Historiker sind geschockt, Archivarsherzen bluten. Dokumente, Urkundenabschriften ab dem 13. Jahrhundert, Gerichtsakten, Schriftstücke über Besitzverhältnisse – allesamt Relikte fränkischer Geschichte aus dem privaten Archiv der Familie von Zobel sind durch das schwere Unwetter in der Nacht auf den 30. Mai beschädigt worden.
Die Sammlung schätzen Wissenschaftler als eine der wichtigsten Adelsarchive Mainfrankens ein. Ist nun eine relevante Quelle der fränkischen Geschichtsforschung für immer versiegt?
Wasser im Darstadter Schloss
Eineinhalb Meter hoch stand das Wasser im Darstadter Schloss. Hierhin hatte Stephan Freiherr von Zobel sein Familienarchiv verbracht, als er aus dem Stammsitz der Zobels in Giebelstadt ausziehen musste. In Darstadt lebt Heiner von Zobel, ein weitläufiger Verwandter aus der Darstadter Linie des Adelsgeschlechts, die sich 1597 von der Giebelstadter trennte.
Leiter des Staatsarchiv: „Zwei Drittel ruiniert“
Die Zobels gehören zu den bedeutenden fränkischen Adelsfamilien. Sie stellten zwei Bischöfe und besetzten wichtige Positionen im Domkapitel. Damit stehen sie auf einer Linie mit den Familien Wolffskeel, Hutten oder Thüngen, sagt der Würzburger Professer für Fränkische Geschichte, Helmut Flachenecker. Entsprechend relevant sei auch das Archiv der Familie. Davon ist nach dem Unwetter nicht mehr viel übrig. „Zwei Drittel der insgesamt 35 laufenden Meter sind ruiniert“, sagt Werner Wagenhöfer, Leiter des Staatsarchivs in Würzburg. Seit einem Fideikommiss aus dem Jahr 1942 hat der Freistaat Bayern die Aufsicht über das private Adelsarchiv. Zobel selbst darf die historischen Dokumente auch nicht veräußern.
Fachleute aus den Staatsarchiven Würzburg, Bamberg und eine Restauratorin aus München waren wenige Tage nach dem Unwetter in Darstadt. Was sie dort vorfanden, sei schrecklich gewesen. „Es hat fürchterlich ausgesehen und gerochen“, gibt Wagenhöfer die Schilderungen seiner Kollegen wieder. „Wenn das Archivgut noch zwei Tage in dem Modder gelegen wäre, hätten wir nichts mehr retten können.“
Im Kühlhaus gesichert
Viele Dokumente waren voller Schlamm. Papiere quollen durch das Wasser auf. Einbände wurden beschädigt. „In solchen Fällen ist es wichtig, dass die Unterlagen eingefroren werden, sonst verschimmeln sie“, sagt Oliver Messerschmidt vom Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig. Der Restaurator hat Erfahrungen mit der Rettung wichtiger Dokumente. Beispielsweise restaurierte er die Archivalien des Kölner Stadtarchivs nach dem Einsturz oder die teils verbrannten Bücher der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. „Wenn die Dokumente mal eingefroren sind, können sie bis zum Jüngsten Tag im Kühlhaus liegen“, sagt der Experte.
Hohe Kosten für Restaurierung
Die Zobelschen Papiere lagern seit ihrer Rettung in einem Kühlhaus bei Würzburg. Von Zobel habe vor, den Schaden seiner Versicherung zu melden, weiß Wagenhöfer. „Am besten wäre es aber, er würde das Archiv jetzt dem Freistaat Bayern schenken.“ Im Gegenzug könnte dieser dann für die Schäden aufkommen. Die Kosten dafür schätzt er sehr hoch ein. „Sie werden wohl den eigentlichen Wert um das Dreifache übersteigen.“
Restaurator Messerschmitt rechnet nach nassen Laufmetern und Gewicht ab. So kommt er auf eine Summe von etwa 80 000 Euro ohne Schimmelbefall. Mit, würde es das Vierfache kosten.
Vor einigen Jahren war das Würzburger Staatsarchiv an einem Kauf der Zobelschen Dokumente interessiert. 70 000 Euro wurden dem Adeligen dafür geboten. Zobel aber lehnte ab. Das Archiv sorgte bereits 2010 für Schlagzeilen. Unerlaubterweise entfernte es Stephan von Zobel bei seinem Auszug aus dem Schloss, das ein Millionär aus Texas bei einer Zwangsversteigerung erwarb. Lange Zeit wusste niemand, wo sich die Sammlung befand. Bis Zobel sie schließlich nach Darstadt brachte.
Stephan von Zobel war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.