandsflüge oder Tickets für Hochgeschwindigkeitszüge, die in China personalisiert sind, verboten werden.

    Was gilt als „sozial wohlgefällig“?

    Alpermann: Das bestimmt die Partei. Wie der Algorithmus funktioniert, der die Punkte zusammenrechnet, ist nicht öffentlich. Die Kontrolle soll durch den Staat und nicht durch die Öffentlichkeit, unabhängige Medien oder Bürgerjournalisten erfolgen. Die chinesische Elite ist sicher von dem Bewertungssystem ausgenommen, die 89 Millionen Parteimitglieder aber stehen unter besonderer Beobachtung.

    Wird im „Punktestand“ vermerkt, dass jemand ein Unruhestifter sein könnte?

    Alpermann: Das ist die große Gefahr. Gerade versucht Chinas Regierung, die Internetkontrolle auszubauen. Nutzer von Kurznachrichtendiensten sollen sich künftig nur noch unter ihrem echten Namen registrieren dürfen. Dann könnte jeder für das haftbar gemacht werden, was er irgendwann einmal geschrieben hat.

    Sind die Chinesen nicht beunruhigt?

    Alpermann: In China sind die Menschen sehr viel sorgloser, was ihre privaten Daten anbelangt. Dienste von kommerziellen Anbietern, die darauf beruhen, Daten abzugreifen, werden bei uns zwar auch genutzt, aber zumindest kritisch reflektiert. In China fehlt das kritische Bewusstsein. Datenschutzrechtliche Probleme werden kaum erörtert.

    Weil alles Kritische von der chinesischen Regierung zensiert wird...?

    Alpermann: Nein, in China gibt es im Internet größere Freiräume, sich kritisch zu äußern, als in der realen Welt. Doch jede Online-Bewegung, die darauf hinauslaufen könnte, dass sie auch offline Demonstrationen anleiern könnte, wird zensiert.

    Gibt es keine Proteste, weil die Menschen an staatliche Überwachung gewohnt sind?

    Alpermann: Möglich. Überall in Peking sind Überwachungskameras installiert. In den Wohnvierteln gibt es designierte Leute, die aufpassen, welche Neuankömmlinge oder Fremden herumlaufen und wen man im Auge behalten sollte. Das wird unter dem Begriff „soziales Management“ zusammengefasst. Diese Nachbarschaftsspitzelei gibt es bereits seit den 50er-Jahren. Die Aufpasser sind offiziell kein Teil der Regierung, werden aber von ihr kontrolliert und ohne Wahlen eingesetzt.

    Sie arbeiten eng mit der Stadtverwaltung zusammen. Aus der Haft Entlassene müssen sich regelmäßig bei dem Komitee melden. Sozialhilfeempfänger werden überwacht, ob sie tatsächlich arbeitsunfähig sind. Wenn sie bei Schwarzarbeit erwischt werden, fliegen sie aus dem System. Politische Dissidenten werden von Nachbarn bespitzelt. Die Nachbarschaftsüberwachung hat eine Jahrhunderte alte Tradition in China. Die Regierung versucht jetzt, diese in eine digitale Form zu übersetzen.

    Das neue System soll die Bürger in die Klassen A, B, C und D einteilen. Spüren schlecht bewertete C- und D-Bürger schon jetzt die Auswirkungen?

    Alpermann: C- und D-Bürger, die schon lange Ziel staatlicher Überwachung sind, wissen Bescheid. Bei den A- und B-Bürgern wäre ich mir sehr viel unsicherer.

    Wie werden die riesigen Datenmengen ausgewertet? Gibt es den Super-Computer?

    Alpermann: Die Technik ist da. Aber es gibt noch viele ungelöste Fragen. Es gibt nach wie vor Behörden in China, die ihre Daten in Papierform erfassen.

    Wer könnte das System zum Scheitern bringen?

    Alpermann: Die Frage ist, ob die Regierung auf die privaten Internetfirmen zählen kann. In China gibt es die Suchmaschine Baidu, das Online-Auktionshaus Alibaba inklusive Paypal-Variante und Tencent, das sich auf soziale Netzwerke spezialisiert hat. Die Unternehmen wollen ihre Daten nicht teilen, sondern Gewinn daraus schlagen.

    Was passiert, wenn das System funktioniert?

    Alpermann: China hat bereits Internet-Filtertechnologien an autoritäre Staaten verkauft. Schlimmstenfalls könnte auch sein technologisch aufgepeppter Autoritarismus Schule machen.

    Zur Person Björn Alpermann studierte Moderne China-Studien, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, wo er auch promovierte. Seit 2008 lehrt er als Professor für Zeitgenössische China-Studien an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Seine Schwerpunkte sind die Politik und Gesellschaft Chinas.

    China auf dem Weg in die IT-Diktatur 2016 verständigten sich in China bereits 40 Institutionen, darunter Polizei, Gerichte, Transportministerien oder die „People's Bank of China“ auf den weitreichenden Austausch von Informationen. Wenn jemand beim Autofahren zu oft hupt oder seine alten Eltern nicht regelmäßig besucht, wirkt sich das negativ auf die eigene Bonitäts-Bewertung aus. Kritisiert wird die geplante Bürgerbewertung in China kaum. Staatliche und private Medien begrüßen vielmehr die neu gewonnene Sicherheit für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben.

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