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WÜRZBURG: Heute isst Tom auch mal später

WÜRZBURG

Heute isst Tom auch mal später

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    Besprechung im Heimleitungsteam; (von links) Heimleiter Dr. Norbert Beck erörtert mit Stefan Werner, Theo Kellerhaus, Birgit Otter und Albert Averbeck, wie sich Tom, Oliver und Viola entwickelten.
    Besprechung im Heimleitungsteam; (von links) Heimleiter Dr. Norbert Beck erörtert mit Stefan Werner, Theo Kellerhaus, Birgit Otter und Albert Averbeck, wie sich Tom, Oliver und Viola entwickelten. Foto: Foto: Pat Christ

    Tom (Namen der Kinder geändert) war ein Junge mit strikten Prinzipien. Sein Abendessen wollte er um 18 Uhr haben. War das Essen um punkt sechs nicht auf dem Tisch, konnte er ausflippen. Das ist nach einem Jahr im Therapeutischen Heim Sankt Joseph des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Würzburg anders. Der 14-Jährige, der an Autismus leidet, hat in der vor 100 Jahren gegründeten Einrichtung gelernt, besser mit „Verstößen“ gegen sein rigides Regelsystem klarzukommen.

    Für Toms Mutter war es am Anfang wie ein schlimmer Richtspruch, als es hieß: „Es wäre gut, wenn ihr Sohn in ein Heim käme.“ Hatte sie als Mutter versagt?, fragte sie sich. Von Heimen hatte sie nur eine vage, eher unangenehme Vorstellung. Dennoch ließ sie sich auf einen Besuch in der Einrichtung ein. „Dadurch änderte sich ihre Einstellung“, so Heimleiter Dr. Norbert Beck. Toms Mutter wurde bewusst, dass ihr Sohn, der überall aneckte und trotz hoher Intelligenz als nicht mehr beschulbar galt, nur hier die Hilfe bekommen würde, die er benötigte. So kam Tom im Herbst 2010 nach Würzburg.

    Im Heim Sankt Joseph begegnet der Außenseiter Jugendlichen, die sich ebenfalls schwertun mit sozialen Beziehungen. Und er trifft auf Gleichaltrige mit ganz anderen Problemen. Beim Klettern in der Turnhalle zum Beispiel fiel ihm Oliver auf. Oliver ist ganz anders als Tom. „Was für ein abgefahrener Typ!“, dachte Oliver, als er Tom zum ersten Mal sah. Oliver lebt im Heim des SkF, weil er mit seinen Aggressionen nicht zu Rande kam. Früher wäre Tom für den elfjährigen Oliver ein willkommenes Opfer gewesen. Einer, den man wunderbar ärgern kann. Inzwischen kann Oliver seinen Impuls, andere Kinder zu attackieren, besser kontrollieren.

    52 Kinder und Jugendliche, die, wie Oliver und Tom, auf Spielplätzen, im Kindergarten und in der Schule auffallen, weil sie „anders“ sind, und „absonderlich“ reagieren, leben derzeit im SkF-Heim. Dort erhalten sie vielfältige Hilfe in einem weit verzweigten Verbund. Tom zum Beispiel braucht nur über den Hof zu gehen, um in die Elisabeth-Weber-Schule des SkF zu gelangen. „Dort erhält er Unterricht im geschützten Rahmen“, erläutert Beck. Diesen Rahmen braucht der Junge, um seine Fähigkeiten entfalten zu können. Dass er überaus fähig ist, steht außer Frage: „Tom befindet sich knapp an der Grenze zur Hochbegabung.“

    Joggingschule gegen den Druck

    Viola, die zusammen mit Oliver in der Kreativwerkstätte des SkF-Heims werkt, hat ein Problem, das viele weibliche Teenager heute haben: Seit drei Jahren ritzt sich die 15-Jährige. Ihre Unterarme sind völlig vernarbt. Viola lebt seit Jahresbeginn im SkF-Heim. „Seitdem kam es nur noch einmal vor, dass sie sich ritzte“, berichtet Beck. Wenn Viola heute das Bedürfnis verspürt, sich weh zu tun, schnürt sie die Joggingschuhe. Oder sie geht zu einer Erzieherin und spricht mit ihr über ihren „Druck“.

    Für Menschen, die wenig über psychische Erkrankungen wissen, sind Toms unsensibles Sozialverhalten, Olivers Aggressivität und Violas Drang zur Selbstverletzung unbegreiflich. Das Team des SkF-Heims hingegen weiß, welch großes seelische Leid hinter derartigen Reaktionen stecken. Und steuert auf hohem pädagogischem und therapeutischem Niveau gegen. Das Wissen, das in der konkreten Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen entsteht, wird auf direktem Weg weitergegeben an die Studierende an der Fachakademie für Heilpädagogik des SkF. Eine Studentin besucht derzeit zum Beispiel wöchentlich Tom, um mit ihm Körperpflege zu trainieren.

    In finanziell knappen Zeiten, in denen öffentliche Verwaltungen gezwungen sind, ihr Personal zu verschlanken, muss sich die teure Jugendhilfemaßnahme „Heim“ immer öfter rechtfertigen. Untersuchungen belegen, dass es unterm Strich billiger ist, Jugendlichen mit schweren seelischen Störungen früh intensiv zu helfen, als sie in Arbeitslosigkeit oder Delinquenz abgleiten zu lassen, so Beck. Doch finanzielle Aspekte dürften nicht der einzige Grund für die Entscheidung „Heim“ sein: „Dass Kinder und Jugendliche die Hilfe bekommen, die sie benötigen, ist auch eine ethische Frage.“

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