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WÜRZBURG: Hermann Schneider spricht über Krieg und Kunst

WÜRZBURG

Hermann Schneider spricht über Krieg und Kunst

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    DOKUMENTATION: Hermann Schneider

    KRIEG & KUNST

    Ein Gegen-Rede zum 16. März 2010

     „(...) Gedanken beim gestrigen Nachtritte – über die Maschinerie des Todes, die Bomben der Sturzkampfflieger, die Flammenwerfer, die verschiedenen Sorten der Giftgase – kurzum das ganze gewaltige Vernichtungsarsenal, das drohend vor dem Menschen zur Entfaltung kommt. Alles das ist nur Theater, reine Szenerie, die mit den Zeiten wechselt und etwa unter Titus nicht geringer war. Auch bei den Primitiven ist man solcher Sorgen nicht enthoben; man kann dort auf Stämme stoßen, durch die man auf ausgesuchte Weise gefoltert wird. Die Schrecken der Vernichtung stellen sich, wie auf den alten Höllenbildern, stets in der höchsten Fülle technischer Einzelheiten dar.

    Ewig die gleiche bleibt dagegen die absolute Entfernung, die uns vom Tode trennt. Sind wir entschlossen, diese zu durchmessen, dann gehört alles andere der Vorstellung oder der Versuchung an. Die Bilder, die uns auf diese Weise begegnen, sind Spiegelbilder unserer Schwäche – sie wechseln mit den Zeiten, in denen wir geboren sind.“ (Ernst Jünger, Gärten und Straßen Toulis, 6. Juni 1940)

    Es ist für mich eine besondere Ehre, dass ich als „Nicht-Würzburger“ an diesem heutigen schicksalsmächtigen Tage vor Ihnen einige Gedanken äußern darf über das Undenkbare, Unfassbare, das ich selbst nicht erlebt habe, das jedoch für mich als Fremden nahezu mit Händen zu greifen schien, als ich das erste Mal diese Stadt betrat. -

    Anders etwa als in Dresden, wo man in vielfacher Hinsicht, sei es aus Ideologie, sei es aus Not die städtebaulichen Strukturen ignorierte, ja planierte, anders als dort, hat man in Würzburg nach dem Kriege – Ausnahmen bestätigen die Regel – die Straßenverläufe, die alten Wege beibehalten. Es sind dies gewissermaßen die Narben, die sich über und aus den Wunden bildeten. Und man geht die Gassen und Straßen und es sind dieselben und doch nicht dieselben, weil diese Wege nicht mehr mit dem Staub der Jahre gefüllt sind, sondern auch mit der Asche und dem Blut des letzten Krieges und eben jenes Schicksalstages.

    Und unter dem Asphalt und dem Pflaster, in das hie und da ein kluger Künstler goldene Stolpersteine eingelassen hat, um uns an die nicht hier aber andernorts verstreute Asche und vergossenes Blut ehemals Würzburger Bürgerinnen und Bürger zu erinnern; doch darunter liegen die Erinnerungen wach als würden sie atmen. Darüber aber geht man (hinweg) oder stolpert über die Narben im Gesicht dieser Stadt.

    Und wenn ich nun nicht Zeitzeuge war jenes Schreckenstages, welches Zeugnis kann ich dann ablegen?

    Und wenn ich nicht  Würzburger bin, welche Identität habe ich sodann und welchen Verlust habe ich zu beklagen?

    Zeit-Zeuge ist immer der, der nicht eine Gegenwart allein erlebt. Sondern jemand, der eine Zeit zu bezeugen weiß. Er überträgt, übersetzt eine Zeit in eine andere. Transponiert, transformiert. Sich und die Zeit. Die Zeit und sich.

    Was aber ist – selbst, wenn man sie erlebt hat - die erinnerte Zeit?

    Sie ist nichts anderes als eine Erinnerung. Die Tragik der Zeitzeugenschaft liegt in dem sich allmälich verfestigenden Bewusstsein, dass die Vergangenheit, die eigene Biographie zur Fiktion wird. Die Geschichte wird zur „Geschichte“ im eigentlichen Sinne des Wortes. Zu einer Erzählung. Doch wer erzählt?

    Welche Schichten unter Asphalt und Staub, Stolperstein, Asche und Blut legen wir frei.

    Und: Sind sie freigelegt, was bedeuten sie demjenigen, der sie nicht wiedererkennt als sein eigenes abgelebtes Leben?

    Der Zeit-Zeuge kann also nur etwas wiederfinden, was er niemals verloren hat, weil es sich in seinem Gedächtnis bewahrte. Dort aber lagern die Erinnerungen zwischen den Gedanken und den Träumen, und hin und wieder vertauschen sie sich zu Ideen und Schrecknissen. Wer aber vermag in jener Kammer Gedächtnis all dieses zu neuem Leben zu wecken, gleich dem Alchemisten, der aus Ungeformten oder gar minderer Materie eine Form oder edles Metall gewinnt? – Der Künstler.

    Wenn also nur die Zeitzeugenschaft oder auch eine Wissenschaft dazu prädestiniert, von historischen Ereignissen Zeugnis abzulegen – und hierbei geht es nicht um die bloße Rekonstruktion von Fakten, oder die Imitation von Wirklichkeit – dann ist es außer diesen beiden Kennerschaften von Zeugnis und Wissen die Kunst. Sie war von Anbeginn diejenige Eigenschaft des Menschen, die ihm half die Schrecken und die Ideen zu sondieren. Ob die Höhlenzeichnung, die von der Jagd oder von Kämpfen berichtet, Retrospektive ist oder war, oder ob sie den Vorgang als Vision antizipiert - gleichsam als Schlacht-Plan - wissen wir nicht. In jedem Fall aber ist sie Geschichte und sicher Magie. Denn man bannt ein Wesen oder seine eigene Angst in ein fliehendes Bild im Fackellicht.

    Nicht viel mehr – so wusste schon Platon – ist unser Verständnis von der Wirklichkeit selbst. Bilder auf eine Höhlenwand geworfen, Schatten vom Feuer beleuchtet. Schatten von Tieren, gefesselten Menschen oder fliehenden, suchenden vor brennenden Häusern zwischen Main und Dom, Natur und Glaube, Hölle und Himmel.

    Soviel zur Zeitzeugenschaft.

    Zur Erinnerung.

    Zur dargestellten Wirklichkeit.

    Deren Fiktion, deren Geschichte: Es sind Bilder, Worte nur, die man mühsam über die Schmerzen der Erfahrung geworfen hat. Gleichsam wie Verbände, Pflaster oder Salben.

    Die Wirklichkeit, die tatsächlichen Ereignisse erinnern wir nicht. Daher können wir sie auch nicht berichten, sondern nur fragmentieren.Und das Fragment ist – wie Adorno sagt – der Eingriff des Todes in das Werk

    Wenn wir die Wirklichkeit nicht erinnern, die Ereignisse nicht, so müssen wir an einem Tage wie dem heutigen wissen:

    Wir erinnern nicht, sondern wir werden erinnert. Es gibt keinen bewußten Weg zurück in die Zeit oder in jene Höhle mit den schreienden, gequälten Menschen, sondern wir müssen wissen, daß wir die Höhle nie verlassen haben.

    Zeitzeugenschaft bedeutet also die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wie Friedrich Nietzsche in anderem Zusammenhang sagt.

    Eine Zeit erinnert, ereignet sich in der anderen. Wir erinnern nicht, wir werden erinnert.

    Soviel zur Zeit-Zeugenschaft.

    Mein Zeugnis ist der Versuch, nicht aus der erlebten oder dargestellten Zeit zu sprechen, Zeichnungen von damals an Wände zu werden, sondern die Behauptung, dass wir am Beginn des neuen Jahrhunderts, ja Jahrtausends auf ein Ereignis aus dem vergangenen Jahrhundert und Jahrtausend zurückblicken, auch in den Schlund einer Höhle. Und wir (heutigen) Zeit-Genossen müssen uns fragen, was bleibt? Welchen Sinn hat eine Geschichte wie diese von Leid und Zerstörung. Wäre sie ausweichlich gewesen, so legte niemand in die Straßen der unzerstörten Stadt Stolpersteine, weil auch andernorts dann keine Asche verstreut, kein Blut vergossen wäre.

    Wer aber sind die, die davon berichten? Sind diese in der Tat legitimiert dies zu tun? Woher nehme ich das Recht, heute das Wort zu ergreifen aus einer nicht vorhandenen Zeit-Zeugenschaft und dennoch einem Bewusstsein, dass das Wort oder das Bild, der Gesang oder der Körper besser Auskunft geben können als ein Geschichtsbuch? Besser, weil in ihnen nicht die Chronologie der Ereignisse aufgehoben wird, sondern die Genese des Schmerzes. Weil hier weder Opfer noch Täter erscheinen – ohne dass man sich der Verantwortung entzieht.

    Im Gegenteil.

    Das Leid ist un-teilbar, weil es mit-teilbar ist.

    Es ist unteilbar das Leid aus Auschwitz, Majdanek, Treblinka und Würzburg. Weil das eine zum anderen führte, ja nahezu alttestamentarisch führen musste. Die Schuld in den Städten die dann zerstört wurden/werden, war nicht die sinnlicher Ausschweifung. Doch moralischer Verrohung, Zerrüttung. Denn nicht zu wissen, oder wissen zu wollen, wer mit einem Mal nicht mehr in jenen Häusern wohnte, vor deren Schwellen heute die goldenen Stolpersteine liegen, ist ebenfalls eine Form der Zeitzeugenschaft: Eine, die die Zeit verformt, krümmt wie den Raum zur Schuld.

    Wer aber vermag sich dann umzudrehen und auf jene Städte zu schauen, sei es im Fackellicht der gebannten Wesen  oder in der Vernarbung ihrer Gassen und Stiege, wer vermag das - ohne zur Salzsäule zu erstarren? Sich umzudrehen. Auf diese Stadt zu schauen in ihr immerwährendes Gestern als Heute.

    Wer?

    Umdrehen.

    Die Kunst allein vermag dies vorurteilsfrei. Und auch sie hat das erst in ihrer eigenen Entfaltung zu sich als freier Kunst vermocht. Sie darf dies nicht im Hochmut des besseren Wissens. Denn sie weiß nicht. Sie weiß nur um ein Wissen aus Schmerz, aus Magie.

    Und auch das ist nicht selbstverständlich. Denn auch die Kunst ist nicht rein, sie selbst kann ebenfalls zerstören, ja die Lust an der Zerstörung ist eine schöpferische Lust (Michail Bakunin). Noch Karlheinz Stockhausen vermeinte im 11. 09. 2001 das größte Kunstwerk (wenn auch Luzifers) zu sehen. Die Zerstörung ist jedoch keine Kunst; die bloße Entfesselung aber, der Rausch in Stahlgewittern hat etwas Narkotisierendes was dem eigenen ungeprüften Ich nur Sein vergaukelt, die Angst bannt wie in der Höhlenzeichnung.

    Und immer wurde der Krieg selbst als Kunst aufgefasst. Als Große Inszenierung. In der europäischen Antike ebenso wie in Asien, in der Moderne nach Clausewitz ebenso wie in den heutigen Bildschirmprogrammen von Drohnen. Eine Ästhetik des Schreckens gebannt in die Magie von Ordnung, Struktur, Ökonomie, Ver-bannt in Kollateralschäden.

    Die Kunst selbst war so lange nicht autonom. Und die ersten Künstler waren nicht selten Krieger, wie wir seit der Antike wissen, von Aischylos und anderen. Und im Mittelalter waren die Minnesänger auf Kreuzzügen, sangen nicht von der Liebe, sondern vom Krieg. Und in all‘ den Jahrhunderten danach war der Künstler Kriegsberichterstatter, sei es unmittelbar oder mittelbar wie Goethe in der Kampagne in Frankreich, Stendhal in den Denkwürdigkeiten über Napoleon oder noch im 20. Jahrhundert der eingangs zitierte Ernst Jünger, dessen Soldatentum erst nach und nach in ein Künstlertum mutierte und in den subtilen Jagden nach Käfern eine Symbiose erfuhr.

    Immer schon haben die Künstler, die Dichter, den Krieg oder die Schlacht beschworen, besungen, geheiligt. Die Gewalt verflucht oder verherrlicht. Wenn Homer den Tod Hektors im 22. Gesang der Ilias als den zeitlupenhaften Vorgang des aus seinem Munde gleich einer zweiten Zunge tretenden Lanzenblattes schildert. Und staunend anerkennt, daß erst so oder auch so ein Zwie-Gespräch möglich war.

    Ehedem – und das berichten etwa auch die „reinen“ Dichtungen um König Artus – verabredete man sich außerhalb der Städte zum Streit, zum Kampf. Denn der Krieg war noch kein totaler.

    Total“ – so Ernst Jünger – ist ein Krieg dann, wie er in Gärten und Straßen vermerkt, wenn es in jedem Augenblick immer um die eigene Existenz geht. Ja letztlich, wenn es keinen Unterschied mehr zwischen Soldat und Zivilist gibt.

    Vielleicht war es diese Erfahrung, die die  Kunst im Laufe des an Kriegen und Zerstörung so reichen 20. Jahrhunderts in eine immer größere Distanz zum Krieg, zum Geschäft des Krieges gehen ließ.

    Ehedem war der Krieg ein Geschäft, das ist er heute auch. Und schon der Historiker Schiller erkannte in Wallensteins Lager „Der Krieg ernährt den Krieg“. –

    Wobei diese Ernährung vor allem ein Geschäft ist. Von dem wir Deutschen mittlerweile gut leben; auf dem Altar deutscher Panzerspähwagen in fernen Ländern opfern wir die Menschen, damit uns der Gott des Wohlstandes mästet. Seit dem Jahr 1999, als die Grünen, die wohl der sog. Friedensbewegung entstammten, für den Luftkrieg über Serbien stimmten, haben sich die Waffenexporte Deutschlands verdoppelt. Wir sind wieder wer und bannen die Skrupel mit dem schönen, lyrischen und deutschen Wort Kriegswaffenkontrollgesetz. Ein Gesetz, das allein deswegen Makulatur ist, weil nach seinen Kriterien ein Land wie die Türkei nicht beliefert werden dürfte. Dieses aber als NATO-Mitglied sozusgen per definitionem Immunität gegen derlei Kriterien genießt. Wir sind die Guten. Der Krieg ernährt uns und eben sich selbst.

    Eine Erkenntnis, die heute bereits wieder verloren gegangen scheint: denn jeder Krieg muß zwangsläufig aus technischen, politischen oder ökonomischen Gründen einen weiteren produzieren, wie wir heutigen Tages im Nahen und Mittleren Osten beobachten. Noch vor den Städten. Doch von dort wird er zurückgetragen in die Städte.

    Vor den Städten also verabredete man sich. Dort wurde stellvertretend für alle – gleichsam wie im Turnier gekämpft. Das Schlachtfeld war nicht allein aus geopolitischen oder taktischen Gründen außerhalb der Städte, sondern aus humanen, ja ich bin versucht zu sagen: mythischen Gründen.

    Troja ist ein Tabubruch. Dort wird nach Jahren der Belagerung der Krieg mittels der bekannten List in die Stadt hineingetragen. In das Zentrum des unschuldigen, zivilisierten Lebens. Nach sieben Jahren. Einer Ewigkeit. Sieben Jahre.

    Zwanzig Minuten dauerte die Zerstörung unserer Stadt. Ohne Belagerung. Ohne List. Nur mit Hilfe der Technik, einer Maschinerie. Total. Wie der Krieg.

    Die homerischen Epen ebenso wie die große Literatur des Mittelalters beschrieben den Krieg, kriegerische Auseinandersetzung.

    Der Krieg war der Vater aller Dinge, er brachte Zerstörung und Zivilisation nicht im Neuaufbau, sondern auch in der Erfindung neuer Techniken. Er fand seinen Anlaß darin und er formte Helden. Eine Vorstellung, die im Gedanken der Repräsentation eine Sicherheit und Identität stiftete.

    Ein Gedanke, der scheinbar immerhin noch Würde besaß. Die Würde, im Unterschied zur Anmut, auch eine ehedem moralische Kategorie hat sich aus dem Gedanken der Repräsentation verabschiedet. Vielleicht ist das ein Phänomen oder Signifikat der Moderne. Deren Entstehung man ja gerne mit dem Zeitalter der Aufklärung oder der Französischen Revolution verbindet: Apropos: Ich wäre neugierig zu wissen, wie viel Gegner die Französische Revolution (heute) hat? Vermutlich erstaunlich wenige. Zumal es ein Krieg im Innern war, und es angeblich einen höhern Zweck gab. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Näme man derlei Begriffe genauer, würde man zwischen Freiheit und Gleichheit schon die Contradictio in adjecto erkennen und die große Chimäre – auch so ein Höhlenbild – Freiheit würde durch den Zwang zu Gleichheit mit Blut abgewaschen.

    Dennoch bildete jener Idealismus trotz der Schrecken der immer moderneren Waffen künstlerische Visionen, die in ihrer Anmaßung pervers scheinen, anders sind für mich Hölderlins Verse nicht zu ertragen:

    Der Tod fürs Vaterland

    Du kömmst, o Schlacht! Schon wogen die Jünglinge

                Hinab von ihren Hügeln, hinab ins Tal,

                            Wo keck herauf die Würger dringen.

                                       Sicher der Kunst und des Arms, doch sichrer

    Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,

                Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,

                            Und ihre Vaterlandsgesänge

                                       Lähmen die Kniee  der Ehrelosen.

    O nimmt mich, nimmt mich mit in die Reihen auf,

                Damit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!

                            Umsonst zu sterben, lieb’ ich nicht, doch

                                       Lieb ich, zu fallen am Opferhügel

    Fürs Vaterland, zu bluten des Herzens Blut

                Fürs Vaterland – und bald ist’s geschehn! Zu euch,

                            Ihr Teuern! Komm ich, die mich leben

                                       Lehrten und sterben, zu euch hinunter

    Wie oft im Lichte dürstet’ ich euch zu sehn,

                Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!

                            Nun grüßt ihr freundlich den geringen

                                       Fremdling und brüderlich ists hier unten;

    Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht

                Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,

                            Und zähle nicht die Toten! Dir ist,

                                       Liebes! Nicht einer zu viel gefallen.

    Diese Zeilen Höderlins kann man jeder einigermaßen gängigen Ausgabe des Dichters entnehmen. Mir ist es wichtig anzumerken, dass ich sie der sogenannten Feldausgabe 1942 entnahm. Dort steht diese Ode als Frontispiz gleichsam als Motto an erster Stelle. Das graue, zefledderte Büchlein begleitete meinen Vater bis ins Donetz-Becken und zurück in ein  Lazarett im Elsaß. Da war er neunzehn Jahre alt.

    Diese Zeilen Höderlins, bei aller poetischen Kennerschaft, sind grauenvoll. Was ist Schönheit, angesichts eines derartigen Missverhältnis von künstlerischem Sein und Wollen. Man mag den Zeit-Geist bemühen, wenn denn der Begriff Geist angesichts dieser Zeilen nicht unangebracht ist. Die Instrumentalisierung dieses pervertierten Idealismus in totalitären Regimen ist die eine Seite. Die andere, wie die Kunst sich diesen andienen mochte, konnte.

    Anders die Philosophie, die - wie es Hegel formuliert - ihre  „Zeit in Gedanken fasst“: sie scheint weiter in jenen Jahren als Hölderlin den Tod fürs Vaterland hymnisch feiert.

    1795 veröffentlich Immanuel Kant seinen „philosophischen Entwurf“ Zum ewigen Frieden und formuliert dort Sätze, die heute noch uneingelöst sind:

    - Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffes zu einem künftigen Kriege gemacht worden

    - Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören

    - Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußeren Staatshändel gemacht werden.

    - Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates gewalttätig einmischen

    Usw. usf..

    Man ist erstaunt angesichts der utopischen Vision des angeblich so nüchternen Philosophen, hätte dem großen Hölderlin mehr dieser Nüchternheit, die er selbst als „heilig“ apostrophiert, gewünscht.

    Vielleicht war in jener Zeit noch die Kunst und die Literatur allzu sehr in einer Emphase begriffen, eine Idee als Erfahrung zu vermitteln, die zu einer Anschauung taugt, einem Bild, das in seiner heroischen Anmutung allemal eindrucksvoller ist als die Analyse.

    Trotz gegenläufiger literarischer Entwürfe, man denke an Büchners Danton, wurde im erstarkenden Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts von der Kunst – und man ist erschrocken von welchen Dichtern – doch häufig genug ein unreflektierter Hurra-Patriotismus geprägt. Dabei gab es – man denke an die Gryphius’sche Lyrik, die die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und die zurückgelassene Welt als Wüstenei schildert – schon andere, nun verstummte Stimmen.

    Erst die Moderne, das zwanzigste Jahrhundert, positioniert sich gerade angesichts der Totalität neu. Zum einen huldigt die Kunst nicht mehr, sondern sie nimmt Stellung: man denke an Otto Dix Bilder von Versehrten und Invaliden des Ersten Weltkriegs oder an Gedichte Georg Trakls. Größer noch, weil überparteilich in seiner Humanität finden wir gleichsam als Ikone einer jeden Kriegshandlung, ja einer jeden zerstörten Stadt Picassos Guernica.  Kunst ist dann bestenfalls Heilung, Therapie, kollektiver Ausdruck von Angst und Leid. In den Linien des Picasso-Bildes den Höhlenmalereien nicht unähnlich.

    Der Fortschritt scheint nur marginal zu sein. Dennoch gibt es einen Paradigmenwechsel in der Technik. War es die Verabredung vor den Toren der Stadt, so haben wir den Krieg in die Stadt getragen. War es der einzelne, so ist es die Maschine als Automatismus, Industrie und damit als Eigendynamik der entfesselten Gewalt. War diese noch sichtbar in der Mechanik, in den Stahlgewittern der Materialschlacht, so schlug 1915 diese Bosheit um in Gas: Auf den Feldern vor dem belgischen Städtchen Ypern. Und kurz darauf hat die folgende Generation die Atombombe entwickelt.

    Wenn der totale Krieg, der sozusagen durch die beständige Möglichkeit der globalen Zerstörung mit Nuklearwaffen in jedem Augenblick ein permanenter ist, dann ist nicht mehr davon die Rede, dass man in der Tat Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln betrachten kann. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Die Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

    Das darf nicht heißen, dass man in einem fünften Schritt nach den Städten, der Industrie, dem Gas und dem Atom nun den Krieg in die Elektronik von Bildprogrammen verlegt, und damit der verzauberten Internetwelt suggeriert, jene ausgelöschten Städte zwischen Euphrat und Tigris seien nur unterschiedliche Farbpixel auf der Benutzer-Oberfläche der Flugzeuge oder dem heimischen Bildschirm. Das ist keine Kunst.

    Krieg als Atavismus oder Barbarei hat nichts Heroisches. Ja, er ist keine Kunst. Weil er nichts schafft. Die Idee Bakunins ist eine Droge, die Zerstörung mag eine Lust sein, meinethalben ein Ritual. Das aber liegt im Vorrationalen Bezirk der Magie. Diese hat die Kunst abgelöst, entzaubert und neu erschaffen.

    Die Kunst, die Literatur, muß daher sozusagen sui generis „nein“ sagen zum Krieg. Keine Heldengesänge, doch auch keine Oscarprämierung eines Anti-Kriegsfilms. Sondern eine ästhetische Position des Wider-Spruchs, der eine Gegen-Rede bedeutet.

    Das ist das einzige Zeugnis, das wir ablegen dürfen. Im Schmerz, im Leid, wohl wissend, dass deren Ursache in uns, unserer eigenen Geschichte lag und liegt.

    Wir haben den Krieg in die Stadt getragen. Dann war sie fort. Zurückbleiben Stolpersteine. Kunst. Als Zeugnisse gelebten Lebens. Des Schmerzes. Kunst. Und der Schuld. Kunst.

    ... -

    Das Ganze ist ein ungeheures Foyer des Todes, dessen Durchschreitung mich gewaltig erschütterte. In einem früheren Abschnitte meiner geistigen Entwicklung versenkte ich mich oftmals in Visionen einer völlig ausgestorbenen und menschenleeren Welt, und ich will nicht bestreiten, dass diese dunkle Träumereien mir Genuß bereiteten. Hier sehe ich die Idee verwirklicht und möchte glauben, dass, wenn auch die Soldaten fehlten, der Geist sehr bald gestört sein würde – ich fühlte schon an diesen beiden Tagen, wie der Anblick der Vernichtung an seinen Angeln hob. (Ernst Jünger, a.a.O. – Boulzicourt, 27. Mai 1940)

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