Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beobachtet seit längerem die Stimmungsmache im Internet. Er hat eine Verrohung des politischen Diskurses festgestellt. Am Montag, 4. Juli, ist Reinemann zu Gast bei den „Würzburger Mediengesprächen“ an der Universität.
Frage: Welche Rolle spielt das Internet für das Meinungsklima in unserer Gesellschaft?
Carsten Reinemann: Durch das Internet und dabei speziell durch soziale Medien werden extreme Positionen öffentlich sichtbarer. Sie können die Stimmung in unserer Gesellschaft verändern und zur Polarisierung führen. Sie können bewirken, dass Menschen verstärkt handeln. Konkret besteht die Angst, dass Menschen mit rechtsextremen Einstellungen zu Straftaten angestachelt werden – aber auch islamistische Propaganda ist natürlich ein großes Problem.
Sie sprechen von rechtsextremer Stimmungsmache. Gibt es auch linksextreme Positionen im Netz?
Reinemann: Jegliche Form des Extremismus hat durch das Netz ihre eigene Spielwiese, um ihre Ideologie zu verbreiten. Im Visier der Sicherheitsbehörden stehen aber momentan besonders Islamismus und Rechtsextremismus.
Extremisten gab es schon immer, was ist neu an der Spielwiese Internet?
Reinemann: Durch das Netz ergeben sich neue Möglichkeiten. Zum Beispiel für Gruppen, die schon immer extremistisch waren und Hass verbreitet haben. Sie können nun auf eigenen Seiten agieren oder sich auf anderen Plattformen einschleusen, um ihre Ideen einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Das läuft an den traditionellen Medien vorbei. Zuweilen geschieht dies auf Seiten, bei denen man auf den ersten Blick nicht erkennt, wer dahintersteckt. Es scheinen ganz normale besorgte Bürger zu sein, eine Bürgerinitiative, die sich gegen eine Flüchtlingsunterkunft wendet oder eine Seite, die sich scheinbar mit Naturschutz beschäftigt. Später stößt man auf Gruppierungen, die einem rechtsextremen Weltbild anhängen.
Wie können einzelne Online-Seiten das Meinungsklima in unserer Gesellschaft beeinflussen?
Reinemann: Im Netz kann man mit relativ wenigen Menschen eine intensive Kampagne steuern. Leicht entsteht ein Meinungsklima, das nicht die wirklichen Verhältnisse widerspiegelt. Viele Nutzer folgen leider nicht dem Grundsatz: erst denken, dann klicken. Häufig werden Dinge verbreitet, die falsch sind. Früher habe ich mir eine Fernsehsendung angeschaut und mich danach mit jemandem unterhalten. Heute kann ich sofort Teil des öffentlichen Diskurses sein. Daraus erwächst eine Verantwortung für den Einzelnen. Viele sind sich der Verantwortung aber nicht bewusst. Sie sind begeistert, mitmachen zu dürfen, und verstehen nicht, dass sich manche Dinge nicht mehr zurückholen lassen. Behörden sind sich einig, dass es seitens rechter Gruppierungen eine Strategie gibt, Gerüchte über Flüchtlinge zu streuen und damit Ängste und Hass zu schüren.
Eine solche Kampagne kursiert momentan auf Twitter. Neonazis und Trump-Anhänger haben angefangen, Nutzernamen jüdischer Journalisten eingeklammert zu twittern, um sie kenntlich zu machen und eine angebliche Verschwörung aufzudecken.
Reinemann: Die Kombination von extremen Einstellungen und Verschwörungstheorien ist ein Klassiker. Während des Nationalsozialismus glaubte man an eine jüdische Weltverschwörung. Dahinter steckt die Idee, dass gesellschaftlicher Wandel auf das Handeln von einzelnen mächtigen Gruppen zurückzuführen sein müsste. Es ist das Bedürfnis, einfache Erklärungen für komplexe historische Prozesse zu finden. Das ist das Erfolgsgeheimnis vieler Populisten. Sie vermitteln den Menschen, dass sie Teil einer Gruppe sind, die Unrecht erleidet. Dann benennen sie diejenigen, die als Sündenbock für schlimme Entwicklungen herhalten müssen. In den sozialen Netzwerken lassen sich einfach solche Kampagnen führen.
Warum ausgerechnet in den sozialen Medien?
Reinemann: Bei Facebook bin ich meist mit Leuten befreundet, die ähnliche Ansichten vertreten wie ich. Dazu kommt, dass mir nach bestimmten Algorithmen Nachrichten ausgespielt werden, die meinen Interessen entsprechen. Die menschliche und die technische Komponente zusammen erzeugen unter Umständen sogenannte „Echokammern“. Der Nutzer bekommt das Gefühl: Alle Menschen denken so wie ich. Das führt zur Polarisierung. Man bewegt sich nur in seiner eigenen kleinen Welt und redet nicht mehr mit Menschen, die anders denken.
Und wenn man doch bei Facebook miteinander redet, dann scheint oft keine sachliche Diskussion mehr möglich. Woran liegt das?
Reinemann: Im Internet hat in den vergangenen Jahren eine Verrohung stattgefunden. Es fing mit den Shitstorms an. Online äußern sich Menschen oft in einer Art, wie sie das normal nicht tun würden. Es ist ein halb öffentliches Umfeld (früher war das der Stammtisch), in dem man auch extreme Positionen vertreten kann. Unter Gleichgesinnten ist man äußerungsbereit. Das Problem dabei: Im Netz finde ich immer jemanden, der mir zustimmt, egal, welche Position ich vertrete.
Das Internet an sich ist aber doch nicht das Problem, sondern dass es missbraucht wird. Wie könnte man dem entgegensteuern?
Reinemann: Die Frage ist doch: Wie können wir unseren Kindern die Grundwerte unseres Zusammenlebens vermitteln? Schon in der Schule müssten diese stärker thematisiert werden. Seit Jahren stimmen 90 Prozent der Menschen der Grundidee unserer Demokratie zu. Doch gleichzeitig wollen immer mehr keine Muslime mehr nach Deutschland einwandern lassen. Das widerspricht fundamental den Prinzipien unserer liberalen und pluralistischen Demokratie: Menschenrechte, Gleichheit und die Beteiligung aller an demokratischen Entscheidungen. Die Grundwerte unseres Zusammenlebens zu benennen, vor allem dann, wenn ganze Bevölkerungsgruppen Hass und Vorurteilen ausgesetzt sind, das ist unsere Aufgabe – auch im Internet. Foto: LMU